Hamburg. Auch Zahnärzte und Kieferorthopäden haben im Augenblick große Probleme – und Sorgen wegen der Ansteckungsgefahr.

Der Patient hat gerade einen Oberarmbruch hinter sich, da gibt es keine andere Wahl. Der Arm muss bewegt, die Muskeln und Sehnen müssen trainiert werden. Natürlich behandelt Wim Jansen ihn weiter. Auch wenn jeder Termin die Gefahr birgt, sich anzustecken. Den Patienten berühren und gleichzeitig Abstand halten, das schließt sich aus. Und Schutzmaßnahmen kann man auch schwer treffen, wenn nichts da ist, um sich zu schützen. Also haben sich Jansen und seine Kollegen ihren Mundschutz selbst genäht. Es klingt schicksalsergeben, wie Jansen davon erzählt. Aber Not macht erfinderisch.

Als Physiotherapeuten sind Jansen und seine Kollegen wie alle sogenannten Heilmittelerbringer – also auch Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen – Teil der ambulanten Gesundheitsversorgung. Sie müssen ihre Praxen genauso wie Ärzte auch in Zeiten von Corona offenhalten. Auch wenn viele von ihnen um ihre Existenz bangen. Und um ihre eigene Gesundheit.

Corona-Infektionsrisiko so gering wie möglich halten

„Wir haben alle unsere Patienten durchgeguckt und behandeln nur akute Fälle, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten. Viele Patienten haben ihre Termine aber auch von sich aus abgesagt“, sagt Wim Jansen, Mitglied im Vorstand des Physiotherapie-Landesverbands Hamburg und Schleswig-Holstein und Mitinhaber eines Therapiezentrums in Uetersen. „Derzeit kommen nur rund zehn Prozent unserer Patienten – damit fehlen 90 Prozent des Umsatzes.“

So wie Wim Jansen ergeht es derzeit dem Großteil seiner Kollegen. Auch die Physiotherapiepraxis von Thomas von Hahn in Volksdorf leidet unter massiven Umsatzeinbußen. Von Hahn fordert eine schnelle Unterstützung: „Wenn es heißt, dass wir systemrelevant sind und auch in Zeiten von Corona da sein sollen, dann müssen die Krankenkassen auch etwas tun und für uns in die Bresche springen“, sagt von Hahn. „Nur so kann die Versorgungsstruktur aufrechterhalten werden.“

Spitzenverband der Heilmittelverbände fordert Ausfallzahlungen

Der Spitzenverband der Heilmittelverbände (SHV) hat deshalb Alarm geschlagen und sofortige Ausfallzahlungen gefordert. Andernfalls nehme die Politik „wissentlich die Insolvenz von vielen Tausend Heilmittelerbringern in Kauf und gefährdet damit Hunderttausende von Arbeitsplätzen und die Gesundheit der Bevölkerung“, sagt die SHV-Vorsitzende Ute Repschläger. Die Einmal­zuschüsse im Zuge des Rettungsschirms von maximal 15.000 Euro für kleinere Praxen sei „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Die Heilmittelbereiche würden seit Jahren unter sehr geringen Vergütungssätzen leiden. „Bei den derzeitigen Umsatzrückgängen sind die finanziellen Rücklagen schnell aufgebraucht“, sagt Repschläger. „Wenn es sie überhaupt gibt.“

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Für die Krankenkassen seien die geforderten Ausfallzahlungen ein Nullsummenspiel: Wenn die Therapeuten keine Leistungen erbringen, entstünden für die Kassen auch keine Kosten. Sie würden im Gegenteil finanziell von der Situation profitieren. Dieses Polster könne nun zur Rettung der Heilmittelpraxen eingesetzt werden, sagt Repschläger. „Und zwar schnell.“

Auch Kieferorthopäden haben Probleme

„Wir sehen, dass die Coronakrise auch für die Heilmittelerbringer eine große, ja teilweise existenzielle Herausforderung ist“, heißt es dazu vom GKV-Spitzenverband, dem bundesweiten Verband der Krankenkassen. Parallel zu den Hilfen des Bundes für Unternehmen und Selbstständige gebe es deshalb „Gespräche sowohl bei der Politik als auch bei den Krankenkassen, inwieweit über diese staatlichen Hilfen hinausgehende Hilfen notwendig und möglich sind“.

Coronavirus: Die Fotos zur Krise

Vor denselben Problemen wie die Heilmittelerbringer stehen zudem die Kieferorthopäden. Sie behandeln auch nur noch, wenn es medizinisch notwendig ist, und leiden unter den finanziellen Einbußen. „Es ist schon eine bedrückende Situation“, sagt Dr. Stefan Buchholtz aus Volksdorf. „Ich habe für einen Teil meiner Mitarbeiter jetzt Kurzarbeit angezeigt.“ Der Arzt findet es zwar richtig, dass Kieferorthopäden weiter dringend notwendige Behandlungen durchführen. „Aber dann gehören wir auch unter den Rettungsschirm“, sagt Buchholtz. Das Krankenhausentlastungsgesetz, mit dem jetzt niedergelassene Ärzte unterstützt werden, gelte aber nicht für Zahnärzte und Kieferorthopäden.

Es fehlt an Schutzausrüstung

Und natürlich fehlt auch bei Buchholtz und seinen Kollegen Schutzausrüstung. „Wir haben noch ein paar normale Mund-Nasen-Masken, mit denen wir immer arbeiten“, sagt Buchholtz. Coronapatienten kann man damit aber nicht behandeln. „Was ich machen soll, wenn einer meiner Patienten erkrankt ist, weiß ich nicht.“

Laut Hamburger Zahnärztekammer ist es erforderlich, dass nicht nur Zahnärzte, sondern auch Kieferorthopäden ihre Praxen weiter betreiben. „Auch hier gibt es dringende Termine, die nicht einfach um Wochen oder Monate verschoben werden können“, sagt Präsident Konstantin von Laffert. „Gerade bei Kindern und Jugendlichen gibt es Behandlungen, die von Wachstumsphasen abhängen. Diese sind medizinisch erforderlich.“ Praxen, die ausschließlich ästhetisch arbeiten, sollten aber nicht weiter geöffnet haben dürfen.

Informationen zum Coronavirus:

Trotz derselben Probleme haben Physiotherapeuten den Kieferorthopäden gegenüber einen Vorteil: Sie können sich auch online um ihre Patienten kümmern. So bietet die Praxis von Thomas von Hahn Behandlungen über Skype und die von Wim Jansen zusätzlich Video-Anleitungen und Online-Hausaufgabenprogramme an. Not macht erfinderisch.