Hamburg. In den kommenden Wochen könnte sich entscheiden, ob die SPD die Chance bekommt, nochmal Volkspartei zu werden. Oder ob sie untergeht.
Es ist ein Jahrzehnt her, da lag die SPD in Trümmern. Die stolze Hamburg-Partei, die bis 2001 mit einer kleinen Ausnahme in den 50er-Jahren das Rathaus regiert hatte, schien in einer Todesspirale gefangen: 2007 ging die Urwahl zwischen Mathias Petersen und Dorothee Stapelfeldt in einem Tohuwabohu unter – 930 Stimmzettel waren gestohlen, beide Kandidaten beschädigt worden; daraufhin übernahm Ingo Egloff die Partei und musste bei der Bundestagswahl 2009 eine Klatsche hinnehmen: Erstmals überholte die CDU die SPD, die nur noch auf 27,4 Prozent kam.
Die Hälfte der sechs Direktmandate ging verloren. Die Partei schien am Ende und wählte im November 2009 Olaf Scholz zum Vorsitzenden – nicht nur aus Überzeugung, sondern auch aus Verzweiflung. In Hamburg regierte die CDU mit den Grünen, in Berlin die Union mit der FDP. In Umfragen lag die Hamburger SPD mit 33 Prozent deutlich hinter der CDU. Wer brauchte da noch die SPD?
In Hamburg gelang der SPD die bislang letzte absolute Mehrheit
Es brauchte nicht einmal 16 Monate. Im Februar 2011 gewannen die Sozialdemokraten in Hamburg 14,3 Prozentpunkte hinzu und erreichten mit 48,4 Prozent die absolute Mehrheit der Sitze – es war übrigens die letzte absolute Mehrheit der Sozialdemokraten in der Bundesrepublik, die Scholz mit 45,6 Prozent vier Jahre später fast verteidigt hätte. Wäre Politik eine Frage von Zahlen und Fakten, hätte die SPD längst einen neuen Parteivorsitzenden haben müssen.
Aber diese durch ein Umfragensperrfeuer waidwund geschossene Partei hat sich in Teilen längst ins Land der Illusionen und Emotionen geflüchtet. Und deshalb ist fraglich, ob die Genossen im Stechen das Duo aus Olaf Scholz und Klara Geywitz favorisieren – oder doch Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken wählen. Nowabo, wie der gebürtige Krefelder genannt wird, hat gar keine Erfahrung mit der Führung einer Partei, seine Mitstreiterin hat nur den Kreisverband Calw geführt, ihren Bundestagswahlkreis aber stets verloren.
Und doch könnten sie am Ende vorne liegen: Beide stehen für den Ausstieg aus der verhassten Großen Koalition und Nowabo für den konsequenten Kampf gegen Steuerhinterzieher. Aber der Ankauf von Steuer-CDs qualifiziert noch nicht zur Führung einer Partei – und erst recht nicht zur Führung eines Landes. Die Wähler in Nordrhein-Westfalen sahen das 2017 wohl ähnlich – und wählten die SPD ab.
Genossen müssen sich zwischen Nowabo und scholz entscheiden
Nun müssen die Genossen entscheiden, ob sie mit Robin Hood den Sherwood Forest erobern wollen – oder mit Scholz vielleicht das Kanzleramt. Die Deutschen wählten stets Männer oder Frauen der Mitte zu Regierungschefs, die bis ins andere Lager hineinstrahlen – Gerhard Schröder war eben auch der „Genosse der Bosse“, Helmut Schmidt der Kanzler des Nato-Doppelbeschlusses.
Scharf links der Mitte gewinnt man keine Wahlen, sondern nur Trostpreise. Zwischen 2013 und 2017 gab es zwar eine linke Mehrheit im Bundestag – doch diese kommt so schnell nicht wieder. Die AfD hat die Statik der bundesrepublikanischen Parteienarchitektur verschoben: Bei der letzten Bundestagswahl landeten SPD, Grüne und Linke unter 40 Prozent – inzwischen sind sie bei 43 bis 45 Prozent.
SPD droht zur linken Weltverbesserersekte zu werden
Die jüngste Stärke der Grünen aber speist sich nicht allein aus dem linken Lager; Grüne jenseits der 20 Prozent neigen eher einem schwarzen-grünen Bündnis zu. Die SPD hat nur dann eine Chance, wenn sie beide Flügel wieder zum Schlagen bringt – sie muss in der Mitte anschlussfähig bleiben, will sie nicht zur linken Weltverbesserersekte werden.
Und sie muss sich als Volkspartei gelegentlich auch dahin wagen, wo es wehtut – nach rechts: Die AfD ist eine gefährliche Partei, die Sorgen ihrer Wähler aber sind real. Die Integration von Zuwanderern in Gesellschaft und Arbeitsmarkt, eine Agenda des Förderns und Forderns, eine Kultur des Hinsehens sind klassische sozialdemokratische Themen – ebenso wie der Zusammenhalt der Gesellschaft in Zeiten der Globalisierung und der Gerechtigkeit in einer Ära der Entgrenzung.
In einer Welt, in der Internetgiganten wie Amazon ganze Fußgängerzonen leer räumen und wie Facebook sogar über eigene Währungen nachdenken, ist eine Linke wichtiger denn je.
Sie müsste sich nur zur Abwechslung mal weniger mit sich selbst und mehr mit den Problemen des Landes befassen. In den kommenden Wochen könnte sich entscheiden, ob die SPD die Chance bekommt, noch einmal Volkspartei zu werden. Oder ob sie untergeht.