Wer einen Fehlstart und einen Existenzkampf vorhersagt, ist eher ein Realist als ein Pessimist. Doch das muss nicht stimmen.

An diesem Freitagabend werden sie, wenn mit der Bustour zum Münchner Airport und dem Flug nach Hamburg alles wie geplant klappt, wieder zurück sein aus dem Zillertal. Die Profis des FC St. Pauli werden von den intensiven Übungseinheiten schwere Beine haben, das ist eben der Sinn eines Trainingslagers. Ebenso schwer fällt es aber auch, einzuschätzen, wo die Mannschaft zweieinhalb Wochen vor dem ersten Spiel in der Zweiten Liga wirklich steht, ob sie bis zum 29. Juli in einer konkurrenzfähigen Verfassung sein wird oder nicht.

„Die Arbeit ist mit dem Trainingslager nicht vorbei, sie hört eigentlich nie auf“, sagte jetzt St. Paulis Innenverteidiger Christopher Avevor aus langer und durchaus leidvoller Erfahrung.

FC St. Pauli: Schon zwei Trainer mussten zu Saisonbeginn gehen

Mehr noch: Alle positiven oder gar euphorischen Gefühle nach einem Trainingslager oder auch der gesamten Vorbereitung auf eine Saison sind überhaupt nichts mehr wert, wenn die ersten Spiele in der Liga verloren gehen. Nicht selten wird dann schon nach dem dritten oder vierten Spieltag alles wieder infrage gestellt, was vorher so richtig toll war. Auch der FC St. Pauli hat in den vergangenen Jahren schon Trainer in der Anfangsphase einer neuen Saison weggeschickt, nachdem der Start missglückt war – namentlich André Schubert 2012 und Roland Vrabec 2014.

Vor knapp einem Jahr hätte es auch Markus Kauczinski schon nach dem sechsten Spieltag erwischt, wenn es statt eines höchst glücklichen 1:0 in Ingolstadt eine Niederlage gegeben hätte. So aber dauerte es bis in den April, bis die Reißleine in Form der Beurlaubung gezogen und Jos Luhukay als Heilsbringer verpflichtet wurde.

Schwärmen über Jos Luhukay

St. Paulis Präsident Oke Göttlich gerät in diesen Tagen geradezu ins Schwärmen, wenn er von der Arbeit des Niederländers auf dem Platz spricht. Es klingt dabei so, als wäre Luhukay der erste wirklich gute Trainer, den das Präsidium unter Göttlich installiert hat. Es ist immerhin schon der vierte Chef-Übungsleiter in seiner jetzt knapp fünfjährigen Zeit an der Spitze des Kiezclubs. Womöglich ist es im Endeffekt sogar hilfreich, dass das aktuelle Bild der St.-Pauli-Mannschaft objektiv keinerlei Anlass zu Euphorie oder höherer Erwartung bietet – trotz des auffällig engagierten Auftretens von Luhukay in den Trainingseinheiten. So sind überzogene Erwartungen nahezu ausgeschlossen.

Dabei sind die durchwachsenen Ergebnisse in den Testspielen mit einem 3:3 gegen den Oberligisten Teutonia 05 oder gerade erst dem 2:3 gegen das österreichische Bundesligateam von Wattens eher nebensächlich. Ernüchternder ist, dass sechs Spieler des Kaders, darunter die bisher einzigen beiden Neuzugänge, zum Saisonstart und wohl auch in den Wochen danach, nicht einsatzfähig sein werden. Dazu präsentieren sich einige Spieler des Kaders als definitiv nicht zweitligatauglich.

Und je näher der Saisonstart rückt, desto klarer ist, dass die angeblich so qualitativ hochwertigen drei bis sechs Zugänge, die bis zum Ende der Transferperiode noch kommen sollen, zunächst Fremdkörper im taktischen Gefüge des Teams sein werden. Besonders irritierend ist dabei, dass Präsident Göttlich es indirekt sogar zu einem Erfolgsrezept deklariert, neue Spieler möglichst spät zu holen. Begründung: Frühzeitige Verpflichtungen hätten bisher häufig auch nicht zu einer erfolgreichen Saison geführt.

Glück und Zufall überlagern im Fußball die Logik

Das Schöne am Sport und ganz besonders am Fußball in der ganz besonders unberechenbaren Zweiten Liga ist aber, dass alle positiven und negativen Indizien überhaupt keine Aussagekraft mehr haben, wenn das erste Spiel erst einmal läuft und nicht durch Logik, sondern Glück, Pech und Zufall entschieden wird, was dann wiederum eine Eigendynamik im mentalen Bereich freisetzt.

Wer dem FC St. Pauli anhand der heute vorliegenden Fakten und Eindrücke einen Fehlstart in die Saison und einen harten Kampf um den Klassenverbleib vorhersagt, ist eher ein Realist als ein Pessimist. Recht haben muss er damit am Ende aber längst nicht.