Am Sonntag laufen Tausende wieder 42,195 Kilometer durch Hamburg. Die meisten kommen voller Glücksgefühle ins Ziel
An diesem Sonntag ist es wieder so weit. Wie ein Lindwurm wird sich die Schar von rund 14.000 Läuferinnen und Läufern durch Hamburgs bekannteste und zum Teil schönste Straßen ziehen – Reeperbahn, Elbchaussee, Ballindamm, Jungfernstieg, später dann Eppendorfer Baum und Harvestehuder Weg. Wenn die ersten nach gut zwei Stunden im Ziel sind, haben die letzten vielleicht ein gutes Drittel der traditionellen, amtlich vermessenen 42,195 Kilometer geschafft.
Marathon ist das Stichwort, das ganz unterschiedliche Emotionen auslöst. Bei den einen löst die Vorstellung, diese schon für eine Radtour ordentliche Strecke laufend zurückzulegen, Kopfschütteln als Zeichen von Verständnislosigkeit aus. Sie halten die Marathonis für irre und von einem Virus besessen. Andere erstarren fast vor Ehrfurcht vor den „Finishern“, also jenen, die am Ende ins Ziel kommen, und halten sie für fast übermenschliche Athleten.
Beide Sichtweisen sind – das sage ich als jahrelanger Marathonläufer, der immerhin 17-mal gestartet und unbeschädigt ins Ziel gekommen ist – völlig übertrieben. Marathonis sind, in der ganz großen Mehrheit jedenfalls, ganz normale Menschen. Es sind Kleine und Große, Junge und Alte, Dünne und, ja auch das, (zu) Dicke dabei. Die großzügig lange Öffnungszeit des Ziels erlaubt es jedem, seinen eigenen Sieg zu feiern. Und wenn es nach sechs Stunden ist.
Den Marathon in Hamburg zu laufen ist nicht etwa eine Qual. Jedenfalls dann nicht, wenn man sich dem eigenen gewünschten Lauftempo entsprechend vorbereitet hat. Hier sind wir beim entscheidenden Punkt. Bewunderung haben die Läuferinnen und Läufer nicht dafür verdient, dass sie am Sonntag auf die Strecke gehen und sie meist erfolgreich bewältigen. Respekt gebührt ihnen vielmehr dafür, dass sie sich in den Wochen und Monaten zuvor immer wieder aufgerafft haben, sich auf den Marathon vorzubereiten. Das ist gerade bei einem Frühjahrs-Marathon wie der in unserer Stadt eine Herausforderung. Trainingsläufe von November bis März, in der kalten und dunklen Jahreszeit, sind schon speziell. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich bei einem 30-Kilometer-Trainingslauf rund fünf Wochen vor dem Marathon in ein Schneegestöber geriet. Den Lauf habe ich damals dennoch durchgezogen und wusste danach sicher, dass mir keine Wetterkapriole etwas anhaben kann.
Der Marathon selbst ist am Ende die Belohnung für den betriebenen Aufwand – vor allem dann, wenn man ihn in einer Atmosphäre wie in Hamburg bestreitet. Das geht schon mit der gefühlt unendlich langen Zeit im Startbereich los. Eng an eng stehen sie hier, doch es herrscht, anders als bei anderen Wettkämpfen, kein Konkurrenzdenken, sondern eine aufmunternde Solidarität unter Gleichgesinnten. Nicht der Nebenmann ist der Gegner, sondern der innere Schweinehund – und vielleicht auch die angestrebte Zeit.
Auf der Strecke selbst ist es einfach ein Genuss, die Zuschauermassen zu passieren. Die Leute wollen dich laufen sehen, sie sind deinetwegen gekommen – wie genial ist das denn? Welch tolle Idee, auch den jeweiligen Vornamen auf die Startnummer zu drucken. Auf der ganzen Strecke wirst du mit deinem Namen angefeuert. Nur wenn man eine Schwächephase hat und sich lieber verkriechen möchte, ist es weniger schön, dass so viele dein Leiden miterleben. Also: Gute Vorbereitung erhöht den Genuss.
Spätestens wenn das Ziel im Blick ist, überkommen den natürlich erschöpften Marathoni großartige Glücksgefühle. Jeder, der es noch nie getan hat, sollte sich einmal nur für zehn oder 20 Minuten als Zuschauer dort hinstellen und in die Gesichter der „Finisher“ schauen – egal ob sie nach drei, vier oder fünf Stunden ankommen.
Kurzum: Einen Marathon zu laufen ist nichts Verrücktes oder Absurdes, sondern eine sportliche Herausforderung, die zwar eine seriöse und nachhaltige Vorbereitung erfordert, aber danach auch für fast jeden realisierbar ist und sehr, sehr schöne Gefühle hervorruft. Gerade auch deshalb sind die meisten Marathonis Wiederholungstäter.