Aus für Kauczinski und Stöver offenbart strukturelle Probleme in der Führung. St. Pauli ist plötzlich ein Club wie jeder andere.
Ein Kompliment haben sich Präsidium und Aufsichtsrat des FC St. Pauli auf jeden Fall verdient – und das nicht erst seit Mittwoch. Ihre Personalentscheidungen besitzen einen großen Überraschungseffekt. Das war schon so, als im Dezember 2014, gerade einmal einen Tag vor einem Auswärtsspiel, Ewald Lienen als neuer Trainer auftauchte und Thomas Meggle vom Trainerposten auf den des Sportchefs gehievt wurde.
Ebenso unerwartet war im Mai 2017 die „Beförderung“ von Lienen zum technischen Direktor. Bis heute weiß Lienen übrigens nicht, warum er seine überaus erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem ein halbes Jahr zuvor installierten Co-Trainer Olaf Janßen nicht fortsetzen durfte, sondern Janßen überraschend Cheftrainer wurde, was nicht einmal eine halbe Saison lang gut ging.
Tabula rasa unter Göttlich
Jetzt also müssen Markus Kauczinski und Uwe Stöver gleichzeitig gehen. Das ist eine neue Qualität in der turbulenten Personalpolitik des Präsidiums unter Oke Göttlich, der schon der vierte Trainer und dritte Sportchef zum Opfer gefallen sind. Dabei ist Göttlich erst viereinhalb Jahre im Amt. Fast könnte man glauben, der ach so andere Kiezclub eifert dem ungeliebten Nachbarn aus dem Volkspark nach.
Der immer wieder erklärte Wille, auch auf den sportlichen Führungspositionen Kontinuität zu beweisen, wurde erneut konterkariert. Der FC St. Pauli ist in dieser Hinsicht längst ein Proficlub wie fast jeder andere.
Stöver stolperte über Treue zu Kauczinski
Dabei ist die Entscheidung, sich von Trainer Kauczinski zu trennen, separat betrachtet sicher nicht falsch. Die Erkenntnis, dass er die Mannschaft spieltaktisch nicht weiterentwickelt und mit seiner Körpersprache und Ausstrahlung für einen emotionalen Club wie St. Pauli zu lethargisch wirkt, hat sich in großen Kreisen der Anhänger verfestigt.
Nicht von ungefähr kursiert ein – zugegeben recht böser – Witz über ihn. „Warum kann Kauczinski seine Vertragsauflösung nicht unterschreiben? Weil das mit Händen in den Hosentaschen nicht geht.“
St. Paulis Trainer seit dem Jahr 2000
Sportchef Uwe Stöver dürfte vor allem über seine bis zum Ende beschworene Treue zu Kauczinski gestolpert sein. Dieses Festhalten war verständlich, schließlich war die Verpflichtung im Dezember 2017 eine seiner ersten großen Amtshandlungen. Doch seine Argumente konnten nicht mehr überzeugen. Zudem hatte er seine eigene Position nach der kürzlich erfolgten Vertragsverlängerung offenbar überschätzt.
St. Pauli fehlt sportliche Kompetenz im Präsidium
Das eigentliche Problem liegt aber tiefer. Weder im Präsidium noch im Aufsichtsrat ist jemand mit nachgewiesener profifußballspezifischer Kompetenz vorhanden. Dass Musikunternehmer Göttlich einst Sport studiert hat, reicht dazu ebenso wenig wie der Umstand, dass Vizepräsident Joachim Pawlik mal kurz vor einem Kurzeinsatz in St. Paulis Profimannschaft gestanden hatte.
Am Ende bleibt festzuhalten, dass beim FC St. Pauli heute alle sportlich Verantwortlichen Verlierer sind. Kauczinski und Stöver, weil sie ihre Jobs eingebüßt haben, Präsidium und Aufsichtsrat, weil sie sich zum wiederholten Mal in der Not sahen, eigene personelle Fehlentscheidungen korrigieren zu müssen.
Jetzt also soll es als Trainer Jos Luhukay richten, der schon drei Teams von der Zweiten in die Erste Liga geführt hat. Darunter war 2011 der FC Augsburg, bei dem zu jener Zeit Andreas Rettig als Manager tätig war. Es liegt nahe, dass St. Paulis Geschäftsführer den neuen Mann wärmstens empfohlen hat. Auch wenn das Kaufmännische sein Hauptjob ist, besitzt Rettig die größte sportliche Kompetenz im Club. Die darf er jetzt noch einmal als Interims-Sportchef beweisen. Umso schwerwiegender ist, dass er Ende September St. Pauli verlassen wird.