Es überrascht schon gar nicht mehr, wenn sich in einem unserer Nachbarländer ein Komiker anschickt, Präsident zu werden: In der Ukraine führt in Umfragen der Comedian Wladimir Selenski. Er ist vielen Bürgern bekannt, weil er in der TV-Serie „Diener des Volkes“ einen fiktiven Präsidenten spielt, der unerwartet an die Macht gekommen ist.

Bald könnte in der Ukraine Fiktion Wirklichkeit werden: Politik wird zur Seifenoper. Noch vor zwei Jahrzehnten wäre selbst in Hollywood ein solch absurder Plot als Drehbuch durchgefallen. Heute wundern wir uns nicht einmal mehr. TV-Stars und Komiker sind längst fester Bestandteil der Politik. Früher begann man seine Karriere als Kassenprüfer im Ortsverein, heute als Comedian im Fernsehen.

Politik wird zur Krawallshow

In Italien hat die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo die letzte Wahl gewonnen und ausgerechnet mit den Rechtspopulisten der Lega um Matteo Salvini eine Koalition geschlossen: Politik wird zur Krawallshow: Für Unterhaltung ist angesichts des permanenten Klamauks und Gebrülls gesorgt, getan wird wenig, und nebenbei rutscht die ohnehin schwächliche italienische Wirtschaft in die Rezession.

Aus der seltsamen Liaison, das haben Regionalwahlen gezeigt, wird die Lega als Gewinner hervorgehen. Der Clown hat seine Schuldigkeit getan, der Clown kann gehen.

Politik als Wirtshausschlägerei

In den USA ist die Präsidentschaft von Donald Trump untrennbar mit seiner Rolle als Showmaster in der Reality-Show „The Apprentice“ verbunden: Politik wird zur Wirtshausschlägerei.

Und in Großbritannien, dem Mutterland des Parlamentarismus und dem Vaterland der Vernunft, wird Politik dieser Tage zum absurden Theater. Die britischen Abgeordneten wissen in der unseligen Brexit-Frage nur noch, was sie nicht wollen – aber haben jedes Gefühl für das Notwendige verloren. Eine Elite, um die viele Länder in der Welt die Briten einst beneidet haben, schafft sich selbst ab.

Es sind diese Momente, es sind diese Bilder, die uns innehalten lassen sollten. Und den Eindruck bestärken, dass wir es trotz aller berechtigten Kritik an Angela Merkel und Olaf Scholz, an Robert Habeck und Christian Lindner ziemlich gut getroffen haben. Ihnen allen geht es zuerst um die Sache, dann um sich selbst. Sie alle können am Ende des Tages nicht nur zusammen ein Glas Wein trinken, sie können sogar miteinander koalieren.

Der deutsch-äthiopische Schriftsteller Asserate hat einmal das deutsche Wort ‚politischer Gegner‘ als „große kulturelle Errungenschaft“ gefeiert: „In Afrika gibt es mehr als 2000 verschiedene Sprachen, aber überall heißt es dort Feind.“

Deutschland ist nicht besser als andere Länder, aber hatte in den vergangenen Jahren bessere Voraussetzungen: weniger wirtschaftliche Probleme als Großbritannien oder Italien, weniger soziale Spaltung als in den USA und anders als in der Ukraine: Frieden.

Diese besondere Situation ist ein Glück – aber eines, das flüchtig ist.

Denn eine zunehmende Radikalisierung des Diskurses gefährdet den Grundkonsens, der in Deutschland stets fest in der Mitte verankert war. Heute bestimmen die Ränder die Debatte. Die Mitte erodiert, sie schmilzt wie ein Eisberg, der nach Süden treibt.

Die Debatte hat nicht nur an Lautstärke und Wut zugelegt, sondern wird immer engstirniger und intoleranter. Wir bewegen uns bevorzugt in den eigenen Echokammern; wir lauschen verzückt dem Applaus der Gleichgesinnten und verschließen die Ohren vor allem anderen.

Selbstkritik haben wir durch Selbstgerechtigkeit ersetzt

Es geht nicht mehr darum zu streiten, sondern nur noch darum, recht zu haben. Gegenargumente sind kein Anlass zur Selbstreflexion, sondern die Aufforderung zum Gegenangriff. Nicht der Bruchteil einer Verunreinigung des eigenen Denkens durch anderslautende Zahlen, Daten und Fakten wird toleriert. Das macht die eigene Sicht zur unfehlbaren Wahrheit und Andersdenkende zu Idioten, wenn nicht zu Unmenschen.

Selbstkritik haben wir durch Selbstgerechtigkeit ersetzt. Selbst Medien polarisieren mit: Manchen Journalisten geht es längst nicht mehr um Recherche, sondern vor allem um Haltung. Diskurs kommt aber nicht von Diskus, und Haltungsnoten sind keine Kategorie journalistischer Qualität.

Ein Blick in die zutiefst gespaltene amerikanische Gesellschaft zeigt, wohin es führt, wenn aus politischen Gegnern Feinde werden. Diesen Fehler sollten wir nicht nachmachen.