Als hätte es keine Sommerpause gegeben: Auch zum Saisonbeginn steht Hamburgs Erstligafußball im Abseits.
Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Der HSV hat soeben die Klasse gehalten, feiert den Nicht-Abstieg wie eine Meisterschaft und verspricht, dass in der kommenden Saison garantiert alles besser wird. Und noch bevor die Sommerpause mit all den möglichen Tücken, geplatzten Transferträumen und Streitereien hinter den Kulissen losgeht, steigen Sie einfach in ein Raumschiff und kehren unbelastet und voller Vorfreude erst pünktlich zum Saisonauftakt wieder zurück.
Geht nicht? Geht doch! Mein persönliches Raumschiff flog nach China und hieß Elternzeit. Knapp drei Monate ging es eher um Windelwechseln in Hangzhou, Breikaufen in Ningbo oder darum, den ersten Geburtstag in Peking zu feiern, als um Ablösesummen, Transferstaus und Beratergefeilsche. Noch am letzten Tag vor der Elternzeit frohlockte HSV-Gönner Klaus-Michael Kühne im Abendblatt-Interview, er wünsche sich zum Geburtstag, noch einmal eine Trophäe mit dem HSV zu gewinnen. Und am ersten Tag nach der Elternzeit? „Das Spiel in Osnabrück war sehr enttäuschend, ich war konsterniert“, sagt er bei Sky und formuliert forsch: „Der Trainer muss jetzt viel mehr an der Mannschaft arbeiten, muss sie viel mehr fordern, muss sie zum Team formen, muss Führungsspieler entwickeln, damit es eine Zukunftsperspektive gibt. Ich lebe momentan von der Hoffnung.“
Beim HSV geht es wieder drunter und drüber
Die Hoffnung, dass man sich nach drei Monaten ohne HSV, ohne Investor und ohne Berater einfach auf den Neustart in die 55. Bundesligasaison freuen kann, war nach Landung des Raumschiffs Elternzeit schnell verflogen. Dabei wurde Trainer Markus Gisdol noch kurz vor dem China-Abflug nach seinem Wunsch für die kommende Spielzeit befragt. Die Antwort: „Kein Hollywood mehr.“ Am Donnerstag sagte er: „Ich wünsche mir, dass wir diesen notorischen Pessimismus, der sich in unserem Club breitgemacht hat, endlich mal loswerden können.“ Zur Erinnerung: Es ist noch nicht einmal das erste Saisonspiel gespielt, doch beim HSV geht es schon wieder drunter und drüber.
Auch die vorerst gescheiterte Vertragsverlängerung von Nicolai Müller passte Investor Kühne so gar nicht: „Da, glaube ich, ist die HSV-Führung auf der falschen Chaussee, ist sie nicht so kraftvoll und entscheidungsfreudig, wie ich mir das wünsche.“ Rums! Und weiter: „Da gibt es schon eine deutliche Distanz in meiner Auffassung zu der, wie es wirklich praktiziert wird.“
Lockerung der Sparansage
Der Hintergrund: Müller, der einer schwachen Premierensaison zwei sehr ordentliche Spielzeiten folgen ließ, wollte das Angebot zur Vertragsverlängerung mit knapp drei Millionen Euro Gehalt pro Jahr nicht annehmen. „Offenbar liegen wir in Sachen Wertschätzung und Wichtigkeit für den HSV so weit auseinander, dass ich im Moment keine Basis für eine Einigung sehe“, teilte Müller-Berater Björn Bezemer via „Bild“-Zeitung mit. Ein Satz, der so abenteuerlich klingt, dass er bis ins weit entfernte Raumschiff Elternzeit vordringen konnte. Immerhin konnte man im fernen China den Eindruck gewinnen, dass es diesmal ernst gemeint war mit den angekündigten Einsparungen. Anders als in den Vorjahren, als es auch Sommer für Sommer hieß, den Gehaltsetat reduzieren zu wollen, gab HSV-Chef Heribert Bruchhagen bekannt, die jährlichen Ausgaben für das Team von 56 auf 48 Millionen Euro herunterzufahren, ehe wieder Nuckelflaschen und Feuchttücher die China-Tage beherrschten.
Zurück aus der Elternzeit klangen die Ansagen plötzlich anders: „Die angedachten 48 Millionen werden Beweglichkeit nach oben erfahren“, kleidete Bruchhagen die Kurskorrektur in schöne Worte und vergaß nicht, ein paar wohlgemeinte Sätze über den vermögenden Fan zu verlieren: „Dank Herrn Kühne. Seine Unterstützung ist eminent wichtig für uns.“
Wie diese Unterstützung genau aussieht, dürfen Interessierte und HSV-Fans am Sonnabend auf Sky verfolgen. Nicht um 15.30 Uhr, sondern bereits ab 13 Uhr. Dann wird das gesamte Interview mit dem Investor ausgestrahlt, das bislang nur häppchenweise und viral mit ein paar Sätzen Tag für Tag präsentiert wird.
Bleibt nur noch die Frage, was man sich als Rückkehrer in die HSV-Welt wünschen soll: einen Auftakterfolg gegen Augsburg? Oder ein neues Raumschiff?