Der jährlichen Veranstaltung des HSV e. V. droht am Sonntag ein neuer Minusrekord – eine Reform ist daher längst überfällig.

Heribert Bruchhagen kennt das ja schon. Bei seiner letzten Mitgliederversammlung mit Eintracht Frankfurt im Februar 2016, als ihm die Hessen eine lebenslange Mitgliedschaft schenkten, verirrten sich gerade mal 400 Menschen ins Sportleistungszentrum am Riederwald. Am Sonntag, wenn der neue Vorstandsvorsitzende der HSV Fußball AG bei der Versammlung des e. V. seine Antrittsrede hält, werden ihn kaum mehr Mitglieder begrüßen. Im Gegenteil.

Kamen zur in vielerlei Hinsicht legendären Ausgliederungsveranstaltung im Mai 2014 noch 9700 HSV-Mitglieder, so waren es im Januar 2016 nur noch 309 – und im vergangenen Sommer 204, absoluter Minusrekord und angesichts von mehr als 76.000 Mitgliedern ein erschreckend geringer Wert.

Dass der Umzug in die Volksbank-Arena (das CCH steht in diesem Jahr wegen Umbauarbeiten nicht zur Verfügung) die Neigung der HSVer verstärken wird, sich einen schönen Sonntag jenseits des Fußballs zu machen, gilt als wahrscheinlich, schließlich stehen keine Präsidiumswahlen an, sondern nur Berichte der diversen Organe.

Der Bedeutungsverlust dieser Versammlung ist zum Teil selbst verschuldet, schließlich haben die Mitglieder einerseits kaum direkte Einflussmöglichkeiten: Das Präsidium wählt der neu formierte HSV-Beirat aus und kann von der Basis nur noch abgenickt werden, den Aufsichtsrat bestimmt die Hauptversammlung der Fußball-AG, also das Präsidium. Nachdem außerdem die AG-Verantwortlichen zuletzt jedwede Kritik unbeantwortet oder an sich abperlen ließen (wenn sie denn anwesend waren), machte sich bei vielen Mitgliedern das Gefühl breit: Eine Diskussions- oder Streitkultur ist nicht gewünscht. Gleichgültigkeit machte sich breit.

Ressortleiter der Sportredaktion vom Hamburger Abendblatt, Alexander Laux
Ressortleiter der Sportredaktion vom Hamburger Abendblatt, Alexander Laux © HA | Mark Sandten

Im Verein hat man längst erkannt, dass Handlungsbedarf besteht, und den Antrag auf Satzungsänderung gestellt, die zweite Sitzung im Sommer zu streichen – man benötigt sie schlichtweg nicht mehr. Sie verursacht unnötig allein 40.000 Euro an Organisationskosten. Intern ist sich das Präsidium aber genauso darüber im Klaren, dass eine Reform der verbleibenden Versammlung hermuss, die sich in dieser Form überholt hat.

Fakt ist, dass die Anziehungskraft des Clubs trotz des anhaltenden Misserfolgs ungebrochen ist. Erstens zeigte die Mitgliederentwicklung stets nach oben, zweitens treiben mittlerweile 7000 Menschen aktiv Sport im Verein, 500 mehr als noch vor einem Jahr. Diesen „Schatz“ gilt es jedoch deutlich besser zu pflegen, ob intern oder extern, um so die Identifikation zu stärken. Besonders in schweren Zeiten.

Oft genügen kleine Dinge, die ihre Wirkung entfalten. Wenn während einer Mitgliederversammlung weder Trainerstab noch Mannschaft anwesend sind, weil sie sich in Dubai auf die Rückrunde vorbereiten, verstärkt dies (ungewollt) die Distanz zu den Mitgliedern. Dabei wäre umgekehrt gerade jetzt ein Signal der Nähe wertvoll, um den Zusammenhalt zu demonstrieren. Für jeden Aufsichtsrat der AG sollte es selbstverständlich sein, sich für die Belange der Muttergesellschaft zu interessieren.

Fokussiert sich auf der anderen Seite alles auf das Abschneiden der Profiabteilung, geht immer mehr verloren, wofür der HSV schon immer stand und bis heute steht: nicht nur für ein 1:0 in der Fußball-Bundesliga, sondern für einen in der ganzen Stadt fest verankerten hanseatischen Verein mit seinen vielen Abteilungen.

Klar, eine Mitgliederversammlung sollte keinesfalls zum Partyevent verkommen, benötigt aber neue Elemente, um sie attraktiver, erlebbarer, greifbarer zu machen. Gelingt dies nicht und schwindet immer mehr das Interesse am Vereinsleben, könnte auch mittelfristig die Bereitschaft sinken, sich aktiv im HSV zu engagieren, zum Beispiel im Fanbereich. Weil man sich nicht mehr als Teil einer Familie begreift, sondern im Zweifel nur seinen Vorteil sucht, um seinen Sport betreiben zu können, sich ansonsten bewusst abgrenzt gegen das Milliarden-Spiel Fußball. Und das wäre wirklich gefährlich. Schließlich lebt der HSV davon, dass sich mehr als 800 Menschen ehrenamtlich beteiligen.