Im Streit um Großsiedlungen für Flüchtlinge verhärten sich die Fronten. Das ist unselig

Eigentlich wollte man ja miteinander reden, um eine Einigung zu finden zwischen der rot-grünen Rathausregierung und dem Verband „Initiativen für erfolgreiche Integration Hamburg“, der sich gegen Großsiedlungen für Flüchtlinge wendet. Doch statt einer Annäherung scheinen sich die Fronten zu verhärten. Während die Gespräche laufen, bringen sich beide Seiten zunehmend gegeneinander in Stellung.

So erteilen Bezirke Baugenehmigungen für weitere Flüchtlingsunterkünfte. Erst in dieser Woche kündigte Eimsbüttels Amtsleiter Torsten Sevecke (SPD) den Baustart im Herbst für 600 Flüchtlingswohnungen in Eidelstedt an, immerhin das zweitgrößte Bauvorhaben dieser Art in Hamburg. Um zu verhindern, dass bis zum Abschluss des laufenden Volksgesetzverfahrens schon einmal gebaut wird, starten Initiativen in sämtlichen Bezirken gleichlautende Bürgerbegehren. Die Gerichte werden weiter angerufen, Aktion und Reaktion kommen in immer kürzeren Abständen. Jetzt gründen Flüchtlingshelfer einen Verband unter dem Dach von „Hamburg inte­griert“, der zahlreiche Kräfte bündeln will und Front macht gegen den geplanten Volksentscheid der Initiative gegen Großunterkünfte – sicherlich beifällig beobachtet von Rot-Grün.

Eine solche Gegenbewegung hat es schon einmal bei einem Volksentscheid gegeben: Im Streit um die Primarschule schlossen sich Befürworter der Reform mit freundlicher Unterstützung von Senat und Bürgerschaft im Verein „Chancen für alle“ zusammen, um den Primarschulgegnern eine Kampagne entgegenzusetzen. Der Ausgang ist bekannt: „Wir wollen lernen“ siegte, der Primarschulplan war Geschichte.

In den aktuellen Gesprächen um die Flüchtlingsunterbringung ist ein Kompromiss nicht in Sicht. Das Misstrauen ist auf beiden Seiten groß. Die Bürgerinitiativen argwöhnen, dass der Senat mit neuen Unterkünften Fakten schafft, noch während verhandelt wird. In der Koalition hält man zentrale Forderungen der Initiativen – Unterkünfte für maximal 300 Menschen in einem Mindestabstand von einem Kilometer voneinander – für schlicht nicht umsetzbar. Und argwöhnt, manchem gehe es nicht nur darum, Großunterkünfte zu verhindern und bessere Integration zu ermöglichen, sondern auch darum, gar keine Flüchtlinge vor der eigenen Haustür zu haben.

Der Druck auf die Politik ist derzeit ungleich größer als der auf die Bürgerinitiativen. Wie groß, zeigt eine aktuelle Meinungsumfrage: 45 Prozent der Hamburger lehnen die geplanten Großunterkünfte ab. Das ist zwar keine übergroße Mehrheit der Bürger, zeigt aber, wie erbittert um einen Volksentscheid gestritten würde – mit ungewissem Ausgang. Deshalb will Rot-Grün diese Volksabstimmung unbedingt verhindern, muss aber zugleich sicherstellen, dass alle Flüchtlinge in Hamburg würdig untergebracht und Baumärkte geräumt werden. Ein Stillstand oder das von den Initiativen geforderte Moratorium ist unter diesen Umständen schwierig.

Aber auch deren Lage ist nicht ganz einfach: Wie weit kann der Dachverband, in dem viele unterschiedliche Initiativen vereint sind, hinter die formulierten Forderungen zurück gehen, für die auf der Straße Unterschriften gesammelt wurden?

Eine schwierige Ausgangslage also. Mit weiter sich verhärtenden Fronten, mit immer neuen Aktionen und Reaktionen ist niemandem gedient. Unversöhnlichkeit ist falsch, ja gefährlich: Ein Volksentscheid über Flüchtlinge, in dem es vordergründig um die Größe von Unterkünften geht, in dem sich aber vielschichtige andere Interessen und Gefühlslagen zu mischen drohen, wäre unselig. Deshalb der Appell: Geht aufeinander zu! Einigt euch!