Vor Europa kommt erst mal Mainz – und dann noch jede Menge Liga-Alltag. Ein Kommentar von Dieter Matz.

„Europapokal, Europapokal ...“ Immer dann, wenn die HSV-Fans beginnen, vom Europapokal zu singen, dann wird es kurios, gefährlich und aberwitzig. Vom Europapokal, das weiß eigentlich jeder, ist der HSV nämlich meilenweit entfernt. Aber wenn der Anhang des HSV von Europa singt und träumt, dann haben die Rothosen oftmals gerade einmal zwei Pflichtspiele ungeschlagen überstanden. Und das macht Mut. Und übermütig. Die Anhänger verleihen so ihrer seit Jahren ungestillten Sehnsucht Ausdruck, dass ihr Club endlich einmal wieder internationale Luft schnuppern möge.

Zwei 3:1-Siege lassen den Optimismus in und um Hamburg herum gleich mächtig in die Höhe schnellen. Verdrängt und fast vergessen sind zwei Jahre, in denen von vier Relegationsspielen gegen die Zweitliga-Dritten nur eines mit Fußball-Gottes Hilfe gewonnen werden konnte. Die Entbehrungen aber, jahrelang ohne europäischen Einsatz auskommen zu müssen, ließen die einst so erfolgsverwöhnten Hamburger, die 1983 an der Spitze Europas standen, feinfühliger werden. Sie lechzen geradezu nach den internationalen Spielen, die der HSV „ja eigentlich immer auszutragen hatte“.

„Europapokal.“ Ganz kühne Optimisten sprechen schon wieder etwas lauter davon, etliche träumen im Verborgenen. Motto: „Still und heimlich darf man das wohl schon mal wieder.“ Und dann wird folgende Rechnung aufgemacht: „Außer im Spiel gegen die Bayern war der HSV mit jedem Gegner auf Augenhöhe – selbst beim 0:3 in Berlin. Zudem steht fest: In Köln durfte man nie 1:2 verlieren, doch gab es dort diesen ominösen Elfmeter. Und gegen Hannover hätte man zur Pause schon uneinholbar 4:0 führen müssen. Diese vier Punkte fehlen, sonst würden wir zu den Bayern-Verfolgern gehören.“

Europapokal eben. Ein Wettanbieter hat sogar schon sein Programm erweitert. Dort kann der geneigte Fußball-„Experte“ auf den Champions-League-Teilnehmer HSV wetten – Start Saison 2016/17.

Was eine kleine Erfolgsserie so alles bewirken kann. Der Wunsch ist, wie so oft, auch hier Vater des Gedankens. Und irgendwie wäre es ja auch wunderbar, wenn der HSV im nächsten Sommer wieder international ...

Hieß es früher nämlich oft (wahrscheinlich fälschlich), dass in der Europa-League erst ab dem Viertelfinale Geld zu verdienen sei, so hat die Uefa den finanziellen Anreiz des „Verlierer-Cups“ (so einst die Lichtgestalt Franz Beckenbauer) nun deutlich erhöht. Die Antrittsgage für die Gruppenphase, in der sich jetzt gerade Schalke, Dortmund und Augsburg befinden, beträgt 2,4 Millionen – sie ist verdoppelt worden. Für einen EL-Sieg gibt es 360.000 Euro (vorher 200.000), für ein Unentschieden 120.000 (statt 100.000). Die Prämien sind insgesamt um 65 Prozent erhöht worden. Das Sechszehntel­finale bringt eine halbe Million (vorher 200.000); das Achtelfinale 750.000 Euro (statt 350.000), das Viertelfinale eine Million (vorher 450.000), für das Halbfinale gibt es 1,5 Millionen (statt bisher einer), und im Finale gibt es für den Sieger 6,5 Millionen (statt bislang fünf), für den Verlierer immerhin noch 3,5 Millionen (vorher 2,5). Zudem liegen im Uefa-Werbepool 152,4 Millionen, die unter den Vereinen leistungsmäßig verteilt werden, bei weiten Reisen gibt es Zuschüsse, und die Zuschauereinnahmen dürfen behalten werden. Wenn das nichts ist!

Und bei jenem Minus von 16,9 Millionen, das der HSV gerade verkündete, wäre natürlich jedes Milliönchen herzlich willkommen. Dennoch, daran sollten sich alle, Fans, Spieler, Trainer und Funktionäre, die es gut mit dem HSV meinen, orientieren: Singt und sprecht bitte nicht vom Europapokal! Das ist das Gebot der Stunde. Haltet den Ball flach. Für internationale Aufgaben muss dieser HSV erst wieder erstarken. Mit Konstanz. Das ist das Zauberwort. Und das dauert noch. Ganz sicher.

Schon morgen muss sich der HSV wieder beweisen. Gegen Mainz 05. Das wird schwer genug. Deshalb ist es äußerst wohltuend, dass einer auf jeden Fall nicht ins Lager der Europapokal-Träumer abdriftet: Bruno Labbadia. Er ist und bleibt Realist – und das ist nicht nur gut so, sondern auch vorbildlich.

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ erscheint auch täglich
im Internet unter http://hsv-blog.abendblatt.de.