Die Gewerkschaften drohen zu überziehen – am Ende gefährden sie ihre eigenen Jobs.

Eine seltsame Streitlust hat die Deutschen gepackt: Zunächst waren es Weselskys Lokführer, die Deutschlands Bahnen zum Stillstand brachten, dann die Erzieher in den Kitas, die Eltern an den Rande des Nervenzusammenbruchs streikten. Nun sind die Postmitarbeiter im Ausstand, an der Berliner Charité legen seit gestern Pfleger ihre Arbeit nieder – und nun drohen auch noch die Flugbegleiter der Ufo, die Lufthansa-Ferienflieger zu Boden zu zwingen. So viel Streik war selten. 500.000 Arbeitstage fielen im laufenden Jahr wegen diverser Arbeitskämpfe aus, so viele wie seit 1993 nicht mehr.

Oberflächlich betrachtet muss das kein schlechtes Zeichen sein. Es kündet von starken Gewerkschaften, die ihre Interessen durchzusetzen vermögen, und es zeigt, dass es in Deutschland wieder etwas zu verteilen gibt. Tatsächlich haben die Arbeitnehmer im vergangenen Jahrzehnt auf größere Lohnzuwächse verzichtet und damit die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen gestärkt. Ein Ausstand ist auch nicht, wie Arbeitgeber gern glauben machen, mit dem Untergang des Standortes gleichzusetzen. Von südeuropäischen Verhältnissen ist Deutschland noch weit entfernt.

Und doch beginnt die Serie von Streiks an zentralen Nervenbahnen der modernen Gesellschaft das Leben vieler zu lähmen und die Wirtschaft zu blockieren. Familien beispielsweise waren die besonderen Leidtragenden der maßlosen Streiks der Gewerkschaft der Lokomotivführer und der Kita-Erzieher. Wenn die festgebuchte Betreuung der Kinder über Wochen ausfällt und zudem noch ein vermeintlich zuverlässiger Nah- wie Fernverkehr zum Stillstand kommt, erschüttert das das eng getaktete Leben von Familien. Wer daran zweifelt, darf gerne mal Mütter und Väter kleiner Kinder fragen.

Viele dieser Streiks treffen nur am Rande den Gegner im Tarifkonflikt, sondern allen voran die Bürger. Die Streiks schwächen das Vertrauen in das Funktionieren der Daseinsvorsorge und damit der Gesellschaft. Hier werden dann auch die Warnungen der Arbeitgeberverbände plausibel. Als Stärke des Standortes galt stets der soziale Frieden. Der DGB war sich in den vergangenen Arbeitskämpfen dessen stets bewusst. Wenn sich nun vor allem kleine Einzelgewerkschaften wie die irrlichternde GDL oder Ufo nur noch um ihre Partikularinteressen kümmern, gerät dieser Frieden in Gefahr.

Und noch einen Aspekt sollten die Streikenden nicht aus dem Blick verlieren. Ein Ausstand muss zwar wehtun, damit die Arbeitgeber reagieren. Er darf aber nicht die eigenen Unternehmen nachhaltig schwächen. Die GDL hat die Bahn bereits ins Mark getroffen; viele Reisende steigen auf Fernlinienbusse um, große Unternehmen verlagern ihre Warentransporte dauerhaft auf die Straße. Der wochenlange Streik an staatlichen Kitas hat das Interesse an konfessionellen oder privaten Kitas erhöht. Um die einstmals so zuverlässige Lufthansa machen Kunden bereits einen Bogen, weil man nie weiß, wer von den Kleinstgewerkschaften gerade wieder großen Krawall schlägt. Und die Konkurrenten der Post freuen sich über das Geschäft ihres Lebens – so viele private Paketboten sah man selten. Am Ende könnten die Streikenden an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Dass Ver.di ausgerechnet noch die Paketboten in den Ausstand schickt, die am besten bezahlt werden, macht die Sache nicht besser. Dem Anspruch der Gewerkschaften wird man so nicht gerecht.

Ob Ver.di, GDL oder Ufo – sie alle benötigen nicht nur den Streikwillen der Beschäftigten, sondern auch ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Solidarität. Diese aber schwindet mit jedem neuen Streik.