Deutschland darf nicht zum Hochsicherheitstrakt werden.
Die Bundesrepublik Deutschland, viertgrößte Wirtschaftsmacht der Erde, hat rund 82 Millionen Einwohner. Seit gestern fragt sich diese große Nation, wie sehr sie sich vor zwei oder auch vier einzelnen Personen fürchten muss, die in Kürze Anschläge verüben könnten - auf Bahnhöfe, Weihnachtsmärkte oder Kongresse. Destabilisierung durch Angst ist das perfide Wesen des Terrors.
Innenminister de Maizières Chronik eines angekündigten Anschlags klingt in höchstem Maße alarmierend. Doch Deutschland lebt bereits seit Jahren im Schatten von al-Qaida und ihren mörderischen Metastasen. Überlegungen mancher politischer Zirkel, der im Verhältnis zu Amerikanern und Briten sanftere militärische Ansatz in Afghanistan werde den Terror von unserem Land schon fernhalten, waren von Anfang an naiv. Aber auch ohne den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch bietet sich Deutschland als Terrorziel für Radikal-Islamisten an - einfach aufgrund seiner demokratisch-pluralistischen Gesellschaftsordnung, der christlich-jüdischen Kulturtradition sowie der starken Position im westlichen Wirtschaftssystem.
Andere europäische Nationen wie Großbritannien oder Spanien waren bereits Tatorte verheerender Anschläge. Deutschland blieb vor allem aus drei Gründen bislang verschont: wegen der guten Arbeit der Sicherheitsbehörden im Vorfeld, der ausgefeilten Kontrollen im ganzen Land und nicht zuletzt wegen der Inkompetenz der bisherigen Täter. Doch die Bedrohungslage verschärft sich: Aus den Terrorlagern im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet kommen nun besser ausgebildete deutschstämmige Terroristen, die sich hierzulande weitaus unbeschwerter bewegen könnten. Die in anderen westlichen Staaten längst bekannte Entwicklung des im eigenen Lande beheimateten Terrorismus ist für Deutschland relativ neu.
Absolute Sicherheit vor Anschlägen ist leider in einem so komplexen, offenen Gemeinwesen wie dem unseren nicht möglich. Verstärkte internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste und Polizeibehörden; Wachsamkeit der Bürger sowie weiterer Ausbau der Kontrollen bieten allerdings einen weitreichenden Schutz. Doch dies wiederum ist eine Frage sensibler Dosierung. Deutschland darf nicht zu einem Hochsicherheitstrakt werden, bewohnt von chronisch argwöhnischen Insassen - denn eine derartig negative Veränderung unserer freien Gesellschaft wäre ein Sieg für al-Qaida. Natürlich sind viele Menschen jetzt beunruhigt. Angst ist jedoch einmal definiert worden als die andere Hälfte von Mut. Nur unter diesem Aspekt ist eine Terrorwarnung sinnvoll.