Gabriel und Kraft spielen mit ihrer Verantwortung.
Der Zeitpunkt war makaber, die Begründung fadenscheinig. Gestern, am 17. Juni, dem Jahrestag des Volksaufstands in der DDR, haben die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen die Wende eingeleitet. Hannelore Kraft will jetzt mit der Linkspartei zusammenarbeiten. Angeblich, weil der FDP-Landesvorsitzende in einem Zeitungsinterview auf Distanz zum geschäftsführenden Ministerpräsidenten Rüttgers gegangen war.
Kraft hatte eine rot-grüne Minderheitsregierung, die sich auf Stimmen der Linken stützt, stets abgelehnt. Sie werde das größte Bundesland nur verantwortungsvoll regieren, sagte sie. Für Harakiri sei sie nicht zu haben.
Nun ist sie es doch. Weil die nordrhein-westfälische SPD-Landesvorsitzende unbedingt Ministerpräsidentin werden will, macht sie sich von einer Partei abhängig, die sie wiederholt als "nicht regierungs- und koalitionsfähig" bezeichnet hatte. Kraft bindet sich an eine Partei, mit der Sondierungsgespräche im Ansatz gescheitert sind, weil sich ihre Repräsentanten weigern, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Die Frau, die regieren will, nimmt in Kauf, dass sie mit Andrea Ypsilanti verglichen wird - jener hessischen Sozialdemokratin, deren Name für Wortbruch steht.
Das Risiko, das Sigmar Gabriel eingeht, ist ähnlich groß. Auch der SPD-Bundesvorsitzende hatte den nordrhein-westfälischen Linken die Befähigung abgesprochen, Verantwortung für das Land zu übernehmen, bevor er sich machtvoll für eine Minderheitsregierung einsetzte. Vordergründig treibt ihn die Aussicht, zentrale Projekte der Bundesregierung im Bundesrat aufzuhalten - etwa die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke. Dies allerdings wäre auch möglich gewesen, wenn sich die Sozialdemokraten auf eine Große Koalition eingelassen hätten. Sigmar Gabriel geht es um mehr. Er sieht die schwarz-gelbe Bundesregierung schlingern. Er will Kanzler werden, spätestens 2013. Rot-Grün, unterstützt von der Linkspartei, soll ein Testlauf sein für den Bund.
Ein Signal wird Nordrhein-Westfalen in jedem Fall. Scheitert die instabile Konstruktion, dürften sich Gabriel und Kraft am Ende doch in ihrer ersten Einschätzung bestätigt finden: Im Westen ist mit der Linken kein Staat zu machen.