Hamburg. Karl Lauterbach ist wieder bei Markus Lanz zu Gast. Er spricht über den Herbst – und seinen letzten, stark kritisierten Auftritt.
Jahrelang wurde er nicht ernst genommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo), wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert? Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen? Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen, und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an. Hier lesen Sie seine Berichte über das Leben mit Lanz.
24. Mai
Gäste: Soziologe Gerald Knaus, Journalistin Cordula Tutt, Agrarökonom Matin Qaim
„Sigmar Gabriel: Der Ex-Vizekanzler (SPD) und ehemalige Außenminister nimmt Stellung zum innereuropäischen Streit um Energie-Embargos gegen Russland sowie zur Ostpolitik seiner Partei.“ Die Ankündigung klang interessant, und Markus Lanz hatte sich seit Längerem auf den Besuch von Sigmar Gabriel gefreut. Allein: der Politiker kam nicht, obwohl er noch wenige Stunden vor der Ausstrahlung der Sendung fest auf der Gästeliste stand. Die kurzfristige Absage brachte Lanz in die schwierige Situation, eine politische Talkshow ohne einen Politiker machen zu müssen, die saßen an diesem Dienstag in Gestalt von Ralf Stegner (SPD) und Norbert Röttgen (CDU) bei Sandra Maischberger.
Röttgen hat ein „Manifest in Zeiten des Krieges“ veröffentlicht, und er stellt die Frage, was es eigentlich bedeutet, wenn Olaf Scholz sagt, dass Russland den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen darf. „Das ist eine Formulierung, die stimmt, aber sie ist unklar“, so der Außenpolitiker. Es ginge darum, dass „Russland aus diesem Krieg kein Vorteil erwachsen darf“ und mindestens der Status ante quo wiederhergestellt werde: „So viel Klarheit muss sein, und genau diese Klarheit fehlt. Es ist das Fortleben alten, ich würde auch sagen: sozialdemokratischen, Denkens, dass wir mit Russland umgehen müssen wie mit einem rohen Ei.“ Genau darüber hatte Lanz mit Sigmar Gabriel sprechen wollen und über die neue (europäische) Ostpolitik, der Röttgen in seinem Manifest ein ganzes Kapitel widmet.
Markus Lanz: Hier wird Politik gemacht
Jetzt sitzt auf dem Stuhl neben dem Moderator, der normalerweise der Politiker-Platz ist, der Soziologe Gerald Knaus und sagt: „Die große Frage, was in einem, in zwei, in fünf Jahren die Beziehung zwischen der Ukraine und Europa sein soll, wie die Ukraine dann aussehen soll und ob man bereit ist, Teile der Ukraine zu opfern für irgendeinen Frieden, die ist tatsächlich hinter dieser oberflächlichen Einigkeit in der EU noch nicht gelöst.“
25. Mai
Gäste: Politiker Karl Lauterbach (SPD), Ulrike Scharf (CSU) Journalistin Mariam Lau, Ärztin Alicia Baier
Intern haben Markus Lanz und Karl Lauterbach längst über die Sendung Anfang April gesprochen, die die beiden in die Schlagzeilen gebracht hat. Damals hatte der Bundesgesundheitsminister bei Lanz eine neue Regel zum Umgang mit Corona-Infizierten kassiert, was nicht nur andere Politikerinnen und Politiker, sondern auch Journalisten empört hatte, nach dem Motto: So, also in einer „Talkshow“, könne man nicht Politik machen. Jetzt ist Lauterbach zum ersten Mal seit fast zwei Monaten wieder bei Lanz, und die beiden können es sich nicht verkneifen, das Thema noch einmal aufzugreifen, und manchmal grinsen sie dabei.
- Lanz: sagt: „Gibt es irgendetwas, was wir wissen müssen, was Sie heute verkünden möchten?“
- Lauterbach: „Nein, das hat mir schon beim letzten Mal genug geschadet, dass ich hier etwas verkündet habe ...“
- Lanz: „Aber es war ja gar kein Verkünden, es war die Antwort auf eine Frage.“
- Lauterbach: „Es war die Antwort auf eine Frage, der ich vielleicht geschickter hätte ausweichen können. Aber wie dem auch immer sei: Wenn Neuigkeiten in der Zeitung verkündet werden, ist das also unproblematisch. Das machen viele Kolleginnen und Kollegen von mir, exklusiv in der ,Zeit‘ und so weiter und so fort, da ist man dann stolz. In einer Talkshow ...“
- Lanz: „Ich nenne es nicht Talkshow, ich nenne es eine Gesprächsrunde.“
- Lauterbach: „In einer Gesprächsrunde ist das noch nicht salonfähig. Aber alles gut, Hauptsache, die Entscheidung war richtig und das ist sie.“
- Lanz: „Nach wie vor?“
- Lauterbach: „Nach wie vor. Es ging ja damals darum, ob diejenigen, die infiziert sind mit Covid, per Anordnung isoliert werden müssen oder ob das freiwillig geschieht. Und eine angeordnete Isolation durch die Gesundheitsämter ist richtig, das hatte ich hier angekündigt. Ich habe ja ein paar Stunden später ohnedies die Grünen und auch die FDP informiert, es war somit ein paar Stunden vorher hier in der Sendung gesagt worden, aber das ist nicht guter Stil, und von daher: Heute keine Ankündigungen.“
Das stimmt nicht ganz, denn Karl Lauterbach erzählt wie immer relativ offen, was ihn bewegt und was er plant. Ihm mache eine neue Corona-Welle im Herbst deutlich größere Sorgen als das Affenpocken-Virus, das in den vergangenen Tagen gehäuft in Europa aufgetreten ist, „daraus wird sicher keine Pandemie“.
Lanz: Kurze Nettigkeiten, dann Direktfeuer
Und der Gesundheitsminister verrät, dass die Bundesregierung für Herbst und Winter Chargen von drei verschiedenen Impfstoffen bestellt habe, die je nach dem Corona-Virustyp zum Einsatz kommen sollen, der ab September dominant ist. Man wolle sich diesmal nicht vorwerfen lassen, schlecht vorbereitet zu sein, sagt Lauterbach, aber Lanz hat sowieso noch eine andere Frage: „Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zum Bundesjustizminister, zu Marco Buschmann?“ „Gut“, sagt Lauterbach. „Wir haben sehr häufig eine andere Meinung ...“
26. Mai
Gäste: Politiker Bijan Djir-Sarai (FDP), Journalistin Ulrike Herrmann, Meteorologe Mojib Latif, Autor Sascha Lobo
Der erste Auftritt bei Markus Lanz ist für einen Politiker immer der schwierigste. Bijan Djir-Sarai kommt in seiner Position als neuer Generalsekretär der FDP nicht drum herum. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört es, für seine Partei zu sprechen, auch in der Sendung, die der FDP-Vorsitzende Christian Lindner seit Jahren meidet wie ein Düsseldorfer die Kölner Innenstadt.
Lanz begrüßt ihn als den „Newcomer des Abends“, das klingt noch nett, legt dann aber nach: „Man könnte auch sagen, ein Mann mit genau drei Problemen, Saarland, Schleswig-Holstein und NRW. Bei allen drei Landtagswahlen lief es für seine FDP so unteriridisch, dass er direkt in der Defensive war, und irgendwie wird es auch nicht besser. Marie-Agnes Strack-Zimmermann legt sich immer wieder mit der eigenen Regierung an (...) Man erkennt da ja schon ein Muster, die FDP ist Regierung und Opposition in Personalunion, man hat zeitweise sogar das Gefühl, dass Teile der FDP ganz in der Opposition sind.“
Härte Abende bei Markus Lanz
Die „taz“-Journalistin Ulrike Herrmann sagt: „Ich glaube, dass das eigentlich immer die Strategie der FDP war, wenn sie an der Regierung war. Das Problem der FDP war immer, Sichtbarkeit zu organisieren. Das ist eine Partei , die permanent gegen die Fünf-Prozent-Hürde ankämpft und immer die Angst hat, darunterzufallen. (...) Dazu gehört diese Strategie der regierungsinternen Opposition.“
Autor Sascha Lobo fragt, ob er noch etwas hinzufügen darf, und macht es einfach: „Die CSU hatte genau dieses Programm, dass sie, wenn sie an der Regierung war, massiv Oppositionsarbeit leistete. Vielleicht ist das einfach ein Teil der bundesdeutschen DNA, dass eine von den Parteien immer so ’n bisschen piksen muss. Ich finde das ehrlich gesagt auch als Konzept gar nicht so ganz falsch ...“
- Lanz: „... schön erfrischend auf jeden Fall.“
- Djir-Sarai: „Ich wusste ja, dass der Abend hart wird, aber nicht so hart, dass man die FDP mit der CSU vergleicht.“
Es geht noch härter, als Ulrike Herrmann, in diesem Jahr vor Robin Alexander die angriffslustigste Journalistin, die regelmäßig bei Lanz sitzt, aufzählt, wer alles die FDP nicht mehr wählt: „Sie werden nicht von Frauen gewählt“, sagt sie dem Generalsekretär der Liberalen ins Gesicht, „Sie werden nicht von Senioren gewählt, Sie werden nicht von Beamten gewählt. Es gibt nur noch eine einzige Gruppe, die die FDP wählt, das sind junge Männer, die gut verdienen.“ Bijan Djir-Sarai gibt zu, dass die FDP ein Frauenproblem hat, er habe sich als Ziel gesetzt, „insgesamt das Thema Diversität in dieser Partei noch vorn zu bringen, daran soll man mich messen“ (...) Eine liberale Partei ist nicht komplett, ...“
„... wenn alle aus NRW kommen“, unterbricht ihn Lanz, und lenkt das Gespräch auf die Frage, ob die wichtigsten Posten in der FDP eigentlich alle allein von Christian Lindner vergeben werden, „muss man den gut kennen, um in der FDP Karriere zu machen?“ Eine Antwort gibt wieder Ulrike Herrmann: „Es ist schon gut, wenn man aus Nordrhein-Westfalen kommt und Christian Lindner lange kennt. Ich glaube, was auch wichtig ist, ist, dass man ein Mann ist, dass man aus dem Westen ist und dass man zu einer bestimmten Jahrgangsgruppe gehört.
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Also Lindner ist Jahrgang 1979, Herr Djir-Sarai ist Jahrgang 1976, Christian Dürr, Fraktionsvorsitzender, ist Jahrgang 1977, und Marco Buschmann, unser Justizminister, ist auch Jahrgang 1977. (...) Das führt zu diesem Effekt, dass sich Frauen von der FDP nicht angesprochen fühlen.“
Die Begeisterung von Christian Lindner, doch einmal wieder eine Einladung von Markus Lanz anzunehmen, wird nach dieser Sendung nicht steigen. Das ist eine Erkenntnis nach diesen 75 Minuten, es gibt noch zwei weitere. Das Interesse der Zuschauer, ständig und nur Gespräche über den Ukraine-Krieg zu hören, muss zurückgegangen sein, denn auch im Verlauf der Sendung streift Lanz das Thema nur am Rande, vor allem geht es um den Klimawandel. Und: Während ZDF-Kollegin Maybrit Illner zu Christi Himmelfahrt eine Feiertagspause einlegt, zieht Markus Lanz durch. „Warum auch nicht?“, sagt er. Gibt ja viel zu besprechen.