Hamburg. Wie die Sendung mit SPD-Chef Lars Klingbeil zu einer Blaupause für die Talkshow wird – und Jens Spahn einen Comeback-Versuch startet.

Jahrelang wurde er nicht ernst genommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo), wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert?

Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen? Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen, und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an. Hier lesen Sie seine Berichte über das Leben mit Lanz.

 17. Mai, Gäste: Politiker Lars Klingbeil (SPD), die Journalisten Kerstin Münstermann und Christoph Reuter, Sozialpsychologe Harald Welzer

Wenn es so etwas wie eine Blaupause für die Sendungen von Markus Lanz geben würde, wäre es diese Folge vom 17. Mai, in der all die großen Themen zur Sprache kommen, die Lanz wichtig sind. Es geht um die politische Kommunikation in Deutschland, die ihm nicht klar genug ist, und um Politiker, die Bürgerinnen und Bürger unterschätzen, es geht um sein Faible für Robert Habeck, der es anders (und besser) macht, und es schimmert durch, warum die Sendung nicht „Talk vor Mitternacht“ heißt, sondern Markus Lanz. Wie in wenigen anderen Sendungen kann man die (politische) Haltung des Moderators spüren.

Ausgangspunkt für all das ist die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag, bei der die CDU und die Grünen stark an Stimmen gewonnen, die SPD und die FDP ebenso stark verloren haben. Lanz stört sich an der ständig wiederkehrenden, ritualhaften Art von Parteichefs und -Generalsekretären, Wahlergebnisse so zu deuten, wie es ihnen passt, und selbst bei deutlichen Niederlagen noch von der Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung zu sprechen.

Er holt weit aus, als er sagt: „Von 13 Millionen Wahlberechtigten gehen sechs Millionen (in Nordrhein-Westfalen) einfach nicht hin. Woher kommt das, hat das auch mit dieser Art zu kommunizieren zu tun? Bitte, ich will das jetzt nicht übergewichten, aber man hat das Gefühl: Die verkaufen uns das eh, wie sie wollen, und eigentlich nehmen wir das dementsprechend nicht mehr ernst, was dramatisch wäre. (…) Ich finde schon, dass man mal verhandeln muss, in welcher Sprache wir eigentlich miteinander reden. (…) Und meine Erfahrung ist: Wenn man den Leuten etwas zumutet, wenn man den Leuten differenzierte Kommunikation anbietet, verstehen sie das erstaunlicherweise. Und wenn es so unterkomplex wird, so ganz schlicht, ehrlich gesagt ein bisschen für Doofies, so nach dem Motto: Guck mal, Schwarz-Gelb ist abgewählt, war das nicht ein großartiger Abend für uns, dann kriegen die Leute einen Hals. (…) Das ist Marketing, das ist Politikverkaufe. Wenn Sie jemanden wie Robert Habeck sehen, zum Beispiel, der sehr differenziert kommuniziert …“

Es hört sich an, als würde Markus Lanz seine eigene Strategie, wenigstens die Strategie seiner Sendung beschreiben, und er wird auch wenig später grundsätzlich, als er so lange über die Versäumnisse und Fehler der SPD redet, Kritiker würden sagen: referiert, dass der direkt angesprochene Klingbeil kaum zu Wort kommt. Lanz sagt: „Kommen wir mal auf den Bundeskanzler, Herr Klingbeil. Sie sagen, eigentlich geht es da jetzt um soziale Fragen, ich glaube das auch. Darum geht es ganz sicher auch. Aber geht es am Ende nicht darum, mal Verantwortung zu übernehmen, wirklich ernsthaft Führung zu übernehmen? Wenn wir uns beispielsweise den Kurs angucken in der Frage der Waffenlieferungen, wo positionieren wir uns eigentlich? Ich denke manchmal, wenn Olaf Scholz seine eigenen Interviews glauben würde, müsste er davon ausgehen, dass er jetzt den Dritten Weltkrieg ausgelöst hat. In den ersten Interviews klang er so, als würde es sofort den Dritten Weltkrieg auslösen, wenn Deutschland schwere Waffen liefert. Dann macht er die komplette Kehrtwende und sagt: Wir liefern schwere Waffen, wir liefern sogar Panzer. Glaubt er seinen eigenen Interviews oder glaubt er ihnen nicht? An welcher Stelle übernehmen wir welche Verantwortung? Wenn es um die Selbstlüge einer ganzen Politikergeneration geht, wenn es um die Abhängigkeit von russischer Energie zum Beispiel geht, wo ist die große Konsequenz aufseiten der SPD? Ist es nicht dieses ,Kopf in den Sand stecken‘, von dem Christoph Reuter (einer der heutigen Gäste) immer spricht, wo ist die große Konsequenz? Wo ist die Aufbereitung im Fall Nord Stream 2? Wo ist die Aufarbeitung im Fall Manuela Schwesig? Wo ist beispielsweise die Konfrontation mit der Verteidigungsministerin, mit Christine Lamprecht?“

Man kann sich nach so einem verbalen Angriff kaum vorstellen, dass Markus Lanz hinterher wieder fröhlich und friedlich mit Lars Klingbeil in der Garderobe sitzt und Fotos von ihm macht. Aber das ist mindestens so typisch für den Moderator, wie es diese Sendung war.

18. Mai, Gäste: Politiker Jens Spahn (CDU), Eva Högl (SPD), Journalistin Kristina Dunz, Historiker Sönke Neitzel

Zwei Jahre lang haben sich Markus Lanz und Jens Spahn nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen, der CDU-Politiker hat alle Einladungen zu einem Besuch im Hamburger Fernsehstudio abgelehnt. Dass er nun wieder da ist, hat nichts damit zu tun, dass er plötzlich Gefallen an der Sendung gefunden hätte.

Der ehemalige Gesundheitsminister weiß, was ihm bei seinem Lanz-Comeback droht, die Fragen zu seinem Karriereknick, seinem Verhältnis zum Parteivorsitzenden Friedrich Merz, den er lange bekämpft hat, und so weiter. Er weiß aber auch, dass er da durch muss, wenn er zurück auf die große politische Bühne will, und genau das scheint sein Ziel zu sein. Am Sonntag war Spahn bereits bei Anne Will, er hat sich den Zeitpunkt bewusst ausgesucht, nach den für die CDU sehr erfolgreichen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Jetzt sitzt er bei Lanz, und der hat sichtlich Freude daran, dass der Bann gebrochen ist, gönnt sich ein paar Spötteleien („Wir haben uns gefragt, was Sie aktuell machen?“, „Wo sitzen Sie eigentlich im Bundestag?“), gibt dem Politiker aber das, was er so dringend braucht: Sendezeit, viel Sendezeit, am Ende dreht sich fast eine Dreiviertelstunde alles um Jens Spahn. Der Krieg in der Ukraine wird durch seinen Auftritt zu einem Randthema. Und obwohl Lanz und die Journalistin Kristina Dunz den Politiker in einer ungewöhnlichen Form ins Kreuzverhör nehmen, nämlich, indem sie über ihn in der dritten Person sprechen, so, als würde er gar nicht im Studio sein, gelingt es Spahn im Verlauf der Sendung, das Gespräch zu seinen Gunsten zu drehen.

Die Lacher der TV-Zuschauer hat er spätestens nach einer Szene auf seiner Seite, in der Lanz Aufstieg und Fall des Politikers in dramatische Worte kleidet. Der Moderator sagt: „Sie werden Gesundheitsminister, haben sich endlich nach da oben durchgeboxt, es kommt diese Pandemie. Plötzlich werden Sie einer der wichtigsten Politiker Deutschlands, und plötzlich sind Sie der beliebteste Politiker dieses Landes und sondieren schon mal, wie die Möglichkeiten sind als Parteivorsitzender und möglicher Kanzlerkandidat. Und plötzlich ist alles vorbei, plötzlich kippt das Ding, plötzlich ist man Anfeindungen ausgesetzt, plötzlich ist nichts mehr richtig, was man macht, plötzlich kann man es keinem mehr recht machen, und plötzlich sitzt man dann …“

Spahn vollendet den langen Satz: „… bei Markus Lanz.“

Auch interessant

Auch interessant

Auch interessant

19. Mai, Gäste: die Politiker Sahra Wagenknecht (Linke) und Johannes Vogel (FDP), Journalist Paul Ronzheimer, Politologin Daniela Schwarzer 

Markus Lanz muss jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Linken-Politikern in seine Sendung einladen. Das schreibt das ZDF vor, und das ist einer der Gründe, warum Sahra Wagenknecht regelmäßig auf dem Stuhl Nummer eins, direkt neben dem Moderator, Platz nimmt. Ein anderer ist, dass es zwischen Lanz und Wagenknecht, so hat er es einmal gesagt, „eine hohe Wertschätzung gibt. Ich mag die, weil sie bis in die Tiefe hinein Dinge durchdringt, und ich mag auch das leicht Autistische an ihr“. Wobei es dabei offenbar Grenzen gibt. Als es in der Diskussion um die Frage geht, ob die Ukra­ine den Krieg gegen Russland gewinnen könne, sagt Wagenknecht:

„Die Frage ist, was soll heißen, sie gewinnt ihn? Soll das heißen, die Russen ziehen sich komplett aus allem zurück, von der Krim, aus dem Donbass, von überall?“

Lanz: „Wäre das nicht das Beste?“

Wagenknecht: „Das kann man durchaus so sehen …“

Lanz: „Und wie sehen Sie das? Sie?“

Wagenknecht: „Ich halte das nicht für realistisch.“

Lanz: „Das ist nicht die Frage. Würden Sie es richtig finden, wenn die Russen sich von der Krim und aus der Ostukraine zurückziehen würden?“

Wagenknecht: „Ich hätte es für besser gefunden, wenn es überhaupt nie die Abspaltung der Krim gegeben hätte …“

Lanz: „Frau Wagenknecht, ich schätze Sie wirklich sehr …“

Der Journalist Paul Ronzheimer geht dazwischen: „Wenn Sie nicht einmal diese Frage beantworten können …“

Wagenknecht bringt Verständnis für Putin und die anderen Gäste gegen sich auf, als sie im weiteren Verlauf der Sendung Sätze sagt wie diesen: „Ein Punkt ist ja durchaus nachvollziehbar: Dass Russland nicht möchte, dass auch in der Ukraine irgendwann Raketenbasen (der Nato) stehen, so wie jetzt in Rumänien und Polen, wo dann Raketen Moskau in fünf Minuten erreichen können. (…) Ich wünschte mir, all die, die jetzt diesen Krieg so wortreich verurteilen, hätten mit gleicher Intensität und Moralität auch den Irak-Krieg, den Afghanistan-Krieg, den Libyen-Krieg verurteilt, und wo vor allem die USA und ihre Verbündeten die Kriegführenden waren.“

Lanz versucht es an dieser Stelle ein weiteres Mal, indem er seine Frage „in Erinnerung“ ruft: „Ich habe Sie gefragt, ob es gut wäre, wenn sich die Russen von der Krim und aus dem Donbass zurückziehen.“

Wagenknecht setzt an: „Also, man muss wissen …“

Lanz sagt: „Meine Frage kann man mit Ja oder Nein antworten“, und er weiß, dass er diesmal keine Antwort bekommen wird. Und dass Sahra Wagenknecht immer ein Risiko ist, wenn man eine Sendung machen will, in der es nicht krachen soll.