Hamburg. Der Moderator kann auch ohne Streit. Ukraine-Krise und „Helikopter-Mutter“ Christine Lambrecht verdrängen Schleswig-Holstein-Wahl.
Jahrelang wurde er nicht ernst genommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo), wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert?
Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen? Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen, und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an. Hier lesen Sie seine Berichte über das Leben mit Lanz.
10. Mai (Gäste: Politiker Anton Hofreiter, Journalist Michael Bröcker, Politikwissenschaftlerin Liana Fix und Arzt Lars Pohlmeier)
Spätestens seit seinem letzten Besuch bei Lanz gilt der grüne Anton Hofreiter als der heimliche Waffenexperte in seiner Partei. Der Mann, der früher als Biologe wochenlang allein im südamerikanischen Dschungel unterwegs war, denkt heute bei den Stichworten Gepard oder Marder nicht mehr an Artenschutz, sondern an Panzer. Früher hat er Lilien getrocknet, jetzt rasselt er Panzernamen runter wie Lateinvokabeln.
Sage nicht ich, sondern sagt Markus Lanz, als er Hofreiter vorstellt, und man wundert sich, dass der Gast keine Miene verzieht. Lanz Anmoderationen können Elogen oder Überzeichnungen sein, oft sind sie beides, er macht mit den Worten über den Politiker, der sich vom Pazifisten zum bedingungslosen Befürworter von Waffenlieferungen an die Ukraine gewandelt hat, dort weiter, wo er in der vergangenen Woche aufgehört hat. Das gilt auch sonst für diese Folge, die beinahe wirkt wie eine Wiederholung der Sendung vom 3. Mai. Wie damals hat Lanz einen Unterzeichner des offenen Briefes an Olaf Scholz eingeladen, in dem der Bundeskanzler aufgefordert wird, vorsichtig mit der Unterstützung der Ukraine zu sein, damit der Krieg nicht weiter eskaliert, schließlich sei Russland eine Nuklearmacht. Lars Pohlmeier, der deutsche Vorsitzende der Organisation „Internationale Ärztinnen und Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs“, ist, wie vor einer Woche der Jurist Reinhard Merkel, der Einzige in der Runde, der gegen die Lieferung von sogenannten schweren Waffen an die Ukraine ist.
„Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass durch Waffenlieferungen der Konflikt verlängert und das Leid der Bevölkerung vergrößert wird. Es bestürzt mich als Arzt“, sagt Pohlmeier, und das Spiel alle gegen einen beginnt wie vor einer Woche von Neuem, wobei Pohlmann viel emotionaler ist und argumentiert, als es Merkel getan hat. Zum Schluss der Sendung, nach zum Teil heftigen Debatten, hat er Tränen in den Augen, als Lanz sagt: „Ich frage mich manchmal in diesen Tagen, wenn wir diese Debatten führen: Wie würden wir wohl darüber reden, wenn die angegriffene Stadt nicht Kiew, sondern Berlin wäre? Und wenn die Briten möglicherweise offene Briefe an die Amerikaner schreiben würden und sagen würden: Passt mal auf, wir haben Angst hier vor einer nuklearen Eskalation, bitte keine schweren Waffen mehr, die Deutschen sollen das mal selber machen. (…) Was würden Sie tun?“
Pohlmeier sagt: „Für mich ist das so schlimm, was Wladimir Putin gestern (bei seiner Rede am 9. Mai zum Ende des Zweiten Weltkriegs) gesagt hat, das können Sie sich nicht vorstellen. (…) Ich komme zu einem anderen Ergebnis, mit derselben Sorge, die Sie haben, die ich auch respektiere. (…) Ich bin immer noch hoffnungsvoll, dass es eine Möglichkeit gibt, diese Dynamik der Gewalt bei Putin zu verändern. (…) Und die Frage ist, wie geht das und wer macht das: Darüber müssen wir reden.“
11. Mai (Gäste: Politiker Marco Buschmann, Journalistin Helene Bubrowski, Politologin Gwendolyn Sasse und Psychiater Manfred Lütz)
Wenn man fünf Monate hintereinander jede Woche alle Lanz-Sendungen sieht, stellt man ein Muster bei den Gästen fest. In der Regel sind zwei der vier, mit denen dienstags, mittwochs und donnerstags diskutiert wird, alte Bekannte, vor allem Journalisten und Experten, aber auch Politiker, die immer wieder eingeladen werden und die zum Teil seit Jahren Stammgäste sind. Heute sind das die FAZ-Journalistin Helene Bubrowski und der Psychiater Manfred Lütz, der mit Markus Lanz mal zusammen bei Papst Benedikt war, zu einer Privataudienz. Dazu kommen Gäste, die eher punktuell eingeladen werden, diesmal ist das Bundesjustizminister Marco Buschmann. Er ist, wenn man so will, der Neue in der Gruppe, und es gibt auch, nach Wochen, in denen es nur um den Ukraine-Krieg ging, ein neues Thema.
Lanz beginnt die Sendung mit der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, die am Sonntag mit einem Triumph des CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther endete, aber er erwischt den falschen Aspekt. Statt über den ungewöhnlichen Vorschlag Günthers zu diskutieren, die Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen fortzusetzen, obwohl er eigentlich nur eine der beiden Parteien zum Regieren bräuchte, will Lanz von Buschmann wissen, warum die Liberalen bei der Wahl anders als Grüne und CDU Stimmen verloren haben. Falsches Thema zur falschen Zeit, schade, aber nach ein paar Minuten geht es sowieso wieder um die Ukraine, Schleswig-Holstein spielt nur noch eine Nebenrolle. Lanz fragt Buschmann jetzt, wie er es fand, dass Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ihren Sohn im Helikopter mit nach Sylt genommen hat. Das ist rein rechtlich alles in Ordnung, fügt er hinzu, aber „Wie schauen Sie auf die, jetzt hätte ich fast gesagt, Helikopter-Mutter, Frau Lambrecht?“
„Herr Lanz, wenn Sie versuchen wollen, dass ich jetzt über eine Kollegin, mit der ich zusammenarbeite, hier was Abschätziges sage …“
Lanz unterbricht: „Nee, nicht abschätzig, nein, das meine ich nicht. Aber es ist ja ein interessanter Vorgang, und er findet große Beachtung. (…)“
Buschmann sagt: „Frau Lambrecht ist, wenn ich das mal so sagen darf, alleinerziehende Mutter, die lebt mit ihrem Sohn zusammen, die versucht mit ihm viel Zeit zu verbringen. Ich will das gar nicht rechtfertigen, aber ich will mich nicht darüber erheben.“
Das ist ein Punkt, den der Moderator versteht, er hat wie die Verteidigungsministerin einen erwachsenen Sohn und sagt, dass man natürlich Zeit mit seinen Kindern verbringen wolle, „egal, wie alt sie sind“.
Das Problem sei auch nicht die Helikopter-Reise, meint Helene Bubrowski, „sondern, dass das nicht die erste Instinktlosigkeit war, die Frau Lambrecht sich geleistet hat“. Man frage sich, wie ernst sie eigentlich ihren Job nehme, der im Moment zu den wichtigsten in der Bundesregierung gehöre. Manfred Lütz geht noch weiter: „Was mich viel mehr aufregt bei Frau Lambrecht ist, dass ich den Eindruck habe, dass sie nicht kompetent ist. (…) Ich habe den Eindruck, ich sag das hier mal ganz offen, Frau Strack-Zimmermann, wenn die interviewt wird, dann hat man den Eindruck, man hat es mit Kompetenz zu tun.“
„Sie meinen, Sie haben das Gefühl, dass die heimliche Verteidigungsministerin in der FDP sitzt? Ja, das stimmt“, sagt Lanz, das gefällt ihm. Denn Marie-Agnes Strack-Zimmermann gehört in seiner Sendung bekanntlich zu den – Stammgästen.
Auch interessant
Auch interessant
Auch interessant
12. Mai (Gäste: Politiker Jürgen Trittin, Neurowissenschaftlerin Maren Urner, Philosoph Julian Nida-Rümelin und Politikerin Diana Kinnert)
Markus Lanz sagt, dass es ihm in seiner Sendung nicht um Krach gehe, sondern um Substanz, dass er die 75 Minuten sinnvoll nutzen will. Das ist ein Anspruch, der an diesem Tag eingelöst wird, in einer Folge, in der die junge CDU-Politikerin Diana Kinnert sagt, dass ihr „auffällt, vor allem in den sozialen Medien, dass es eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit gibt“, was all die Themen betrifft, die rund um den Ukraine-Krieg diskutiert werden, die Waffenlieferung, die Angst vor einem Dritten Weltkrieg, die Sorge vor einem Atomschlag. „Und ich glaube, dass das vielleicht auch Rationalität in politischer Weise gefährden kann.“ Warum das ist so, erklärt die Neurowissenschaftlerin Maren Urner: „Gerade in Krisensituationen sehnt sich unser Körper nach dieser Eindeutigkeit. Wir müssen sehr kurzfristig sehr schnell Entscheidungen treffen, um im Extremfall überleben zu können.“ Dafür verlange der Mensch nach einfachen, nicht-komplexen Antworten, und deshalb sei es wichtig, „medial, gesellschaftlich, politisch abzufangen und zu sagen: „Moment mal, die Welt ist nach wie vor sehr komplex, und wir sollten nicht in die Falle laufen, diese einfachen Schubladen, die es häufig sind, zu bedienen.“
Wir befänden uns auf einer Gratwanderung, sagt der Autor Julian Nida-Rümelin, „man kann rechts abstürzen, man kann links abstürzen“. Auf der einen Seite sei der Abgrund, „dass dieser Angriffskrieg in einem Diktatfrieden mündet, bei dem Putin frei schalten und walten kann über die Ukraine und möglicherweise ermutigt wird, weitere Schritte zu gehen, Transnistrien, baltische Staaten, und so weiter.“ Der Abgrund auf der anderen Seite sei, „dass der Konflikt dort eskaliert, Nato-Staaten mit einbezogen werden, wir Kriegspartei werden.“ Er habe genau hingehört, was der Bundeskanzler gesagt habe, dass er bei allem, was er mache und sage, genau abwäge: „Ich bin heilfroh, wenn da jemand ist, der vorsichtig ist, denn wir sind in einer existenziellen, ganz schwierigen Situation.“ Und darüber kann man sich, Markus Lanz hat es an diesem Abend bewiesen, nicht streiten.