Hamburg. Drei Abende und vor allem ein Thema: Putins Angriff auf die Ukraine. Was bedeutet das Senden schwerer Waffen? Und was weiß Olaf Scholz?
Jahrelang wurde er nicht ernst genommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo), wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert? Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen? Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen, und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an. Hier lesen Sie seine Berichte über das Leben mit Lanz.
26. April (Gäste: Politiker Roderich Kiesewetter, die Journalisten Kristina Dunz, Journalistin Olivia Kortas und Journalist Ulf Röller)
Zu den großen Vorteilen der Talkshow von Markus Lanz gehört das Verhältnis, in dem Sendezeit und Zahl der Gäste stehen. Normalerweise 75 Minuten sind viel, insbesondere, wenn nur jeweils ein Politiker im Studio sitzt, der Moderator also nicht darauf achten muss, dass der Redeanteil von Politiker A mindestens genauso hoch ist wie der von Politiker B (oder C und D). Das führt dazu, dass Roderich Kiesewetter von der CDU, den man hin und wieder schon in anderen Talkshows gesehen hat, der einem dort aber nicht besonders aufgefallen ist, bei Lanz einen bemerkenswerten Auftritt hat.
Denn der lässt ihm viel Zeit, über die Fehler seiner Partei und der von Angela Merkel geführten Regierungen zu sprechen. Man merkt Lanz an, dass er nach all den SPD-Politikerinnen und -Politikern, die er in den vergangenen Wochen wegen des „Kuschelkurs ihrer Partei“ mit Wladimir Putin hart angegangen ist, auch Kiesewetter nicht davonkommen lassen will, den ersten Gast aus der Union seit fast zwei Jahren. Der Moderator ist im journalistischen Angriffsmodus, allein: Er muss ihn nicht aktivieren. Denn Kiesewetter versucht gar nicht erst, sich herauszureden und seine CDU in Schutz zu nehmen. Was auch daran liegt, dass der Oberst a. D. der Bundeswehr schon länger vor Russlands Plänen und dem Bau der Gas-Pipeline Nord Stream 2 gewarnt hatte: „Ich war seit 2017 mit einigen Kollegen eindeutig dagegen, aber unsere Wirtschaftspolitiker haben sich da durchgesetzt. Auch im Kanzleramt hat sich die Abteilung Wirtschaftspolitik durchgesetzt, nicht die Abteilung Sicherheitspolitik.“
„War das falsch?“, will Lanz wissen.
„Ja, sicher war das falsch“, sagt Kiesewetter. Die Kritik in den eigenen Reihen, also in der CDU/CSU, habe es gegeben, sie sei aber nicht gehört worden. „Und es kommt eben auch dazu, dass wir durch den Ausstieg aus der Kernkraft und durch den schleppenden Ausbau der erneuerbaren Energien sehr stark abhängig waren vom Gas. Deshalb hat auch Friedrich Merz gesagt, dass wir das aufbereiten müssen.“ Klarer kann man die eigene Kanzlerin, die Politik von Angela Merkel, in einer Talkshow nicht kritisieren. Wenn mehr Gäste so sprechen würden wie Kiesewetter, wäre einer wie Markus Lanz bald überflüssig.
Der Bundestagsabgeordnete gibt auch zu, dass die deutsche Regierung die Bedrohung durch Russland nicht ernst genommen habe, weil man glaubte, dass man das Land und seinen Herrscher durch enge wirtschaftliche Verbindungen verändern könne: Das Hauptargument für den Russland-Kurs von Merkel sei „Wandel durch Handel“ gewesen. „Aber eher wir haben uns gewandelt, und nicht Russland. Sie haben uns ausgenutzt, auch unsere Gutmütigkeit.“ Und deshalb müsse man jetzt schwere Waffen an die Ukraine liefern.
Wenige Stunden vor Beginn der Sendung war bekannt geworden, dass Deutschland nach langem Hin und Her doch Panzer zur Verfügung stellen will, obwohl sich Olaf Scholz bis zuletzt dagegen ausgesprochen hatte. „Ich muss sagen, dass ich am Freitag einen Schockmoment hatte, als der Bundeskanzler im ,Spiegel‘-Interview gesagt hat, dass er alles dafür tut, dass ein dritter Weltkrieg und ein Atomkrieg verhindert würde“, sagt die Journalistin Kristina Dunz. Welche Erklärung könne es für eine solche Aussage geben? Entweder habe Scholz die Nerven verloren, oder er „hat in Telefongesprächen mit Putin gehört, dass der einen Atomschlag androht“. Sie neige zu Variante zwei, so Dunz, weil der Kanzler nicht dafür bekannt sei, die Nerven zu verlieren.
Dass Markus Lanz danach sein Publikum zum Lachen bringt, scheint unmöglich, aber es gelingt: Er lässt ein TV-Interview mit dem russischen Außenminister Lawrow einspielen, in dem der doch tatsächlich dreimal das Wort Krieg benutzt. Das ist in Russland unter der Androhung von bis zu 15 Jahren Haft verboten – für Wladimir Putin ist das, was er in der Ukraine macht, offiziell eine militärische Spezialoperation. Als der Film vorbei ist, sagt Lanz: „Dreimal das Wort Krieg. Macht 45 Jahre.“
27. April (Gäste: Politiker Omid Nouripour, Journalistin Claudia Kade und Ökonom Rüdiger Bachmann)
Wer als Politiker zu Markus Lanz geht, überlegt sich, wenn er schlau ist, zwei, drei Botschaften, die er unbedingt unterbringen will, und mindestens einen Satz, der so prägnant ist, dass er am nächsten Morgen von den Zeitungen und Internetportalen zitiert wird. Einige Redaktionen setzen bei jeder Sendung einen Reporter vor den Fernseher, der mehr oder weniger dokumentiert, was bei Lanz von wem gesagt wurde. Das Interesse der Leserinnen und Leser muss groß sein, denn vor den Sendungen liefern sich verschiedene Internetseiten eine Art Wettrennen, wer zuerst die Namen der Gäste des Abends veröffentlicht. „Markus Lanz Gäste heute“ ist bei Google eine Wortkombination, die viel gesucht wird.
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour weiß das alles, er ist so etwas wie der ständige Vertreter seiner Partei bei Markus Lanz, auch wenn der gern einmal wieder Annalena Baerbock in der Sendung hätte. Doch die Außenministerin kommt nicht mehr, nachdem ein Auftritt bei Lanz nicht so gelaufen ist, wie sie sich das vorgestellt hat. Nouripour kommt gern, und er hat den Satz des Abends mitgebracht, der am nächsten Morgen unter anderem bei „Focus“ und „n-tv“ nachzulesen sein wird. Es geht, mal wieder, um die Rolle, die Putin-Freund Gerhard Schröder im Ukraine-Krieg spielt (beziehungsweise nicht spielt). Nouripour sagt: „Es gibt Leute, von denen man enttäuscht ist, und dann gibt es Leute, von denen man sich fragt, wie die in den Spiegel sehen. Und wir kommen jetzt mittlerweile in Sphären, wo ich mich frage, ob da überhaupt noch ein Spiegel hängt.“
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Er rechne minütlich mit einem Rücktritt Schröders als Aufsichtsratschef des russischen Staatsunternehmen Rosneft, den er in einem Interview mit der „New York Times“ für den Fall angekündigt hat, dass Russland Deutschland und der Europäischen Union den Gashahn zudreht. Genau das ist nun, zumindest teilweise, passiert, Bulgarien und Polen erhalten plötzlich kein Gas aus Russland mehr. Der Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann sagt, Russland wolle mit dieser Entscheidung Unsicherheit säen, in der Hoffnung, dass der Gaspreis weitersteigt: „Das spült mehr Devisen in die Kassen von Putin.“
Lanz fragt, an die „Welt“-Journalistin Claudia Kade gewandt: „Kann es sein, dass diese Ansage an Polen und Bulgarien in Wahrheit auch uns meint? So nach dem Motto: Seid vorsichtig, ihr seht schon mal, was passiert?“
Kade antwortet: „Das glaube ich auch. Das muss man als Wink von Putin verstehen, macht mal langsam. Überlegt euch sehr genau, ob ihr den nächsten Schritt gehen wollt.“
28. April (Gäste: Politiker Thomas de Maizière, Sicherheitsexpertin Claudia Major, Publizist Wolfram Weimer und Journalistin Alice Bota)
Vor zwei Wochen hat die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Bundeskanzler Olaf Scholz bei Markus Lanz wegen dessen Ukraine-Politik mit einem Hütchenspieler verglichen. Dem Moderator hat das gut gefallen, einem ehemaligen Bundesverteidigungsminister überhaupt nicht. Thomas de Maizière (CDU), der heute bei Lanz zu Gast ist, sagt: „Um schwere Waffen, um das Ernsteste, was es in der Politik geht, die Entscheidung über Krieg und Frieden und Leben und Tod, wurde in einer Weise gestritten, als ging es ums Tempolimit.“ Ihn ärgere zwar die Unfähigkeit des Kanzlers, seine Politik zu erklären, aber „drittklassiges Gerede drumherum“ ärgere ihn auch.
Lanz fragt: „Wer macht das, drittklassiges Gerede?“ De Maizière: „Wenn Leute, die den Namen Bundeswehr nicht aussprechen können und bei Waffenlieferungen rot angelaufen sind, einmal nach Lemberg fahren, zurückkommen und so tun, als wären sie die großen Waffenexperten, das geht so nicht. (…) Ich kritisiere vor allem den Umgang in der Koalition. In so einer Frage macht man einen Koalitionsausschuss, setzt sich zusammen, es wird eine gemeinsame Kommunikation erarbeitet, und dann halten sich alle an die Linie. (…) Allein dieses Vielstimmige schadet dem Ansehen Deutschlands.“
Lanz setzt an diesem Punkt etwas ein, das im „Spiegel“ einmal Lanzismus genannt wurde. Erst sagt er: „Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen, man muss da sensibel kommunizieren.“ Um dann die Richtung des Themas abrupt zu wechseln: „Jetzt noch mal Kanzler. Wie fanden Sie sein ,Spiegel‘-Interview dieser Tage? Ich zitiere: ,Ich tue alles, um einen dritten Weltkrieg zu verhindern. Es darf keinen Atomkrieg geben.‘ Atomkrieg, Weltkrieg, alles in zwei Sätzen abgearbeitet. Ohne zu sagen, was der Hintergrund ist, ohne es wirklich zu begründen. Ich nenne es Geraune. Macht den Leuten Angst.“
De Maizière: „Ich verstehe die Sorge, aber man sollte nicht über einen dritten Weltkrieg reden.“ Lanz: „Ich musste ehrlich gesagt an Sie denken, an den Moment 2015, Sie erinnern sich: ,Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung nur verunsichern‘. Macht er es vielleicht auch deswegen?“ De Maizière: „Es war keine besonders glückliche Kommunikation. Tatsächlich wusste ich mehr, als ich sagen wollte …“ Lanz: „Das meine ich, vielleicht wusste er auch mehr.“ De Maizière: „Das kann schon sein, aber dann sollte man keine Andeutungen machen, sondern entweder Klartext reden oder schweigen.“
Sicherheitsexpertin Claudia Major ordnet die Gefahr, dass aus dem Ukraine- ein Atomkrieg werden könnte, ein: „Wir sollten uns vor einer Panikmache hüten. (…) Wenn man sich in die Schuhe Russlands stellt, ist eine Eskalation mit der Nato genauso gefährlich und unattraktiv wie für uns der Blick auf Russland. (…) Russland hätte aus einem Nukleareinsatz wenig Vorteile, es hätte sehr viele Nachteile.“
Und trotzdem ist bemerkenswert und beängstigend, dass bei Markus Lanz im Jahr 2022 genau darüber gesprochen wird. Oder, um es noch einmal mit Major zu sagen: „Ich finde es dramatisch, wie schnell die Sicherheitsordnung, die wir uns in Europa aufgebaut haben, zerlegt werden kann – und wie schnell wir von einer relativen friedlichen Zeit in einen Kriegszustand übergegangen sind, und wie relativ machtlos wir sind.“