Berlin. Mohammad Rasoulof hält dem Iran mit seinem Filmdrama „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ einen selbst entlarvenden Spiegel vor.
Widerstand fängt meist ganz im Kleinen an. Nicht selten auch in der eigenen Familie. Und so erzählt der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof die Umwälzungen der „Frau Leben Freiheit“-Proteste und den Riss, der durch die iranische Gesellschaft geht, pars pro toto, aber exemplarisch an einer Familiengeschichte. Und einem Drama zuhause.
Regisseur Rasoulof konnte diesen Film nur in aller Heimlichkeit drehen
Was auch gar nicht anders möglich war, weil Rasoulof in seiner Heimat Berufsverbot hatte und diesen Film nur in aller Heimlichkeit drehen konnte. Bevor er in den Westen floh und „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ dann in Cannes vorstellte. Und nun auch als Kandidat im Rennen um den Auslands-Oscar steht. Nicht für der Iran, versteht sich, der hat den Film verboten. Sondern – für Deutschland. Weil der Film auch mit deutschen Geldern finanziert wurde und hier geschnitten wurde.
Ein Kammerspiel, überwiegend in einer einzigen Wohnung gedreht, was ihn beklemmend klaustrophobisch und die Einengung und Restriktionen des Landes in jeder Szene spürbar macht. Ein Mann steigt auf. Iman (Missagh Zareh) ist endlich befördert worden, worauf er 20 Jahre hingearbeitet hat. Vielleicht, hofft seine Frau Najmeh (Soheila Golestani), können sie sich nun endlich eine größere Wohnung leisten, in einem besseren Viertel. Der Preis ist allerdings hoch. Vor allem für die beiden Töchter: Die Studentin Rezvan (Mahsa Rostami) und die Schülerin Sana (Setareh Maleki) sollen künftig noch mehr darauf achten sollen, dass sie sich tugendhaft verhalten und kleiden. Um dem Vater keine Schande machen.
Der nämlich arbeitet für das Revolutionsgericht und ist endlich zum Untersuchungsrichter berufen worden. Als solcher muss er allerdings auch Todesurteile empfehlen, ohne dass er die Fälle vorher überprüfen kann. Er bekommt Gewissensbisse, wird aber sofort unter Druck gesetzt. Da wird gleich eine beklemmende Atmosphäre in den Gängen der Büros spürbar. Dann erhält Iman auch noch eine Schusswaffe, zur Verteidigung, wie es heißt. Was die Paranoia nur verstärkt. Weil sie nun buchstäblich in die Familie und in die heimischen vier Wände getragen wird.
„Du steckt zu tief drin“, sagt die Tochter zum Vater
Dort tritt der verängstigte Mann allerdings herrisch auf. Und verbietet seinen Töchtern den Umgang mit einer libertären Freundin. Das aber fordert nur deren Protest heraus. Und dann brechen die „Frau Leben Freiheit“-Proteste aus. Was die Mädchen erst nur aus der Ferne, aber gebannt über die sozialen Medien verfolgen. Dann aber auch verstohlen vom Fenster aus, weil die Unruhen bis in ihre Straße vordringen.
Als die Freundin, nachdem sie ohne Kopftuch demonstrierte und von Ordnungskräften schwer verletzt wurde, bei ihnen Unterschlupf sucht, schickt die Mutter sie fort. Und es kommt zum offenen Konflikt zwischen den Eltern und den Töchtern. „Nicht als dein Vater, vielmehr als jemand, der älter ist und länger in diesem Land lebt, sollte ich da nicht besser wissen, was los ist?“, herrscht der Vater seine ältere Tochter in der Schlüsselszene des Films an. „Nein“, entgegnet die mutig, „du steckst zu tief drin.“
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Rasoulof hat den Film heimlich gedreht, in einer Wohnung. Die Fenster verdeckt, wie das viele getan haben in den Tagen der Proteste. Diese werden nur von ferne gezeigt, stark zensierte und kommentierte Bilder aus den Fernsehnachrichten, aber auch verwackelte Aufnahmen aus den sozialen Medien, die ein anderes Bild zeigen. Sie öffnen den Töchtern die Augen. Und lassen sie immer mutiger werden, während die Mutter immer ängstlicher wird. Und der Vater immer herrischer.
Die Eskalationsspirale wird immer weiter gedreht
Ein allgemeingültiges Drama, wie es derzeit in vielen Haushalten, hinter vielen verhangenen Fenstern im Iran stattfindet. Dabei heizt Rasoulof die Eskalationsstufe aber immer mehr an. Wenn plötzlich die Schusswaffe verschwunden ist. Und der Vater in Panik gerät. Hat er sie womöglich, was schon einmal passiert ist, verlegt? Wie werden die Behörden reagieren, wenn er das melden muss?
Aber dann hat er vor allem seine eigenen Töchter in Verdacht, die Waffe entwendet zu haben. Und schickt sie in seine eigene Behörde, wo sie, und ihre Mutter, peinlich verhört werden. Teils von seinen Kollegen. Teils von ihm selbst. Da zeigt sich das Mullah-Regime von seiner härtesten, misogynen Seite. Und Iman entpuppt sich als schwacher, aber umso herrischer auftretender Macho.
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Die Maske vom fleißigen Mann, der sich nur für seine Familie aufopfert, fällt jäh ab, als er, nachdem die Waffe immer noch nicht gefunden wird, mit seiner Familie in sein altes, längst verlassenes Geisterdorf fährt. Vermeintlich zu ihrem Schutz. Tatsächlich, um sie dort einzusperren. Um das herauszupressen, was er von ihnen hören will. Da wird das Kammerspiel in den eigenen vier Wänden plötzlich zum Thriller in einer weiten, öden, verlassenen Landschaft, die auch symptomatisch steht für ein Regime, das jede Legitimität beim Volk verloren hat.
Die Ernennung zum deutschen Oscar-Kandidat stieß auf Unmut
Rasoulof ist eine der wichtigsten filmischen Stimmen im Iran, neben Jafar Panahi und Mostafa Al-Ahmad, die wie er zum Verstummen gebracht werden sollten. Im Ausland wurde Rasoulof gefiert, sein Todesdramen-Triptychon „Denn das Böse gibt es nicht“ gewann auf der Berlinale 2020 den Hauptpreis, den Goldenen Bären. Den durfte der Regisseur nicht persönlich entgegennehmen, weil er keine Ausreisegenehmigung erhielt.
Das hielt ihn nicht davon ab, danach „Ballade von der weißen Kuh“ zu drehen, noch ein Drama über eine willkürlich verhängte Todesstrafe, das ebenfalls heimlich aus dem Iran geschmuggelt und auf der Berlinale uraufgeführt wurde. Wie „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, der im Mai in Cannes Premiere hatte und dort den Großen Preis der Jury erhielt. Den konnte Rasoulof aber diesmal selbst entgegennehmen, weil er vor der drohenden Haft geflohen war und inzwischen in Hamburg wohnt.
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Sein Film hat inzwischen schon 20 internationale Auszeichnungen erhalten, wurde gerade erst auch für einen Golden Globe nominiert und steht als deutscher Oscar-Kandidat für den besten ausländischen Film inzwischen auch auf der Shortlist. Letzteres allerdings hat für Unmut bei einigen deutschen Filmemachern geführt, weil sie fragen, wieso eine deutsche Kommission einen iranischen Film dafür auswählt. Die Frage ist berechtigt, der Film hat auch einen amerikanischen Vertrieb, weshalb er auf diese Aufmerksamkeit nicht angewiesen wäre.
Ein starkes Signal ist es aber dennoch. Und angesichts des totalitären Regimes und seinen Repressionen gegen das eigene Volk und seine eigenen Künstler scheinen solche, wenn auch berechtigten, Einwände irgendwie nebensächlich. Der Film sollte jede Aufmerksamkeit erhalten, die er kriegen kann. Ob der Filmstart ausgerechnet in der Weihnachtswoche allerdings richtig terminiert wird oder ob er zwischen den Jahren im deutschen Kino nicht eher untergeht, diese Frage darf man sich schon stellen.
Drama, Iran/Deutschland/Frankreich 2024, 167 min., von Mohammad Rasoulof, mit Misagh Zare, Soheila Golestani, Mahsa Rostami, Setareh Maleki.