Die Woche mit Lanz: Wie Röttgen zum neuen Lauterbach wird. Und warum Kremlchef Merkel einen Plastikhund auf den Stuhl legen ließ.

Jahrelang wurde er nicht ernstgenommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo) und wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert? Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen? Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen, und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an. Hier lesen Sie seine Berichte über das Leben mit Lanz.

1. März (Gäste: Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD, Politiker Norbert Röttgen, CDU, Politologin Margarete Klein, Soziologe Gerald Knaus und Militärexperte Carlo Masala).

Und (Talkshow-)Geschichte wiederholt sich doch. Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, dass Markus Lanz endgültig zu einer politischen Sendung wurde und wochenlang nur auf ein Thema setzte. Was im Frühjahr 2020 Corona war, ist jetzt der Krieg in der Ukraine. Wieder sind die Menschen in großer Sorge, wieder ist der Bedarf an Informationen und Erklärungen groß, und wieder ist Lanz auf der Suche nach den richtigen Gästen, die die vielen offenen Fragen beantworten können.

Was in der Pandemie Karl Lauterbach war, könnte jetzt Norbert Röttgen werden, weil er sich seit zehn Jahren mit Außenpolitik beschäftigt, weil er verständlich darüber sprechen kann und weil er als Teil der Opposition mehr Zeit für TV-Auftritte hat als Regierungsvertreter. Am Sonntag war der CDU-Politiker bei Anne Will, sein letzter Besuch bei Markus Lanz ist auch erst wenige Tage her, und man ahnt, dass weitere folgen werden. Über die Rede von Olaf Scholz bei der Sondersitzung des Deutschen Bundestags sagt Röttgen, der wie viele seiner Parteikollegen den Bundeskanzler lange beklatscht hat: „Das ist ein Bruch mit den Glaubenssätzen, an die wir uns geklammert haben, bis es nicht mehr ging.“

Dem Regierungschef sei spätestens am Sonnabend klar geworden, dass Deutschland nicht so weitermachen können wie bisher, er habe erkannt, dass „Verteidigungsfähigkeit und militärische Sicherheit Teil unserer Zukunftsgestaltung sind“. Das, was bisher als Aufrüstung diffamiert wurde, sei auf einmal notwendig, und deshalb habe Olaf Scholz Fakten geschaffen. „Dem Kanzler war klar: Wenn ich anfange, das in der SPD-Bundestagsfraktion zu diskutieren, wird da nichts rauskommen. Deshalb er seine Richtlinienkompetent wahrgenommen und bestimmt, dass der Kurs jetzt anders werden soll.“

Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Bundeswehr

Dabei geht es nicht nur um die 100 Milliarden Euro, die die heruntergewirtschaftete Bundeswehr auf einmal bekommen soll, oder um die mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Deutschland künftig – wie übrigens vom ehemaligen US-Präsident Donald Trump (!) gefordert – für seine Verteidigung ausgeben will.

Es gehe um mehr, sagt ein Mann, der bei der Bewertung des Kriegs in der Ukraine vielleicht das werden könnte, was Christian Drosten für die Beurteilung des Corona-Virus gewesen ist (mit dem Unterschied, dass Drosten nie bei Markus Lanz zu Gast war): Carlo Masala leitet das Metis-Institut für Strategie und Vorausschau der Universität der Bundeswehr München. Er sagt die entscheidenden Sätze des Abends: „Es gibt jetzt diese 100 Milliarden für die Bundeswehr, und die sollen vernünftig ausgegeben werden.

Aber viel, viel wichtiger ist, dass diese Bundesrepublik, ihre Politik und ihre Gesellschaft einen mentalen Wandel durchlaufen, und endlich akzeptieren, dass es Situationen gibt, in denen man Aggressoren nur mit der Drohung militärischer Macht begegnen kann, um der Diplomatie zum Erfolg zu verhelfen. Wir haben 30 Jahre lang dem Dogma angehangen, dass jeder eine friedliche Lösung will, dass Dialog, wirtschaftliche Verflechtung und Kooperation dazu führen, dass andere, die uns eigentlich nicht mögen, so werden wie wir.“ Das war offenbar ein Fehler: „Es gibt manchmal Situationen, in denen es um militärische Macht geht. Und die brauchen wir.“

2. März (Gäste: SPD-Politiker Ralf Stegner, Diplomat Christoph Heusgen, Journalistin Mariam Lau und Autorin Alice Bota).

Christoph Heusgen ist schwierige Gesprächssituationen gewöhnt. Er war viele Jahre der außen- und sicherheitspolitische Berater von Angela Merkel, begleitete sie unter anderem zu Verhandlungen mit Wladimir Putin. Bei Markus Lanz war Heusgen noch nie, es ist eine Premiere in Zeiten des Krieges und in seiner neuen Funktion als Chef der Münchener Sicherheitskonferenz. Und ja, der erfahrene Diplomat kommt tatsächlich ins Stammeln, als Lanz aufzählt, wie Putin in den vergangenen Jahren mordend durch die Welt gezogen ist, Tschetschenien, Georgien, die Krim, die Ostukraine, Syrien, Libyen, Zentralafrika, Mali: „Die Liste ist fast unendlich lang. Wieso waren wir so naiv zu glauben, dass dieser Mann Gutes im Schilde führt?“, fragt Lanz und kann (einmal mehr) nicht verstehen, dass Deutschland trotz der Annektion der Krim weiter an Nord Stream 2 festgehalten hat, einem Projekt, dass vor allem das Ziel gehabt hätte, bei Gaslieferungen nach Westen die Ukraine zu umgehen.

„Dass da psychologisch jemand (wie Putin) das Gefühl hat, es ist völlig egal, was ich anstelle, die Deutschen wollen einfach weiter mit mir Geschäfte machen, das Gefühl kann ich gut verstehen. Sie auch?“ Heusgen versucht zu antworten, aber es kommt nicht mehr heraus als das: „Ja, ich meine, es gibt ja das, ähm, ja, was wir Wandel durch Handel, das ist eine lange Geschichte …“ Im Verlauf des Gesprächs wird Heusgen indirekt zugeben, dass er als Berater gegen den Bau von Nord Stream 2 gewesen ist, sich aber nicht gegen Merkel und ihren damaligen Koalitionspartner habe durchsetzen können.

Versagen der deutschen Außenpolitik

Besser kann man das Versagen der deutschen Außenpolitik in Bezug auf Putin nicht auf den Punkt bringen – und besser als Heusgen kann man den russischen Präsidenten, den er rund 20-mal getroffen hat, auch nicht charakterisieren. Putin sei in den vergangenen Jahren paranoid geworden, wer ihn treffen wolle, müsse zuvor eine Woche in Quarantäne, weil der mächtige Mann offenbar große Angst vor Viren und Bakterien hat.

Inzwischen könne man gar nicht sagen, ob beziehungsweise wem Putin noch vertraut, es scheint, als lebe er in einer Welt, in der er all das, was er von sich gibt, auch wirklich glaubt. Was für eine Art Mensch der Autokrat im Kreml ist, verrät eine andere Geschichte, die Heusgen bei Lanz erzählt. Es geht um das erste Treffen von Merkel und Putin, bei dessen Vorbereitung der Berater die Kollegen in Russland darauf hingewiesen hatte, dass Angela Merkel Angst vor Hunden hat – sie ist vor ihrer Zeit als Kanzlerin einmal von einem gebissen worden. Und was macht Putin? „Er lässt ihr einen Plastikhund auf den Stuhl legen“, erzählt Heusgen. Noch Fragen?

Markus Lanz im Gespräch mit Ralf Stegner

Ja, Markus Lanz will vom SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner wissen, ob er dessen Argumentation richtig verstanden hat, dass Deutschland besser keine Waffen liefern sollte, „damit der Krieg in der Ukraine schneller vorbei ist.“

Stegner sagt: „Wenn man es so verkürzt sagt, klingt es zynisch. Das Ziel muss sein, dass möglichst wenige Menschen sterben müssen. Deshalb geht es darum, so schnell wie möglich eine Waffenruhe zu erzielen. (…)

Lanz: „Herr Stegner, warum wird Deutschland nicht angegriffen, warum wird Polen nicht angegriffen, warum wird Lettland nicht angegriffen, was ist ihre These?“

Stegner: „Weil wir in der Nato …“

Lenz: „Exakt. Weil wir bis an die Zähne bewaffnet sind. Das ist der Grund, das ist doch die Wahrheit.“

Die Wahrheit ist auch: Nicht nur viele deutsche Politikerinnen und Politiker haben ihre Meinung geändert, was Waffenlieferungen an die Ukraine betrifft, auch Markus Lanz. Wir erinnern uns an Sendung vom 15. Februar, als er dem ukrainischen Botschafter, der vehement um Waffen aus Deutschland für sein Land gebeten hatte, folgende Fragen stellte: „Was würden Waffenlieferungen an ihrer Situation ändern? Wie wollen Sie eine Armee wie die russische abschrecken?“ Es sind genau die Formulierungen, die diesmal Ralf Stegner benutzt, und für die Lanz auf einmal kein Verständnis mehr hat. Wenigstens gibt er es zu: „Alle waren der tiefen Überzeugung, ich übrigens auch: Waffenlieferungen bringen nichts.“ Angesichts der Bilder aus der Ukraine müsse er leider sagen, dass er sich geirrt habe.

3. März (Gäste: Grünen-Politiker Omid Nouripour, Journalistin Helene Bubrowski, Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa, Ex-Diplomat Rüdiger von Fritsch und Klimaaktivistin Luisa Neubauer).

Maybrit Illner hat an diesem Donnerstag nur einen Gast, aber das ist der, den die anderen jetzt auch gerne hätten. Bundeskanzler Olaf Scholz beantwortet eine Stunde lang Fragen über den Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen auf Deutschland, es ist ein ernstes, zuweilen etwas zähes Gespräch, und es ist ein Erfolg für das ZDF.

Denn Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel war in den vergangenen Jahren bevorzugt bei Anne Will und der ARD zu Gast, was in der Redaktion von Markus Lanz immer wieder für Enttäuschungen und Frust gesorgt hatte: „Angela Merkel war nie bei uns, obwohl wir sie mehrmals angefragt haben, die geht offensichtlich nur zu Frau Will“, hat Chefredakteur Markus Heidemanns mir einmal dazu gesagt. Bei Olaf Scholz ist das anders, was der Besuch bei Illner beweist, und wahrscheinlich wäre er auch zu Lanz gekommen, wenn die Sendung in Berlin und nicht in Hamburg aufgezeichnet werden würde. Der Standort ist, wenn es um Politiker in Regierungsämtern mit wenig Zeit geht, ein Nachteil.

Lanz hat vertraute Gesichter zu Gast

Statt des Kanzlers hat Lanz vertraute Gesichter eingeladen: Omid Nouripour, Rüdiger von Fritsch und Helene Bubrowski waren 2022 alle schon einmal da, Luisa Neubauer ist sei Jahren ein Stammgast. Der Moderator hält sehr viel von der Klimaaktivistin und wird ihr in der Diskussion über die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas, Öl und Kohle mehrfach zur Seite springen.

Den größten Redeanteil hat aber Rüdiger von Fritsch, weil er der derjenige ist, der zum Krieg in der Ukraine und zu Russlands Präsident Wladimir Putin am meisten zu sagen hat. Der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau ist wie gemacht für Markus Lanz. Er spricht klar und anschaulich, etwa wenn er gleich zu Beginn sagt, dass Putin – und inzwischen auch sein Außenminister Lawrow – „in einer völlig verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit lebt: Wir müssen uns klar machen, dass wir es mit Obsessionen, Phobien und Traumata eines einzelnen Mannes zu tun haben.“ Wahrheit sei in diesen Kreisen nicht, dass, „was wahr ist, sondern das, was nützt“. Es sei niemand mehr da, der Putin kontrolliere, „und man muss sich fragen: Berät ihn überhaupt noch jemand?“

Der russische Präsident würde mehrfach gegen die eigenen Interessen verstoßen: Er schädige sein Land wirtschaftlich und finanziell, er nehme sich die Einnahmequellen, um dauerhaft die Zustimmung der Bevölkerung zu erkaufen, er führe den Westen in seltener Entschlossenheit zusammen und „er macht die Erreichung aller geopolitischen Ziele unmöglich, die er noch im Dezember selbst als Anspruch formuliert hatte“. Langfristig werde der Krieg in der Ukraine der Anfang vom Ende der Ära Putin sein, das sieht auch die aus Moskau zugeschaltete Bürgerrechtlerin Irina Scherbakowa so, die ohnmächtig, zornig, schockiert ist und „sich in diesen Tagen fühlt, wie ich mich noch nie einem meinem Leben gefühlt habe“.