Hamburg. Nach dem Aus für die Sendung auf NDR Info finden sich viele Hintergrund-Infos nur noch im Digitalradio. Moderator Schnell hört auf.

Musik hören ist das eine, Musik entdecken das andere, sie erst richtig kennenzulernen und Hintergründe über ihre Entstehung zu erfahren eine Art Geschenk. Dabei half die einst vom bahnbrechenden NDR-Moderator und -Redakteur Klaus Wellershaus Mitte der 1960er-Jahre entwickelte „Musik für junge Leute“. Seit den 90ern gibt es den „Nachtclub“, der den Hörern bis vor Kurzem auf NDR Info in den späten Abendstunden Musik jenseits des Mainstreams näherbrachte. Präsentiert von Moderatorinnen und Moderatoren, die mit Fachkompetenz und nicht wie auf vielen anderen Wellen mit aufgesetzt wirkender Fröhlichkeit von sich reden machen möchten.

Seit dem Jahreswechsel ist NDR Info ein 24-Stunden-Informationsprogramm (das Abendblatt berichtete). Musik? Gibt es dort paradoxerweise nur noch in der Satire-Sendung „Intensiv-Station“, wenn am Montagabend zwischen feinem Spott und Polit-Parodien originelle jazzige Versionen bekannter Pop- und Rocksongs erklingen, indes komprimiert auf jeweils gut 1:30 Minuten. Beim neuen Format „Urban Pop“, dem Musik-Talk von Pop- und Rock-Pensionär Peter Urban (71) mit Kultur-Redakteur Ocke Bandixen, am Freitagabend (jeweils 21.05 Uhr) wurde zum Thema Beatles nicht mal ein Lied der „Fab Four“ angespielt, zum fünften Todestag David Bowies gab es immerhin einige Takte Musik. Das neue Format ist - auf Ukw 92,3 Mhz gekürzt auf 50 Minuten und unterbrochen noch von Nachrichten, - nur einer von zig Podcasts.

Intern gilt Digitalsender NDR Blue als „Resterampe“

Doch wo ist der fundierte Journalismus in Verbindung mit aktueller Musik geblieben? Während Urban am Donnerstagabend auf NDR 2 beim „Soundcheck“ weiterhin seine eigene Show fahren kann, ist der „Nachtclub“ seit Januar nur noch auf NDR Blue zu finden. Der Digitalsender existiert bereits seit 2008, vom NDR richtig beworben wurde er nie, er speiste sich bisher meist aus Wiederholungen, wird intern auch als „Resterampe“ bezeichnet. Auf jener spielt nun der „Nachtclub“.

Zwar früher am Abend (ab 20.05 Uhr), jedoch von montags bis freitags mit nur noch 50 Prozent der bisherigen Sendezeit und gut 60 Prozent weniger Etat - eine Folge des 300 Millionen-Euro-Sparpakets des NDR in den Jahren 2021 bis 2024. Gilt etwa für die Sendung „Überpop“, die statt bisher viermal pro Monat am späten Sonntagabend für 55 Minuten jetzt nur noch alle zwei Wochen freitags um 21.03 Uhr eine knappe Stunde lang läuft und sich den Sendeplatz mit den „Nachtclub Classics“ teilt. Moderatoren bekommen am „Nachtclub“-Mikrofon jeweils nur noch eine Stunde Sendezeit – nun ohne Nachtzuschläge.

Jazz hat beim NDR auf Ukw mehr Gewicht

Betrifft auch renommierte Stimmen wie den Punk-Pionier Paul Baskerville, Matias Boem oder Ruben Jonas Schnell. Und das „Nachtclub Magazin“, das von Montag bis Freitag ab 23.05 Uhr auf NDR Info Aktuelles und Hintergründiges zu neuen Alben und zur Musikhistorie bot , fehlt ebenso wie der darin enthaltene „Pop-Kocher“: In dem sezierte der „Musik-Doktor“ Goetz Steeger unterhaltsam aktuelle, aber auch mal ältere Songs. Stattdessen laufen ab 22.05 Uhr auf NDR Blue bis Mitternacht in „Nachtclub in Concert“ Konzertmitschnitte aus den Archiven der Öffentlich-Rechtlichen.

Der Jazz indes hat beim NDR auf Ukw offenbar deutlich mehr Gewicht – er ist zu seinem Stammsender zurückgekehrt: Auf NDR Kultur (früher NDR 3) sind von montags bis freitags ab 22.35 Uhr bis Mitternacht Neuheiten aus dem Sendegebiet, Magazine, Konzert- und Festivalmitschnitte sowie Hintergründe zu hören. Die international renommierte, auch kostspielige NDR Bigband soll schließlich auch weiterhin ihr Forum haben. All das zeugt von einem eher konservativen Kulturverständnis im NDR-Funkhaus, weniger indes von Interesse an Pop- und Clubkultur.

Brief an die NDR-Intendanz

Als Hörer auch mal von Neuem und Unbekanntem überrascht werden, erfahren, was die Musikszene im Norden hervorbringt – auf den Ukw-Frequenzen des NDR scheint das kaum mehr möglich. Das hat auch Alexander Schulz registriert, nicht nur Chef des Reeperbahn-Festivals, sondern gewählter ehrenamtlicher Vorstand der Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft (IHM). „Es ist gut, dass es die digitale Variante gibt, aber für unsere Mitglieds­unternehmen spielt es eine wichtigere Rolle, dass wir neue, noch nicht so bekannte Musiker abseits des Mainstreams im terrestrischen Radio mit größerer Reichweite vorstellen können“, sagt Schulz. „NDR Info hatte dafür bisher mit dem ,Nachtclub‘ den Platz und die redaktionelle Kompetenz“, meint er. Für jenen Kulturauftrag gebe es doch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ärgert sich Schulz über die Kürzungen und Verbannung der Popkultur ins Nischenradio.

Bereits im vorigen Sommer hatten sich die als Vereine organisierten Rock City Hamburg, das Kulturforum Hamburg und das Clubkombinat Hamburg sowie die Agentur Factory 92 in einem Brief an die NDR-Intendanz gegen jene Pläne gewandt. Ohne Erfolg.

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Carsten Brosda, Hamburgs Senator für Kultur und Medien, erwartet, „dass Kultur in ihrer ganzen Breite auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erlebbar ist“. Der SPD-Politiker weiß indes auch: „Die konkrete Programmgestaltung aber liegt aus guten Gründen bei den Sendern selbst.“  Noch im Dezember war Country- und Indierock-Fan Brosda selbst Gast in der NDR-Info-Sendung „Überpop“. Er sagt:  „In einer Musikstadt wie Hamburg gehören alle musikalischen Farben ins Radio. Ich jedenfalls freue mich als Hörer immer wieder, wenn ich dort Songs höre, die ich noch nicht gehört habe. Das musikalische Leben in unserer Stadt ist reich. Es gibt also auch journalistisch genug darüber zu berichten.“

Die vom Stadtsender NDR 90,3 initiierte Reihe „Hamburg Sounds“ will weiterhin die Musikszene der Hansestadt im Blick behalten, jedoch auch Hamburgs musikalisches Erbe nicht vernachlässigen. Anstatt wie bis zum Vorjahr zwei Stunden pro Woche am Sonntagabend hat Redakteurin Susanne Hasenjäger dafür seit Januar am Donnerstag ab 20.05 Uhr nur noch 55 Minuten Zeit.

Neue private Sender könnten die Lücke schließen

Bleiben auf Ukw neue private Sender: Seit Dezember kann sich  FluxFM wie in Berlin in der Hansestadt auf Ukw  präsentieren, mit Unterstützung von Radio Hamburg bis Ende dieses Jahres auf 104 Mhz als Vollprogramm insbesondere für Alternative und Indie-Rock sowie für Punk und Electro. Und ByteFM, schon 2009 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet, wird vom 1. April 2022 an täglich terrestrisch von sich hören lassen: Der für seine breite Musikpalette, Interviews und Hintergrund-Infos bekannte werbefreie  Sender erhält nach der gewonnenen Ausschreibung 2019 drei Jahre später die Ukw-Frequenzen 91,7 und 104 MHz. 

Und so wird sich ByteFM­­-Gründer Ruben Jonas Schnell, studierter Musikwissenschaftler und mehr als zwei Jahrzehnte lang einer der prä­genden Köpfe des „Nachtclubs“, von diesem Mai an nur noch seinem eigenen Senderprojekt widmen. Noch ein Verlust für den NDR – und seine Hörerschaft.