Hamburg. Der Intendant des Norddeutschen Rundfunks spricht im Abendblatt-Podcast über die schwere Aufgabe, 300 Millionen Euro einzusparen.
Es sind große Zahlen, mit denen sich Joachim Knuth (61) im Moment beschäftigt: 300 Millionen Euro muss der neue Intendant des Norddeutschen Rundfunks in den kommenden vier Jahren einsparen und das Medienhaus damit bis zu seiner eigenen Pensionierung neu erfinden. Im Gespräch mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider erzählt Knuth, was er vorhat: Es geht um die Zukunft von 1100 freien Mitarbeitern, um Einschnitte im Unterhaltungsprogramm, um die NDR-Orchester – und darum, dass er so wenig wie möglich am Journalismus sparen will. Zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider.
Das sagt Joachim Knuth über …
… seinen ersten und einzigen Arbeitgeber, den NDR:
„Tatsächlich kam ich 1985 von der Deutschen Journalistenschule zum NDR, erst zu einem Praktikum, dann erhielt ich einen Dreimonatsvertrag für die Nachrichtenredaktion. Dass ich seitdem hiergeblieben bin, zeigt, wie gut es mir beim NDR, aber auch, wie gut es mir in Hamburg gefällt. Ich hätte an der einen oder anderen Stelle in den vergangenen Jahren auch wechseln können, aber mein Berufsleben war so vielfältig, dass ich keinen Tag bereue. Ich bin in diesem Haus immer sehr gut angenommen worden und hatte nie den Eindruck, dass es nötig wäre, woanders hinzugehen.“
… seine erste Amtszeit als Intendant, die (aus Altersgründen) auch seine letzte sein wird:
„Das ist Vor- und Nachteil. Auf der einen Seite wäre es natürlich gut, wenn ich diesen Job bis Ende der 20er-Jahre machen könnte, weil meine Vorstellung von der Veränderung des NDR genau diese Zeit betrifft. Auf der anderen Seite „muss“ ich nicht wiedergewählt werden und habe deshalb bei den Veränderungen, die jetzt vor uns liegen, relativ große Spielräume und Freiheiten. Dafür habe ich jetzt bis Anfang 2026 Zeit.“
… den Weg vom Kollegen zum Chef:
„Das ist interessant. Auf der einen Seite kenne ich viele Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Konstellationen, bin mit einigen eng verbunden, bis hin zu Freundschaften. Auf der anderen Seite weiß ich, dass ich jetzt in meinem neuen Amt viele Dinge ändern will und muss – und den Kollegen damit einiges abverlangen werde. Ich habe bei allen Wechseln auf Führungspositionen versucht, immer der zu bleiben, der ich war. Gleichzeitig habe ich deutlich gemacht, dass ich jetzt in einer anderen Funktion bin, in der von mir andere Dinge erwartet werden. Deshalb darf man die geschäftliche Beziehung, um die es neben der kollegialen geht, nie aus den Augen verlieren.“
… den Coup des NDR mit dem Virologen Christian Drosten:
„Ich bin sehr stolz darauf, wie wir in der Coronakrise gezeigt haben, was wir können. Wir haben einige journalistische Dinge gemacht, die außerordentlich waren und die man vor ein paar Monaten nicht für möglich gehalten hätte: ein Podcast mit einem Wissenschaftler, der mehr als 50 Millionen Mal abgerufen worden ist, gehört dazu. Wir haben das mit Christian Drosten gut gemacht, weil wir den Podcast linear ins Fernsehen und Radio verlängert haben. Auch sonst waren wir nah an den Menschen, haben mit Maß und Mitte berichtet und dafür viel Vertrauen von Zuschauerinnen und Zuschauern und Hörerinnen und Hörern erhalten. Drosten war so eine Art Türöffner zu dem Thema zu einem frühen Zeitpunkt Ende Februar. Er hat einen Ton gesetzt, der für diese Art der Berichterstattung wichtig ist. Das war maßstabgebend für viele andere, die nachgezogen sind. Ich fand es unter dem Aspekt der Meinungsvielfalt übrigens nicht falsch, dass auch andere Sender Podcasts mit anderen Virologen angeboten haben.“
… die Sparmaßnahmen des NDR:
„Wir haben unsere Beitragsrücklagen nahezu vollständig verbraucht, sehen uns Tariferhöhungen und Kostensteigerungen gegenüber, sind überproportional von Beitragsbefreiungen für Zweitwohnungsbesitzer betroffen. Das und vieles andere führt dazu, dass wir mehr ausgeben, als wir einnehmen. Das lässt sich auch nicht mal eben so ändern, weil zum Beispiel betriebsbedingte Kündigungen beim NDR bis 2024 ausgeschlossen sind. Wir wollen 200 Stellen über die sogenannte natürliche Fluktuation abbauen, also frei werdende Stellen nicht wiederbesetzen. Wir werden uns von Immobilien trennen, bei Produktionsstandards Einschnitte vornehmen, Investitionen verschieben. Aber wir werden auch beim Programm kürzen müssen; das ist schmerzhaft, das muss man mit einer Idee versehen. Wir haben gesagt, wo wir stark bleiben müssen: Information, Regionalität, auch in hohem Maße Kultur.“
… den Verkauf von Immobilien:
„In Lokstedt werden wir das mit Asbest verseuchte durch ein neues, funktionales Gebäude ersetzen, in dem wir deutlich mehr Menschen als bisher unterbringen können. Dadurch werden Immobilien am Rothenbaum frei. Die Radioredaktionen von NDR Info werden überwiegend nach Lokstedt gehen. Wenn es um den Verkauf von Gebäuden geht, wird es immer um den Rothenbaum gehen, nicht um Lokstedt. Ich möchte den Rothenbaum allerdings als Standort erhalten – auch für Journalismus.“
… den Kern seiner Sparstrategie:
„Journalismus ist mir besonders wichtig, nicht zuletzt aus meiner Biografie heraus, und deshalb möchte ich daran so wenig wie möglich sparen. Wir stehen für einen Journalismus, auf den die Menschen gerade in Krisenzeiten in einer Zahl zugreifen, die unvorstellbar ist: Die „Tagesschau“ hatte in der Coronakrise bis zu 18 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer – um 20 Uhr, linear! Daran sieht man, wie wichtig guter Journalismus ist, übrigens auch, um den Rundfunkbeitrag zu legitimieren. Wir haben natürlich auch vieles andere, das einen hohen Wert hat: die „Tatorte“, Unterhaltungssendungen, die Orchester, etc. Aber jetzt geht eben nicht mehr alles. Die größte Summe der Kürzungen werden wir im Unterhaltungsbereich im Fernsehen vornehmen, der ja auch teuer ist. Das gilt übrigens für den NDR und für die ARD. Auch beim Sport wird es Einschnitte geben, weil wir uns fragen müssen, wie wichtig uns Rechte sind, die auf dem Markt sind und viel Geld kosten.“
… die Zukunft der NDR-Klangkörper:
„Mein Ziel ist, dass wir zwei Orchester umfassend erhalten, das Elbphilharmonie Orchester in Hamburg und die Radiophilharmonie in Hannover. Für den Chor haben wir eine Idee, über die wir gerade beraten und die weit in die Zukunft geht. Wir wollen ihn in eine Art von Auftrags-Chor mit frei beschäftigten Sängerinnen und Sängern überführen, ihn also in anderer Struktur unter dem Dach des NDR halten. Da ist aber die letzte Messe noch nicht gesungen. Bei der NDR Big Band fragen wir uns, ob sich mit Blick auf die festangestellten Musikerinnen und Musiker kostenmäßig etwas verbessern lässt. Es gibt ja auch viele freiberufliche Musiker. Für mich ist diese Entwicklung schmerzhaft, weil ich die Leistungskraft von Chor und Big Band sehr schätze. Aber bei allem Schmerz muss uns angesichts der 300 Millionen Euro, die wir sparen müssen, klar sein: Es lässt sich nicht mehr alles in der heutigen Form halten.“
… Proteste gegen die Kürzungen:
„Von uns wird immer erwartet, dass wir schlanker werden, dass wir weniger Geld ausgeben. Aber wenn wir das dann machen, gibt es ganz viele, die das nicht gut finden. Das kann ich verstehen, weil du den Nutzerinnen und Nutzern ja etwas wegnimmst. Aber du kriegst den Pelz nicht gewaschen, ohne dass jemand nass wird. Es gibt viele Menschen, die sagen, dass sie unsere Konzeption gut finden, im nächsten Moment aber fragen: „Mich meinen Sie damit aber nicht, oder?“ Nehmen wir mal das „Bücherjournal“, das eingestellt werden wird. Ich will Literaturberichte nicht abschaffen, ich will sie nur aus einer Nische herausholen. Das „Bücherjournal“ hatte zuletzt 13.000 Zuschauer. Das kann so nicht funktionieren. Deshalb werden wir Literaturtipps jetzt zum Beispiel in der Sendung „Das!“ und bei NDR2 geben.“
… die flächendeckende Senkung von Produktionsstandards:
„Die Frage ist, ob ein 30 Sekunden langes Statement im Fernsehen genauso aussehen muss wie eine Hochglanz-Dokumentation und ob bei Pressekonferenzen drei oder vier Teams vom NDR sein müssen. Wir müssen mit unseren Ressourcen synergetischer und sorgsamer umgehen. Im Idealfall stellt ein oder stellen zwei Kollegen das Material für Hörfunk, TV, Online zur Verfügung. Aus der Senkung der Produktionsstandards werden wir sechs bis sieben Prozent der Einsparsumme holen.“
… die Zukunft der freien Mitarbeiter:
„Wir haben aktuell etwa 1100 freie Mitarbeitende. Natürlich sind viele derjenigen, die man im Fernsehen sieht oder im Hörfunk hört, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das sind hervorragende Journalistinnen und Journalisten, die für uns extrem wichtig sind. Doch wenn wir Programm kürzen, hat das natürlich Folgen für die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das wird auch an dieser Stelle ein schmerzhafter Prozess, bei dem man niemandem sagen kann: Das, was Sie jetzt machen, werden wir in zwei oder drei Jahren noch genauso machen. Wir versuchen, so viele freie Journalistinnen und Journalisten wie möglich bei uns zu beschäftigen. Deshalb reißen wir zum Beispiel das mit Asbest verseuchte Hochhaus in Lokstedt vorerst nicht ab. Mit dem Geld, das wir dadurch sparen, können wir dafür sorgen, dass die Einschnitte nicht zu hart werden. Die Frage ist: Sparen wir bei vielen oder trennen wir uns von einigen? Die erste Variante ist auch möglich und mir nicht unsympathisch. Sie würde aber bedeuten, dass wir eben auch bei vielen Freien Auftragsvolumina kürzen würden.“ … den Anstieg des Rundfunkbeitrags von 17,50 auf 18,36 Euro 2021: „Das wäre die erste Beitragserhöhung seit 2009. Diese 86 Cents haben wir in unser Einschnittspaket schon eingerechnet. Wir hätten deutlich mehr gebraucht, aber es war früh klar, dass wir mehr Geld nicht bekommen würden. Übrigens stellt sich angesichts der Zukunft der Medien, die natürlich crossmedial sein wird, auch die Frage, ob wir an der alten Aufteilung des NDR nach Fernsehen und Radio festhalten. Das wird ein großes Thema meiner Amtszeit sein.“