Hamburg. Der künftige „Tagesthemen“-Moderator hat das Buch „Fremdes Land Amerika“ geschrieben, das jetzt erscheint.
Als Kind in Wiesbaden hat Ingo Zamperoni den American Way of Life schon vor Augen gehabt: In den Vorgärten der benachbarten Housing-Siedlung für US-Soldaten gab es Barbecue-Grills, Basketballkörbe, Halloween-Kürbisse und in den Auffahrten „breitspurige Boliden made in USA, die kein deutscher TÜV jemals zugelassen hätte“. Sein kindlicher Eindruck: Die Amerikaner sind kurios, aber offenbar irgendwie einflussreich in der Welt.
Amerika ist den Deutschen fremd geworden
Inzwischen kennt Zamperoni von den USA mehr als die Vorgärten. Er hat mehrere Jahre dort gelebt, zuerst während des Amerikanistik-Studiums in Boston, dann ab 2014 als USA-Korrespondent der ARD, und er ist mit einer Amerikanerin verheiratet. Der Titel seines Buchs „Fremdes Land Amerika“, das jetzt erscheint, passt trotzdem: Nicht nur wegen Donald Trump scheint das Land vielen Deutschen fremder denn je zu sein. „Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist belastet wie selten zuvor“, schreibt Zamperoni. Der 42-Jährige, der demnächst im Wechsel mit Caren Miosga die „Tagesthemen“ moderieren wird, will mit seinem Buch einen positiven Anstoß geben. Denn das Verhältnis zu den USA sei für Deutschland gerade heute „eminent wichtig“.
Was Zamperoni zu sagen hat, dürfte viele interessieren, die seit einigen Jahren besorgt sind – Stichworte: Irakkrieg, Waterboarding, Guantánamo , NSA-Affäre, Amokläufe und „School Shootings“, TTIP und jetzt noch Trump. Das Bild der freundlichen GIs, die nach dem Krieg Kaugummi und Demokratie nach Deutschland brachten, verblasst. An dessen Stelle tritt ein anderes Bild von Amerika: groß, rücksichtslos, neoliberal.
Unproduktive Politik
Wird das in den USA eigentlich verstanden? „Ja, viele Amerikaner teilen die Skepsis inzwischen sogar“, sagt Zamperoni beim Kaffee in Hamburg und rückt auf seinem Sessel nach vorn. „In der Gesellschaft der USA ist ein Riss entstanden. Er wird noch verstärkt vom politischen Betrieb, der so unproduktiv ist wie noch nie.“
Während in Deutschland beide großen Parteien in die Mitte wanderten und gemeinsam sogar eine Große Koalition bilden, sind Demokraten und Republikaner in den USA auseinandergedriftet und seit einigen Jahren so verfeindet, „dass es den Mainstream auseinanderreißt“. Dass ein Mann wie Donald Trump im Vorwahlkampf so viele Stimmen holen und Nichtwähler mobilisieren konnte, habe auch viele Amerikaner schockiert und spiegele diese Zerrissenheit wie in einem Brennglas.
Die deutsche Ernüchterung liege aber auch daran, „dass wir lange einen verklärten Blick auf die Amerikaner hatten“, sagt Zamperoni. Mondlandung, Marilyn Monroe, „Star Wars“, „Breaking Bad“, Google, Facebook und „Game of Thrones“ – die Deutschen meinen, die USA durch die Brillen der Popkultur gut zu kennen. „Aber wir unterschätzen, wie inhomogen das Land in sich ist. In Kalifornien sind die Waffengesetze sehr streng, in Texas darf man Waffen jetzt offen tragen. Für die Leute in Kalifornien könnten Texas oder Washington nicht ferner sein. Hinzu kommt: Die Deutschen sehen sich gern in einer Sonderrolle, wie ein Musterschüler. Wir sind auch ein wichtiger Partner für die USA. Aber eben nicht der einzige.“
Obama hat viel bewirkt
Gerade von Barack Obama hatten die Deutschen viel erwartet. Aber was hat er eigentlich bewirkt? Einiges, meint Zamperoni: „Durch ,Obama Care‘ sind 18 Millionen Amerikaner neu krankenversichert. Mit seinem ,Stimulus Package‘ hat er es geschafft, dass aus der Depression 2007/2008 keine lang anhaltende Great Depression wurde. Er hat damit mehr investiert als Roosevelt im New Deal der 30er-Jahre.“ Und Obama habe eine für die USA bisher beispiellose Umweltpolitik gemacht. Allerdings wurde ausgerechnet in der Amtszeit des ersten schwarzen Präsidenten überdeutlich, welche starke Rolle der Rassismus immer noch spielt. Die Videos von Polizeiübergriffen auf Schwarze hätten auch auf die Amerikaner „wie ein Weckruf“ gewirkt. „Sie müssen sich eingestehen, dass die Probleme doch größer sind, als sie sich eingeredet hatten.“
Sein eigener Schwiegervater, auch Afroamerikaner, habe noch die Zeit erlebt, als Schwarze, die sich in einem Restaurant in New Orleans etwas zu essen holen wollten, nur den Hintereingang benutzen durften, erzählt Ingo Zamperoni. Die Geschichte wirke lange nach. Dass heute ein schwarzer Präsident im Weißen Haus sitzt, reiche eben nicht.
Aber nicht nur zwischen Schwarz und Weiß, sondern auch zwischen den Klassen vertieft sich ein Graben. Während es den Eliten an Ost- und Westküste immer besser geht, fühlten sich die „Angry White Men“ der unteren Mittelschicht immer mehr abgehängt. Und viele reagieren nach Zamperonis Beobachtung mit einem „Rückzugsimpuls in eine vermeintlich heile, frühere Welt: Da waren die Weißen in der Mehrheit, die Ehe bestand nur zwischen Mann und Frau, und Amerika war Number One in der Welt. Aber das ist heute alles anders geworden. Das Narrativ des amerikanischen Traums, wonach es den Kindern in jeder Generation immer besser gehen wird, gilt in Zeiten von Globalisierung und Rationalisierung nicht mehr.“
Viele trauen Hillary Clinton nicht
Für Zamperoni ist das gute Abschneiden der Antipoden Bernie Sanders und Donald Trump im Vorwahlkampf „kein Zufall, sondern das Ergebnis dieser gravierenden Verwerfungen“. Lässt sich denn Trump noch irgendwie aufhalten? „Seine große Chance ist, dass Hillary Clinton eine so schwache Kandidatin ist“, sagt Zamperoni. „Viele junge Amerikaner misstrauen ihr. Sie kann es dennoch schaffen, aber es wird spannend.“
Es gibt viel zu erklären in der Beziehung zwischen Deutschen und Amerikanern. Zamperoni tut das anschaulich und mit Wärme. Besser hätte das Buch nicht in die Zeit passen können.