Hamburg. Wann darf man eine prominente Angeklagte zeigen? Der Oktoberfest-Prozess wirft heikle Fragen auf. Eine Reporterin empört sich.

Eine Millionärsverlobte. Versuchter Totschlag. Ein gekaufter Zeuge. Der Prozess um die sogenannte „Wiesn-Messerstecherei“ mit einer 34 Jahre alten Hamburger Protagonistin, der am Mittwoch mit einer Verurteilung der Angeklagten zu viereinhalb Jahren Haft zu Ende ging (das Abendblatt berichtete), hat in der Medienlandschaft in den vergangenen Monaten für Aufregung gesorgt. Und wer die Berichterstattung aus dem Landgericht ­München I, Saal B173 in der Presse verfolgte, sah sich über diesen Fall hinaus mit prozessinternen Machtspielchen, presserechtlichen Ungereimtheiten und anderen Auffälligkeiten konfrontiert.

Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ etwa nannte die Angeklagte von Beginn an bei ihrem vollen Namen. Die „Bild“-Zeitung wiederum sprach stets von Melanie M., veröffentlichte jedoch Fotos, auf denen die Angeklagte deutlich zu erkennen war. Oftmals im Arm ihres Verlobten, ein stadtbekannter Immobilienmillionär, der ebenfalls ohne jegliche Verfremdung im Profil abgebildet wurde.

Zeitweise verwendete „Bild“ auch Vor- und Nachnamen der Angeklagten unter Berufung auf den „Spiegel“. Nahezu alle anderen Zeitungen, auch das Hamburger Abendblatt, machten die Angeklagte auf Fotos unkenntlich – so ist es üblich. Außerdem verfremdete das Abendblatt ihren Namen.

"Spiegel"-Gerichtsreporterin Friedrichsen erklärt ihr Vorgehen

Wahrung der Persönlichkeitsrechte oder Pressefreiheit, was wiegt stärker? „Bild“-Chefredakteurin Tanit Koch erklärt zu den Hintergründen: „Das Landgericht München hatte zu Recht keine Unkenntlichmachung der Angeklagten verlangt. Das Besondere: Melanie M. hat uns von der Pressekammer des Landgerichts Berlin untersagen lassen, ihren abgekürzten Namen zu verwenden und sie identifizierbar zu zeigen. An diesen Beschluss hat ,Bild’ sich nicht gehalten und Rechtsmittel eingelegt – das berechtigte öffentliche Interesse überwog hier eindeutig das Anonymisierungs­interesse. Umso mehr, da Melanie M. offenbar kein Problem damit hatte, im ,Spiegel’ mit vollem Namen und unverpixelt gezeigt zu werden.“

Beim „Spiegel“ sei es üblich, Fotos von Tatverdächtigen zu pixeln, ihre Namen abzukürzen, erklärt die langjährige Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen. Sie selbst bevorzuge eine andere Vorgehensweise: „Ich frage grundsätzlich zu Beginn eines Prozesses die Angeklagten und auch die Opfer, beziehungsweise ihre Anwälte, ob sie mit vollem Namen genannt werden wollen. Hier hatte niemand etwas dagegen.“

"Spiegel"-Gerichtreporterin Gisela Friedrichsen © picture alliance / Eventpress MP | dpa Picture-Alliance / Eventpress MP

Die Begründung: Die Leute aus der Hamburger Gesellschaft wüssten ohnehin Bescheid, um wen es sich bei der Angeklagten und ihrem Verlobten handelte. Gerichtsreporterin Friedrichsen war das nur recht: „Ich schreibe lieber über Leute, die einen Namen und ein Gesicht haben.“

Gleich doppelt wurde Gisela Friedrichsen zu Ende des Oktoberfest-Prozesses kritisiert – wenn auch nur indirekt (von der „Bild“-Zeitung nichtsdestotrotz genüsslich zitiert): Aus dem Kommentar der Staatsanwaltschaft, ein Magazin habe „sehr einseitig berichtet“, war unschwer herauszulesen, dass es sich dabei um den „Spiegel“ handelte.

Staatsanwaltschaft kritisiert Medien

„Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Berichterstattung der Presse zu bewerten. Im konkreten Fall haben wir jedoch mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass ein einzelnes Medium sich sehr kritisch auch bezüglich der Staatsanwaltschaft äußerte, ohne jemals die Möglichkeit ergriffen zu haben, deren Sichtweise in Erfahrung zu bringen“, sagt Florian Weinzierl, Sprecher der Staatsanwaltschaft München I.

Gerichtsreporterin Friedrichsen erklärt dazu: „Ich habe die Staatsanwaltschaft von Beginn an scharf angegriffen, weil ich die Anklage wegen versuchten Mordes für völlig überzogen hielt. Wer anderer Meinung ist als die Staatsanwaltschaft, berichtet noch lange nicht einseitig.“

Noch weiter geht der Vorwurf des Gerichts über eventuell „lancierte Berichte in einem Hamburger Magazin“. Auch in dieser Behauptung erkennt wohl jeder Leser den „Spiegel“.

Anwalt Strate spricht von "Verteidiger-Bashing"

„Das ist eine Unverschämtheit, die ohne jegliche Kenntnisse der Sachlage in die Welt gesetzt wurde“, empört sich Gisela Friedrichsen. „Dass ich keine bestellten Artikel veröffentliche, sondern mir meinen eigenen Eindruck durch die Beobachtung der Hauptverhandlung mache, dürfte sich in der deutschen Justiz doch mittlerweile herumgesprochen haben.“

Der Hamburger Anwalt Gerhard Strate, der die Millionärsgattin Melanie M. im Prozess verteidigt hatte, weist die Beschuldigungen des Gerichts ebenfalls mit deutlichen Worten zurück: „Ich käme nicht im Traum auf die Idee, einen Artikel beim ,Spiegel’ zu lancieren. Das könnte ich auch gar nicht.“

Auch über das „Verteidiger-Bashing“ im Gerichtssaal reagiert er verärgert: „So etwas darf in einer Urteilsbegründung keinen Platz haben.“ Unter anderem auch deshalb hat Strate sich entschieden, die stenografische Mitschrift der Urteilsbegründung auf seiner Homepage zu veröffentlichen.