München. Hamburgerin hatte auf dem Oktoberfest in München einen Mann mit einem Messer verletzt. Richter attackiert Staranwalt Gerhard Strate.
Die Münchner Wiesn, die Verlobte eines Hamburger Millionärs, ein Fußballstar, ein Klappmesser und ein gekaufter Zeuge: Der Prozess gegen die Hamburgerin Michaela S. (34, Name geändert), die auf dem Oktoberfest 2015 einen Lkw-Fahrer mit einem Messer verletzt hatte, sorgte für bundesweites Aufsehen.
Nach einer wochenlangen Gerichtsverhandlung ist am gestrigen Mittwoch das Urteil gefallen. Die Mutter dreier Kinder muss wegen versuchten Totschlags für vier Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Die Staatsanwältin forderte zuvor fünf Jahre Haft, die Verteidigung plädierte stets auf Freispruch und argumentierte mit Notwehr.
Die Tat hatte sich am Eröffnungstag des Oktoberfestes in der „Käfer Wiesn-Schänke“ ereignet. Dort feierte Michaela S. mit ihrem Verlobten, dem Hamburger Unternehmer Detlef F., und dem Ex-Fußballprofi Patrick Owomoyela, als es zu einem Streit mit einem angetrunkenen und unter Drogen stehenden Lkw-Fahrer kam. Dieser bezeichnete den Fußballer unter anderem als „Bimbo“ und beleidigte auch Michaela S. massiv. Dann habe er sie laut Verteidigung bedroht und gepackt. Weil die Frau nach eigenen Angaben geglaubt habe, er bringe sie um, zog sie ein Klappmesser und verletzte den Lkw-Fahrer damit schwer. Der Wiesn-Gast musste notoperiert werden, es bestand Lebensgefahr.
Verurteilte zeigt Reue
Zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Prozesses betonte die Frau immer wieder, wie leid ihr die Ereignisse täten und sagte: „Ich wollte das nicht. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke.“ Bei der Urteilsverkündigung hatte sie die Augen geschlossen und brach schließlich – wie schon häufig in der Verhandlung – in Tränen aus und schluchzte verzweifelt.
„Die Angeklagte handelte mit Tötungsvorsatz“, sagte der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann in der Urteilsbegründung. „Sie bringt das Messer raus, sie macht es auf, sie sticht zu.“ In diesem Verhalten könne er keine Hinweise auf Panik erkennen. Das Gericht lastete der 34-Jährigen vor allem an, dass sie die Tat zwar gestanden, den verletzten Mann aber nicht als Opfer anerkannt und darum keine Verantwortung für ihre Tat übernommen habe.
Für Schlagzeilen sorgte der Fall auch deshalb, weil der Verlobte der Angeklagten bei der Polizei gestanden hatte, einem Mann viel Geld für eine entlastende Aussage geboten zu haben. Der vermeintliche Zeuge wurde im Gerichtssaal festgenommen. Im Anschluss gab er an, ihm seien 200.000 Euro in Aussicht gestellt worden, wenn sich seine Aussage günstig auf den Prozess auswirke. Laut Staatsanwaltschaft München wurde inzwischen Strafbefehl gegen den Zeugen beantragt.
Verteidigung legt wohl Revision ein
Die Ermittlungen gegen den 63-jährigen Verlobten der Angeklagten wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage dauern an. Der Immobilienkaufmann hatte sich bisher dahingehend geäußert, dass der Kontakt zu dem Zeugen nicht von ihm ausgegangen war. Als Michaela S. von den Vorwürfen gegen ihren Partner erfuhr, erlitt sie einen Schwächeanfall. Weinend sagte sie: „Es tut mir unglaublich leid, was mein Mann gemacht hat, ich wusste nichts davon.“
Für die Verteidigung von Michaela S. waren die Anwälte Gerhard Strate und Annette Voges (beide Hamburg) und Steffen Ufer (München) zuständig. Gerhard Strate kündigte am Mittwoch an, gegen das Urteil sehr wahrscheinlich Revision einzulegen. „Auch wenn man der Begründung des Gerichts folgt, halte ich dieses Strafmaß für unverhältnismäßig, da auch das Gericht von einem minderschweren Totschlag ausgeht, der durch die Provokation begründet ist.“
Sollte die Revision nicht zugelassen werden, würde Michaela S. von der Untersuchungshaft direkt in die Strafhaft verlegt werden. Sehr wahrscheinlich nach Hamburg, weil dort ihre Kinder leben. „Meine Mandantin kann außerdem davon ausgehen, dass sie nach zwei Dritteln der Haftzeit entlassen wird. Außerdem werden die zehn Monate U-Haft angerechnet. So blieben insgesamt noch 26 Monate Haftzeit.“
Richter rügt Verteidiger
Was eher unüblich ist: Im Anschluss an die Urteilsbegründung rügte der Richter die Verteidiger. Norbert Riedmann sagte: „Ich habe es in 27 Jahren noch nicht erlebt, dass Verteidiger jegliche professionelle Distanz zu ihrer Mandantin derart verloren haben.“ Ob auch Anwälte in die Verwicklungen um den gekauften Zeugen einbezogen waren, müsse noch geprüft werden. „Die Umstände verlangen nach Aufklärung.“ Es gebe hinreichende Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht einer Straftat, sagte der Richter und kündigte an, die Anwaltskammer über das Verhalten der Anwälte im Verfahren zu unterrichten.
Zu den Vorwürfen äußerte sich Gerhard Strate wie folgt: „Davor fürchten wir uns nicht, weil wir nichts mit diesem Zeugen zu tun haben.“ Weiter sprach er von einem „Verteidiger-Bashing“. Er glaube, „dass Verteidiger, die aus Hamburg kommen, hier nicht willkommen sind in München“. Und: „Die Wiesn ist schon ein Rechtsgut für sich.“ Richter Riedmann wies die Vorwürfe zurück. Die Anwaltskammer in Hamburg äußerte sich zu den Vorwürfen nicht und verwies auf das Gebot der Verschwiegenheit.