Dreiteiler zur besten Sendezeit: Die sehenswerte ZDF-Produktion „Ku’damm 56“ porträtiert eine verstockte Epoche an ihrem Wendepunkt.
Man muss sich den deutschen Fernsehzuschauer unbedingt als einen Esser mit starkem Appetit vorstellen – regelrechtem Heißhunger. Mit Blick auf die Serien und TV-Mehrteiler jedenfalls, die ihm verlässlich vorgesetzt werden. Bestes Beispiel: die neue ZDF-Renommierproduktion „Ku’damm 56“. Ein farbenprächtiges, opulentes Sittengemälde der Nachkriegszeit, das in seiner Fülle so pappsatt macht wie nur kaum je ein Sonntagsbraten.
Die Familiengeschichte der Schöllack-Frauen, die im Westberlin der 50er-Jahre einige dramatische Wendungen erfährt, bettet sich ganz in die Zeit, in der sie spielt. Und da muss nun manchmal ziemlich unsubtil gestopft werden, denn alles muss mit: die Nazi-Vergangenheit mit (vermeintlichen) Holocaust-Überlebenden etwa, der SS-Mann, die Bolschewistenfurcht und der DDR-Sozialismus.
„Ku’damm 56“, das mit seinem Titel der derzeit beliebten Ort- und Zeitpräzision der Benamungen („Weissensee“, „Deutschland ‘83“) Rechnung trägt, macht jedenfalls in jederlei Hinsicht einen gedrängten Eindruck, obwohl der Handlung in dem Dreiteiler immerhin viereinhalb Stunden eingeräumt werden. Das erinnert nicht von ungefähr an die bislang in drei Staffeln gelaufene DDR-Serie „Weissensee“, denn die Drehbuchautorin ist mit der gefeierten Annette Hess dieselbe.
Die Gedrängtheit von „Ku’damm 56“ kann man übrigens als Stilmittel verstehen, denn es gilt ja, die geistige und geografische Enge eines Zeitalters in Szene zu setzen. „Ku’damm 56“ erzählt von den Geschicken der Tanzlehrerin Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) und von denen ihrer Töchter. Wobei letztere nicht viel zu sagen haben: Elementare Aufgabe von Monika (Sonja Gerhardt), Helga (Maria Ehrich) und Eva (Emilia Schüle) ist es, eine „gute Partie“ zu machen, eine perfekte Hausfrau zu sein und figürlich vor allem oben herum aufzufallen: „Du musst dem Mann etwas bieten!“
So sagt es Caterina Schöllack, deren Tanzschule „Galant“ als pädagogische Anstalt vor allem das Schickliche vermitteln soll. Michelsen gibt die strenge Schöllack als erzieherischen Bulldozer, so waren die Zeiten. Vor der bisweilen computertricktechnisch aufgemodelten Charlottenburger Kulisse brütet, aus heutiger Sicht, die pure Rückständigkeit, sie äußert sich in einem althergebrachten Rollenverständnis und maximaler Verstocktheit. Emanzipation? Später, Baby.
Tanz als Leitmotiv für die gesellschaftlichen Veränderungen
Wie könnte man davon besser erzählen, als dass man die Zustände in dem Moment schildert, in dem alles ins Bröckeln gerät, ohne in eine ganz große Revolution zu münden; es bröckelt besonders auch der bereits angesprochene Beton, aus dem die einstige Trümmerfrau Caterina Schöllack gemacht ist. Ihren Töchtern gegenüber ist sie unnachgiebig. Das gilt besonders für die scheue und dennoch am ehesten eigenständige Monika, die aus dem Hausarbeitsinstitut fliegt und, zurück am Ku’damm, ihre Individualität entdeckt. Jener Kampf um Individualität ist, vor dem Familientheater, das eigentliche Thema des Dreiteilers, und er wird zwar drastisch (Selbstmordversuche, Vergewaltigung, Autounfall, Doppelleben), aber irgendwie halt doch auch realistisch gezeigt.
Es ist eine naheliegende Idee, den Verstärker anzuwerfen und den Tanz als Leitmotiv für die gesellschaftlichen Veränderungen zu installieren. Wie schrecklich die Prüderie, wie maximal lästig die Konventionen damals doch waren, wie radikal der Konformitätsdruck! Der Gesellschaftstanz mit seiner Lust unterdrückenden Spießigkeit ist die beste Metapher für eine ganze bieder-scheußliche Epoche. Und mit dem Beat, mit dem Rock ’n’ Roll, mit der „Negermusik“ kam die Moderne nach Deutschland – die begeisterte Tänzerin Monika, deren Verwandlung Sonja Gerhardt überzeugend spielt, lernt den freigeistigen Musiker Freddy Donath (Trystan Pütter) kennen. Der hilft ihr dabei, sich aus dem Elend zu befreien.
Währenddessen gewähren die Liebschaften von Monikas Schwestern dem Zuschauer gewaltige Einblicke in die Folgen, die die Beschneidung persönlicher Freiheiten für die von den Gesetzen und der fehlgehenden Wissenschaft schadhaft gezimmerten Menschen hat. Für Helga Schöllack, die am Anfang nur Hausfrau, später auch Hausfrau-Darstellerin in der Fernsehwerbung ist, zerbricht der Traum von der Heirat in beste Kreise an der versteckten Homosexualität des Ehemanns. „Unzucht“ war vor 60 Jahren ein Straftatbestand. Sehr schön und metaphorisch die Szene, in der der Ehemann in spe kurz vor der Trauung lieber dem Handwerker beim Aufstellen des Ehebettes zur Hand geht als mit Helga glühend in prähochzeitsnächtlichen Fantasien zu schwelgen.
Wunderbare und klug-ironische Dialoge
Eva dagegen, die dritte im Bunde, lebt – und ist sich dabei ihrer Projektionen bewusst – nicht nur die Aufstiegswünsche ihrer Mutter aus, wenn sie ihren wesentlich älteren Chef anschmachtet, den von Heino Ferch gespielten Leiter einer psychiatrischen Abteilung mit fragwürdiger Vergangenheit als Forscher im Dritten Reich, der in der Gegenwart am liebsten mit Elektroschocks arbeitet. Die zuckersüß-freche Eva weiß, dass sie in dem Mediziner vor allem auch den fehlenden Vater sieht. Der kam aus dem Arbeitslager nicht zurück. Zumindest nicht zur Familie: Gerd Schöllack (Robert Schupp) lebt heimlich in Ostberlin. Er bekämpft jetzt lieber Antifaschisten und ist die einzig völlig unglaubwürdige Figur in „Ku’damm 56“.
Der Dreiteiler besticht durch stellenweise wunderbare und klug-ironische Dialoge, wie so oft, wenn Annette Hess das Buch geschrieben hat – sogar Musils „Mann ohne Eigenschaften“ taucht auf. Es sind aber nicht der Hang zum Melodramatischen und die Anleihen bei der Telenovela, die aus „Ku’damm“ einen Kostümfilm für die beste Sendezeit machen, sondern der Stoff selbst: So war Deutschland tatsächlich mal, mehr oder weniger.
„Ku’damm 56“ 20., 21. und 23. März, 20.15 Uhr, ZDF