Hamburg. In den Kammerspielen hatte das „Das Dramaturgische Quartett“ Premiere. In der Runde wird über zukünftige Inszenierungen gesprochen.

Wenn eine kulturelle Diskussionsrunde sich den Titel „Das Dramaturgische Quartett“ gibt, liegt die Assoziation mit dem berühmten „Literarischen Quartett“ auf der Hand. Moderator Ludwig von Otting stellt schnell klar, dass man mit diesem Fernseh-Theater-Format keine billige ­Kopie im Sinne habe. Seine Aufgabe sei es zudem, zu glätten und nicht zu provozieren. Ein wesentlicher Unterschied also zu der früheren Literatur-Talkrunde um den streitbaren Marcel Reich-Ranicki.

Im „Dramaturgischen Quartett“, das eigentlich ein Quintett ist, wird über Texte von Inszenierungen gesprochen, die in den kommenden Wochen an Hamburger Theatern ihre Premieren feiern, man redet also ein wenig über ungelegte Eier. Der Auftakt des „Dramaturgischen Quartetts“ ging in den Kammerspielen über die Bühne, ausgestrahlt wird die Runde am Freitag auf dem Lokalsender Hamburg 1.

Otting, bis vor einem Jahr ­geschäftsführender Direktor im Thalia Theater, hat vier Theater-affine Diskutanten um sich versammelt, ein Dramaturg ist jedoch nicht unter ihnen. Aus dem Regiefach sollte eigentlich Dieter Wedel teilnehmen, doch der frisch ­gekürte Intendant der Festspiele in Bad Hersfeld musste krankheitsbedingt absagen. Kurzfristig ist für ihn Kai Wessel eingesprungen, der vor allem durch seine Fernseharbeit bekannt geworden ist, aber zum Beispiel an den Kammerspielen auch schon inszeniert hat. Außerdem ­dabei: Patrick Abozen, junger Hamburger Schauspieler, Jens Jessen, ehemaliger Feuilleton-Chef der „Zeit“, und die ehemalige Hamburger Schulsenatorin Christa Goetsch, von Otting als „die Jeanne d’Arc der fortschrittlichen Schulpolitik in Hamburg“ vorgestellt. Die ehemalige GAL-Politikerin war kulturpolitische Sprecherin ihrer Partei und ist begeisterte Theatergängerin.

Über fünf Stücke wird diskutiert. Die Schauspieler Anne Schieber und Georg Münzel lesen jeweils eine Szene daraus vor, einer aus der Runde, Otting nennt ihn den „Paten“, stellt das Stück dann vor, und die Runde ergänzt den Kurzvortrag mit Anmerkungen und Einschätzungen.

Und auch mit herber Kritik wie im Fall von Ödön von Horváth. Jette Steckel inszeniert am Thalia Theater gerade eine frühe Fassung von „Kasimir und Karoline“, in der bereits Motive aus „Glaube, Liebe, Hoffnung“ enthalten sind. Der zeitkritische Dramatiker Horváth (1901–1938) wird bis heute oft gespielt, für Jens Jessen zu oft. „Horváth ist der Großvater von Elfriede ­Jelinek und der Onkel von Helge Schneider“, sagt er und moniert die ­banale Sprache des Dramatikers. „Da fehlt die Fallhöhe, die Darstellung dieser sozial schwer beschädigten Menschen geht mir auf die Nerven“, lautet sein Urteil über Horváths Volksstücke. Otting nimmt den hart kritisierten Dichter in Schutz, am morgigen Donnerstag kann das Premierenpublikum im Thalia erleben, ob Jette Steckel Tiefe in das Stück bekommen hat.

Vorgestellt werden drei weitere Stücke, die im kommenden Januar Premiere in Hamburg feiern. Den gemeinsamen Nenner fasst Otting in einem kurzen Satz zusammen: „Es ist alles ganz furchtbar.“

Als düsteres Drama stellt Patrick Abozen „Die Opferung von Gorge Mastromas“ von Dennis Kelly vor, das im Januar im Ernst Deutsch Theater aufgeführt wird. Darin geht es um eine böse und niederträchtige Figur, die sich vom Paulus zum Saulus wandelt, einen egoistischen Kapitalisten, der über Leichen geht. In „Geächtet“ von Ayad Akhtar geraten gut situierte Paare der New Yorker Upperclass bei einem Essen in Streit; die deutsche Erstaufführung wird am 16. Januar 2016 am Jungen Schauspielhaus herauskommen. Das Altonaer Theater bringt im Januar John Steinbecks 700-Seiten-Roman „Jenseits von Eden“ auf die Bühne. ­Ulrike Syha hat die Bühnenfassung geschrieben, Jessen findet die freie ­Bearbeitung „spannend“, Wessel „kommt in die Figuren nicht hinein“. Einig ist man sich, dass Regisseur ­Harald Weiler eine schwierige Aufgabe zu bewältigen habe.

Die Zuschauer in den Kammerspielen erleben beim ersten „Dramaturgischen Quartett“ einen informativen und durchaus launigen Abend. ­Allerdings hätte man sich noch eine tiefer gehende Einordnung der behandelten Stücke in das Repertoire der jeweiligen Theater und auch Fragen nach der aktuellen Relevanz gewünscht. Als Hintergrundveranstaltung hat „Das Dramaturgische Quartett“ jedoch funktioniert, die meisten Zuhörer haben die Kammerspiele sicher ein wenig schlauer verlassen.

„Das Dramaturgische Quartett“, Freitag, 27. November, 21.15 Uhr, Hamburg 1