An diesem Freitag sendet das ZDF das neue „Literarische Quartett“ , aufgezeichnet am Tag nach Hellmuth Karaseks Tod.
Am Dienstag starb der Autor und Literaturkritiker Hellmuth Karasek, der bis 2001 mehr als 14 Jahre an der Seite von Marcel Reich-Ranicki das legendäre „Literarische Quartett“ prägte. Einen Tag später wurde die erste Folge der Neuauflage im Berliner Ensemble aufgezeichnet. Volker Weidermann, Literaturkritiker beim „Spiegel“, ist der Gastgeber. An diesem Freitag, 2. Oktober, wird die Sendung um 23 Uhr im ZDF ausgestrahlt.
Hamburger Abendblatt: Wie schwer war es, einen Tag nach dem Tod von Hellmuth Karasek aufzeichnen zu müssen?
Volker Weidermann: Ich habe die Nachricht am Morgen der Sendung erhalten. Es war ein Schock. Ich dachte, das kann nicht wahr sein.
Konnten Sie vor seinem Tod noch einmal mit ihm sprechen?
Weidermann: Es ist wohl schon fast ein Jahr her. Wir waren zusammen bei der Enthüllung einer Gedenktafel an Reich-Ranickis Elternhaus in Berlin. Da wusste ich schon, dass ich das Literarische Quartett machen würde. Wir haben ausgemacht, dass wir uns treffen und drüber reden. Und dann – wir haben es nicht gemacht. Wir dachten halt, ist ja noch Zeit, treffen wir uns nach der Premiere.
Was können Sie sich für Ihre Gespräche von ihm abschauen?
Weidermann: So viel. Die Freude daran, die Menschen zu unterhalten, klug zu unterhalten, seinen Blick ins Publikum, dieses charmante ,Das war doch eben wirklich gut‘, sein Witz, seine Leidenschaft fürs Kino, die Literatur, für die Sache. Und man hatte immer das Gefühl: Worüber er jetzt gerade spricht, ist für den Moment die wichtigste Sache der Welt.
Neben der Autorin Christine Westermann ist der Autor Maxim Biller Ihr Mitstreiter. Er wirkt sehr angriffslustig. Haben Sie keine Angst vor ihm?
Weidermann: Überhaupt nicht. Ich mag seine Bücher sehr gern. Und unterhalte mich seit 15 Jahren augenblicklich über Literatur mit ihm. Und wir sind nie einer Meinung. Es ist immer interessant, was er über Literatur zu sagen hat, und er ist ein ganz besonderer und genauer Leser. Aber vor allem ist er jemand, der gern widerspricht und sich gern widersprechen lässt und dann erst richtig in Gang kommt. Nur so entsteht ein unterhaltsames Gespräch und wenn man Glück hat, eine neue Wahrheit über das Buch.
Wie kamen Sie auf Frau Westermann?
Weidermann: Ich kenne ihre Radiosendung über Bücher, und sie ist eine unglaublich lebenskluge, belesene, leidenschaftliche Kritikerin. Die ihre Lust am Lesen plastisch und nachvollziehbar in journalistischer Form präsentieren kann.
Ist sie nicht auch ein guter Gegenpol zu Maxim Biller, weil sie so nett ist?
Weidermann: Theoretisch ja. Vielleicht kommt es in Wirklichkeit ganz anders.
Haben Sie keine Angst vor den großen Fußstapfen, die Marcel Reich-Ranicki hinterlassen hat?
Weidermann: Natürlich. Aber es ist auch für mich ein Traum. Weil ich ihn so gut kannte und ihn früh bewundert habe. Ich käme persönlich nie auf die Idee, mich mit ihm zu vergleichen. Und sobald die Sendung angefangen hat, wird das Vergleichen, was jetzt gerade so viele machen, nicht mehr so wichtig sein.
Können Sie schon das „r“ rollen?
Weidermann: Nein. Auch den Zeigefinger werde ich bei mir behalten. Aber seine Streitlust und Empörungsfreude, die schaue ich mir gern ab.
Als Sie 2001 als Kritiker bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ angefangen haben: Dachten Sie, mal Reich-Ranickis Nachfolger werden zu können?
Weidermann: Überhaupt nicht. Aber ich war direkt mit ihm verbunden. Er besuchte mich an meinem dritten Tag in Frankfurt, um seine neue Kolumne zu besprechen. Das war für mich ein magischer Moment. Ich wohnte in einer WG unterm Dach, es gab auch keinen Aufzug. Da kam er hin, um genau zu besprechen, wo seine Kolumne stehen sollte, und um den Typen kennenzulernen, der jetzt seine Texte betreuen sollte. Das war auch irgendwie ein Schock.
Was haben Sie von ihm gelernt?
Weidermann: Viel journalistisches Handwerk. Überhaupt ließ er sich gern widersprechen und war sehr interessiert an Kritik. Wenn mir Fritz J. Raddatz einen Text geschickt hat, hat er gleich ein Begleitschreiben mitgeschickt, so in etwa: Ich möchte Sie informieren, dass an meinen Texten nicht redigiert werden darf. Es wird kein Komma geändert, ich reiche Ihnen hier eine Marmorplatte ein. Weil ich der Weltgeist bin. So etwas wäre Reich-Ranicki im Traum nicht eingefallen.
Welcher Autor war nach einem Verriss von Ihnen am schlimmsten verletzt?
Weidermann: Das Schlimmste war mal ein Porträt von Johannes Mario Simmel. Es war kurz vor seinem Tod. Und ich hatte mich lange um ihn bemüht. Er war damals schon sehr alt und empfing mich in seinem Haus in der Schweiz. Allerdings sah er wirklich schon sehr schlecht aus. Als er später den Text las, sagte er: „Herr Weidermann, Sie haben mich als Leiche gezeichnet.“ Dabei hatte ich mir schon so viel Mühe gegeben, es eben nicht so hart zu schreiben, wie es gewesen ist. Das war fürchterlich. Aber am nächsten Tag rief er mich wieder an und war total glücklich, weil ihm Iris Berben 100 Rosen geschickt hatte und sein Verleger sich den Artikel über seinen Schreibtisch hängen wollte.
Nun gibt der „Spiegel“ eine neue Literatur-Beilage heraus.
Weidermann: Als der Chefredakteur mir sagte, dass wir das machen, dachte ich erst, das darf doch nicht wahr sein. Wir leben in einer Zeit, in der im Journalismus nur gespart wird, alles kleiner gemacht, Preise erhöht, Produkte verschlechtert, und es gibt kaum Neugründungen. Und nun in der Literatur, das konnte ich kaum glauben.
Hatten Sie eigentlich ursprünglich überlegt, Herrn Karasek oder Frau Löffler zum „Quartett“ zurückzuholen?
Weidermann: Das war unser dringender, unser großer Wunsch. Ich würde mich über Sigrid Löfflers Besuch sehr freuen. Dass Karasek nun nicht mehr kommen kann, ist wahnsinnig traurig.