Wolfsburg. Niedersachsen fürchtet immense Nachteile als Folge der Diesel-Affäre bei VW. Das Land ist mit 20 Prozent am Stammkapital beteiligt.

Der Spruch ist alt, aber er war lange richtig: Wenn der Volkswagenkonzern hustet, kriegt Niedersachsen eine Grippe. Aber was ist eigentlich, wenn VW an einer ausgewachsenen Lungenentzündung leidet? Der Skandal um manipulierte Abgasdaten bei Millionen von Dieselmotoren bedeutet für Niedersachsen zuerst einmal eine Vermögensvernichtung. Das Land ist mit rund 20 Prozent am Stammkapital beteiligt und hat binnen zweier Börsentage entsprechend rund fünf Milliarden Euro verloren. Aber da handelt es sich erst einmal nur um Buchverluste, denn keine Landesregierung in Hannover käme auf die Idee, sich von diesen Anteilen zu trennen. Sie sichern eine Sperrminorität bei wichtigen Fragen im Schulterschluss mit den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat. Werksschließungen, aber auch andere schwerwiegende Entscheidungen, können so blockiert werden.

Leitartikel: Bei VW ist ein Neuanfang geboten

„Geparkt“ hat das Land seine Anteile in der Hannoverschen Beteiligungsgesellschaft (HannBG)und deren Statik basiert auf den jährlichen Dividenden des Wolfsburger Konzerns. Die Beteiligungsgesellschaft diente in der Vergangenheit auch dazu, Schulden zu machen ohne sie im Landeshaushalt abbilden zu müssen. Die HannBG hat, so schätzt es Niedersachsens Finanzminister Peter-Jürgen Schneider (SPD) ein, im kommenden Jahr möglicherweise ein Verlustjahr zu erwarten.

Die Gretchenfrage aber ist, wie nachhaltig der Vertrauensverlust potenzieller Autokäufer ausfällt. Bereits jetzt liegt der Absatz von Volkswagen leicht hinter den Zahlen des Vorjahres. Und die Marke Volkswagen produziert vor allem an den niedersächsischen Standorten Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Osnabrück und Emden sowie in Kassel im benachbarten Hessen. Hinzu kommt noch der Standort Hannover mit den Nutzfahrzeugen.

Insgesamt beschäftigt der Konzern in Niedersachsen rund 100.000 Menschen, denn auch das Bankgeschäft hat hier mit Braunschweig seinen Hauptsitz. Die beiden Aufsichtsräte des Landes, Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies (beide SPD), hatten sich bisher zurückgehalten und es bei der Aufforderung belassen, die Konzernspitze möge schnell für Klarheit sorgen und die Verantwortlichen ausfindig machen.

Wenn aber Ministerpräsident Weil in diesem Zusammenhang von „Flurschaden“ spricht, meint er verklausuliert genau die entscheidende Frage: Wird der Diesel-Skandal mittelfristig Arbeitsplätze in Niedersachsen gefährden. Am Erfolg des Konzerns hängen zudem die Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen mit VW-Fabriken.

Aber wie unsicher die Zeiten bei Volkswagen auch immer sind: Einen Rückzug aus dem Unternehmer kann sich lediglich die FDP vorstellen. CDU, SPD, Grüne und Linke halten daran fest, dass Niedersachsen nach der Familie Porsche/Piëch mit mehr als 50 Prozent und noch vor dem dritten Großaktionär Katar an Bord bleibt und Landesinteressen gemeinsam mit dem Betriebsrat und der bundesweit mächtigen IG Metall vertritt.