Die mehrfach ausgezeichnete Serie „The Knick“ zeichnet ein düsteres Bild vergangener Krankenhaustage.
Es soll ja Menschen geben, die der „guten alten Zeit“ hinterhertrauern und sich wünschen, sie lebten nicht im 21. Jahrhundert. Sondern irgendwann früher, als das Leben noch einfacher war. Was solche Nostalgiker gern übersehen, ist, dass das Leben zwar tatsächlich weniger überflutet von Medien und Informationen, möglicherweise auch sonst übersichtlicher war. Es war aber auch deutlich kürzer.
Dr. John Thackery (Clive Owen), Chefarzt des The Knick genannten Knickerbocker-Krankenhauses in New York, verkündet stolz, „vor 20 Jahren war 39 das Lebensalter, das ein Mensch zu erwarten hatte. Heute sind es schon mehr als 47!“ Wir schreiben das Jahr 1900 und Thackery hält die Traueransprache für einen Kollegen, der sich nach dem zwölften missglückten Kaiserschnitt in Folge erschossen hat.
Und auch sonst kommt man schnell ins Grübeln, ob die Vergangenheit – nicht nur aus medizinischer Sicht – wirklich ein so viel besserer Ort war: Tuberkulose ist eine reale Gefahr nicht nur in den Armenvierteln, für die Besatzungen der Rettungswagen steht der finanzielle Anreiz solventer Patienten im Vordergrund, nicht etwa die Rettung Kranker und Verletzter. Und die Operationsmethoden sind dazu geeignet, dass sich garantiert niemand auf dem OP-Tisch sehen möchte. Immerhin ist die Anästhesie schon so weit fortgeschritten, dass die Chirurgen nicht mehr zur Holzhammernarkose greifen müssen.
Aber zwischen einem modernen Krankenhaus der Gegenwart und dem „Knick“ liegen beängstigende Welten. Neben solchen glücklicherweise verjährten Problemen gibt es auch jene, die die Gesellschaft leider bis heute beschäftigen: Rassismus zum Beispiel. In der Serie führt Steven Soderbergh („Traffic – Die Macht des Kartells“, „Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll“) übrigens nicht nur Regie, sondern ist auch unter Pseudonymen (Peter Andrews, Mary Ann Bernard) für Kamera und Schnitt verantwortlich.
Der hochdekorierte Dr. Algernon Edwards (Andre Holland), der auf Wunsch der im Hintergrund agierenden finanzstarken Robertsons als Thackerys Stellvertreter engagiert werden soll, ist schwarz. Und Thackery ist sicher, dass es „genügend Neger-Krankenhäuser“ geben würde, in denen seine Fachkenntnisse dringender benötigt würden. Er weigert sich, Edwards einzustellen. Im Gegensatz zum Krankenhausdirektor Herman Barrow (Jeremy Bobb), der die angespannte finanzielle Lage des Hospitals gänzlich verloren sieht, wenn die Förderung durch die Robertsons eingestellt würde.
Auch sonst ist das Gesellschaftsbild, das in „The Knick“ gezeichnet wird, ein recht düsteres. Vom Aufbruchsgeist des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten ist nur wenig zu spüren. Aber genau das macht die Serie auch so sehenswert. Der Blick auf das beginnende 20. Jahrhundert ist in keiner Weise verklärend oder romantisierend, sondern ziemlich rücksichtslos, was etwaige Sensibilitäten der Zuschauer angeht. Ein Grund, warum „The Knick“ nicht zur Primetime läuft. Die Freigabe ab 16 Jahren ist voll und ganz berechtigt, spätestens wenn es in den OP geht, in dem Thackeray versucht, die moderne Medizin mit Blut, Schweiß und Tränen voranzubringen – auch wenn er sich vorher eine Spritze Muntermacher genehmigen muss.
Narzissmus und Rassismus verbinden sich mit einem Drogenproblem und dem unerschütterlichen Glauben an die Fortschritte der Medizin zu einem zwar unangenehmen, aber faszinierenden charakterlichen Kaleidoskop des Chefarztes, dessen Darstellung Clive Owen unter anderem eine Golden-Globe-Nominierung eintrug. Daneben hat „The Knick“, dessen zweite Staffel im Herbst in den USA anläuft, Chancen auf bis zu fünf Emmys für das bereits wohl gefüllte Trophäenregal.
Nach einigen Folgen „The Knick“ sollte auch das ausgeprägteste nostalgische Bedürfnis nach der „guten alten Zeit“ gestillt sein. Im Gegensatz zu dem nach mehr Episoden.
„The Knick“, ab heute 22.30 Uhr, ZDFneo