Hamburg. Ein Kommentar von „Panorama“-Chefin Anja Reschke gegen Hetzparolen im Netz wird zum viel diskutierten Klickhit bei Facebook.
In ihrem Kommentar für die „Tagesthemen“ vom Mittwoch wählte Anja Reschke, die Leiterin der Abteilung Innenpolitik des NDR und Moderatorin des Politmagazins „Panorama“, unmissverständliche Worte. Sie sprach über den grassierenden Ausländerhass im Netz, über Gewaltaufrufe, die nicht mehr unter Pseudonym, sondern mit dem echten Namen getätigt werden: „Anscheinend ist das nicht mal mehr peinlich. Im Gegenteil, auf Sätze wie ,Dreckspack, soll im Meer ersaufen‘ bekommen sie ja auch noch begeisterten Zuspruch und eine Menge Likes. Wenn man bis dahin ein kleiner rassistischer Niemand war, fühlt man sich da natürlich plötzlich ganz toll.“
Strafverfolgung allein reiche nicht aus, um auf solche Tiraden zu reagieren: „Die Hassschreiber müssen kapieren, dass diese Gesellschaft das nicht toleriert. Wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kundtun.“
Ihre Forderung nach einem neuen „Aufstand der Anständigen“ zog im Internet in kürzester Zeit weite Kreise: Nach weniger als 24 Stunden haben dank des Schneeballeffekts der Weiterverteilung fast 10 Millionen Facebook-Nutzer den Beitrag gesehen. „Damit hat sich Anja Reschke selbst von Platz eins verdrängt“, sagt Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell. Der vorherige Rekordhalter für die Verbreitung in sozialen Netzwerken war Reschkes „Tagesthemen“-Kommentar zum Holocaust-Gedenktag im Januar.
Die Geschwindigkeit, mit der sich ihr aktueller Aufruf zum Widerstand gegen den digitalen Hass verbreitete, hat auch Anja Reschke selbst überrascht: „Ich habe zwar schon die Erfahrung gemacht, dass die Menschen es goutieren, wenn man klare Worte wählt, aber mit dieser Welle hätte ich nicht gerechnet. Denn eigentlich ist das, was ich gesagt habe, ja eine Selbstverständlichkeit.“
Sie freue sich auf die Kommentare zu ihrem Kommentar, schloss Reschke ihren „Tagesthemen“-Beitrag. Da klang noch viel Ironie mit. Einen Tag später freuen sich sowohl die Kommentatorin als auch der Chefredakteur ganz ehrlich. Denn der überwiegende Anteil der Reaktionen ist positiv. „Genau darum ging es mir ja, ich wollte, dass die Masse, die oft nichts sagt, aber Hassparolen nicht teilt, sich zu Wort meldet“, sagt Reschke. Sie scheint einen Nerv getroffen zu haben.
Allerdings nicht ausschließlich im positiven Sinn. Die schlimmsten Beleidigungen werden zwar vom Social-Media-Team der „Tagesschau“ schnell gelöscht. Doch auch das, was übrig bleibt, hat es in sich. Den klaren Unterschied, den Reschke zwischen freier Meinungsäußerung und Aufrufen zur Gewalt machte, scheinen viele ihrer Kritiker nicht zu bemerken oder nicht bemerken zu wollen. Ihr wird „Radikalität“ oder gleich „Volksverhetzung“ vorgeworfen. Ihr Satz: „Schön wäre also, wenn darüber sachlich diskutiert würde“, er geht unter in den Wortschwallen, in denen „Lügenpresse“ und „Staatsmedien“ dem „Volk“ den Mund verbieten wollen.
In einer mit vollem Namen unterschriebenen E-Mail an Reschke wettert einer gegen „Überfremdung“, gegen angeblich eingeschleppte Krankheiten und die „vielen, auf Vermehrung ausgerichteten Schwarzen“, die sich „mit unserem weißen Volksstamm“ vermischen würden. Der Autor empfindet sich, wie er betont, selbst aber nicht als rechts, geschweige denn als rechtsextrem.
Viele derartige Zuschriften seien bei „Panorama“ in den vergangenen Monaten eingegangen. Reschke habe sich schon gefragt, was denn los sei in diesem Land, warum die Leute so hasserfüllt seien: „Aber durch die Reaktionen auf meinen Kommentar gestern habe ich gemerkt: ,Gott sei Dank, die Mehrheit ist tolerant, aufgeschlossen, positiv. Das ist doch ein super Signal.‘“
Der klare Ausschlag in die empathische, menschenfreundliche Richtung ist auch für Gniffke ein wichtiges Zeichen: „Das zeigt uns, wie wichtig es ist, diese Diskussion zu führen. Man darf diese Themen nicht aus Angst vor negativen Kommentaren ausblenden, sondern muss die Diskussion mit Offenheit, Respekt und notfalls mit klarer Kante führen.“
Klare Kante zeigt die „Panorama“-Chefin auch auf die Frage, wie sie die Chancen für eine sachliche Diskussion zum Thema sieht: „Solange das Thema nicht politisch angegangen wird und solange auch hochrangige Politiker noch ständig mit Begriffen, wie ,Asylmissbrauch‘ und ,FlüchtlingsKATASTROPHE‘ um sich werfen, um keine Wähler zu verprellen, wird eine sachliche Auseinandersetzung wahrscheinlich schwer.“
Als mutige Tat, wie verschiedentlich zu lesen war, sieht sie ihren Beitrag keinesfalls: „Es gehört wirklich kein Mut dazu, einen Kommentar in den ,Tagesthemen‘ zu sprechen.“ Als Einzelner gegen eine Masse zu sprechen, das sei mutig. So „wie eine junge Frau in Freital bei einer Bürgerversammlung mit sehr aufgeheizter, aggressiver Anti-Stimmung aufgestanden ist und laut gefragt hat, wie man Flüchtlingen helfen kann.“