Hamburg. Christine Strobl über Qualität und Quoten von ARD-Produktionen. Seit drei Jahren leitet sie die Filmeinkaufsorganisation der ARD.

Sie ist eine der wichtigen Frauen in der deutschen Medienlandschaft. Christine Strobl ist Chefin der Degeto, der Filmeinkaufsorganisation der ARD. Seit drei Jahren leitet die 44 Jahre alte Juristin die früher als „Kitschfabrik“ verspottete Institution und hat deren Renommee spürbar positiv beeinflusst. Die Medienfachfrau ist die Tochter von Ingeborg und Wolfgang Schäuble und mit dem CDU-Politiker Thomas Strobl verheiratet.

Hamburger Abendblatt: Als Sie Ihr Amt angetreten haben, war die Degeto in einem bedenklichen Zustand. Wo stehen Sie jetzt und wo wollen Sie noch hin?

Christine Strobl: Es ist völlig richtig, dass die ersten Jahre nicht nur fröhlich waren. Jetzt fängt es an, Freude zu machen. Weil wir intern gut aufgestellt sind, weil wir die Probleme der Vergangenheit beseitigt haben und uns jetzt auf das konzentrieren können, was den Job eigentlich ausmacht. Nämlich Geschichten fürs Publikum zu erzählen und mit wirklich tollen Kreativen zusammenzuarbeiten.

Was hat den Anfang so schwer gemacht?

Strobl : Wir hatten mehr Geld ausgegeben als uns zur Verfügung stand, hatten kein richtiges Regelwerk, keine moderne Kommunikations- und Führungskultur. In der Degeto herrschte Unsicherheit und wir wussten nicht genau, was wir inhaltlich machen sollten. Zusätzlich standen wir vor der Herausforderung, dass es in der ARD durchaus unterschiedliche Ideen gab, für was die Degeto alles zuständig sei. Ich habe zudem im ersten Jahr über 200 Einzelgespräche mit Produzenten, Autoren und Regisseuren geführt, um zu erläutern, welche Stoffe wir jetzt suchen. Denn zu Beginn hatte ich den Eindruck, dass viele mit guten Ideen gar nicht mehr zu uns gekommen sind, weil sie dachten, das macht die Degeto ja eh nicht.

Wie lässt sich Ihr aktueller Qualitätsanspruch definieren?

Strobl : Das hängt natürlich davon ab, ob wir Filme wie „Imitation Game“ in Cannes einkaufen oder Filme für den Freitag, den Samstag und die Krimireihen am Donnerstag redaktionell entwickeln und in Auftrag geben. Aber Qualität heißt zunächst einmal, dass wir großen Wert auf die Drehbücher legen, also auf den Stoff an sich. Und dann legen wir großen Wert darauf, mit wem dieser Stoff realisiert werden soll, also welcher Produzent, welche Schauspielerinnen und Schauspieler und natürlich die Regiefrage. Und am Ende ist für mich gutes Programm, wenn der Film berührt, wenn er authentisch ist, die Menschen zum Nachdenken, zum Lachen, zum Weinen bringt, und er darf dabei auch eine Botschaft haben. Er darf in keinem Fall banal, vorhersehbar, platt oder trutschig sein. Und ich will dabei gar nicht gegen Kitsch reden, den darf es auch mal geben. Für eine richtig schöne Liebesgeschichte ist zum Beispiel am Freitag immer Platz.

Ist „Mein Sohn Helen“ in dieser Hinsicht ein Vorzeigeprojekt? Da geht es um ein alternatives Familien- und Geschlechterbild: Jannik Schümann spielt einen transsexuellen Sohn, der aus dem Schüleraustausch als Tochter zurückkehrt.

Strobl : Es ist wahrscheinlich mutig, sich am Freitagabend um 20.15 Uhr mit einer Transgender-Thematik auseinanderzusetzen. Aber eigentlich steht dieses Thema für mich auch universell für das Unverständnis zwischen Eltern und Kindern, die erwachsen werden. Und wenn sie mit so einem Film mehr Zuschauer haben als die „Tagesschau“ davor, dann ist doch irgendetwas an dieser Idee aufgegangen.

Der Anteil der Regisseurinnen bei den Freitagsproduktionen der ARD liegt bei etwa 20 Prozent. Reicht das?

Strobl : Es gibt in diesem Land genügend herausragende Regisseurinnen. Es liegt also nicht daran, dass sie weniger gut sind oder nicht zur Verfügung stehen. Natürlich geht es immer um eine Auswahl unter Qualitätsaspekten, aber gerade als Frau in einer Führungsposition sehe ich auch meine Verantwortung, dafür zu sorgen, dass bei uns mehr Frauen zum Zug kommen.

Eigentlich sind Sie also an der richtigen Stelle und können über ein Volumen von 400 Millionen Euro verfügen.

Strobl : Das stimmt. Es ist viel Geld, das wir von den ARD-Anstalten bzw. den Gebührenzahlern anvertraut bekommen. 400 Millionen sind allerdings das gesamte Volumen, unsere redaktionelle Entscheidungen betreffen ein Volumen von ca. 160 Millionen Euro, bei den restlichen 240 Millionen geht es um vertragliche Dienstleistungen und buchhalterische Abwicklung.

Wie viele Produktionen kann man damit auf die Beine stellen?

Strobl : Wir liefern der ARD pro Jahr ungefähr 160 Erstausstrahlungen. Es gibt dabei unterschiedliche Sendeplatzbudgets; Lizenzeinkäufe, die manchmal deutlich günstiger sind. Andererseits sind Eventproduktionen wie „Grzimek“ oder „Der Fall Barschel“ aufwendiger.

Wie einig ist man sich bei der Degeto, wenn es um die Beurteilung von Filmprojekten geht?

Strobl : Wir sind ein sehr kleines Team rund um den Redaktionsleiter Sascha Schwingel mit acht Redakteurinnen und Redakteuren. Da stimmt übrigens die Quote, denn in der Redaktion gibt es nur zwei Männer. Ich halte nichts davon, den Redakteuren einen Film aufs Auge zu drücken, sondern die Redakteurinnen und Redakteure treffen erstmal die Stoffauswahl und überzeugen dann den Redaktionsleiter, aber klar, am Ende muss ich zustimmen.

Wie stark müssen Sie die Quote im Auge behalten, wie frei sind Ihre Programmentscheidungen?

Strobl : Es ist nicht so, dass jeder einzelne Film unter einem unmittelbaren Quotendruck steht. Die Erwartung des Programmdirektors des Ersten, Volker Herres, und der Fernsehdirektoren bezieht sich aber natürlich auf die durchschnittliche Akzeptanz eines Sendeplatzes. Für mich ist die Quote deshalb auch interessant, weil sie ein Relevanzmesser ist. Im Kino oder Theater hat man dafür den Kartenverkauf. Wir haben den Anspruch, um 20.15 Uhr, zur Prime-Time, den Zuschauern ein Angebot zu machen, das möglichst eine Mehrheit interessiert. Das geht durchaus auch mit sehr schwierigen Themen, siehe „Nackt unter Wölfen“ über die Befreiung vom KZ Buchenwald.

Möglicherweise bleibt es nicht so, dass die meisten Zuschauer um 20.15 Uhr vor dem Fernseher sitzen. Der Erfolg von amerikanischen TV-Serien hat auch Internet-Portale wie Netflix nach vorn gebracht, die das Ansehen von Lieblingssendungen zu jeder Tages- und Nachtzeit ermöglichen.

Strobl : Wir können bis heute bei uns keinen Rückgang bei der täglichen Sehdauer im Fernsehen feststellen. Im Moment hat das lineare Fernsehen noch eine große Kraft. Wir müssen uns aber dieser Entwicklung stellen und deshalb immer wieder neue Formen ausprobieren etwa wie bei „Babylon Berlin“. Da ist der Plan, das Nutzungsverhalten, was Amazon oder Netflix zugrunde liegt, zu bedienen und mehrere Serienepisoden direkt hintereinander zu programmieren. Mal sehen, wie die Zuschauer das annehmen.

Wie konsumieren Sie privat Medien?

Strobl : Ich muss und darf sehr viel Fernsehen und Kino schauen. Vier Stunden pro Tag kommen da oft zusammen. Rein privat sehe ich nur noch sehr wenig, ergänzend Nachrichten und Sport.

Wie war das in Ihrer Kindheit?

Strobl: Wir durften pro Tag eine halbe Stunde schauen, meistens am Wochenende. Bei uns war die Fernsehzeit noch streng limitiert. Wenn die Eltern weg waren, heimlich zu gucken, war deshalb schon ganz aufregend. Gern gesehen habe ich als Kind Sendungen wie „Löwenzahn“, „Die Waltons“, „Flipper“ oder „Das Haus am Eaton Place“.