Ex-Minister Franz Müntefering: „Sterben ist ein Teil des Lebens. Es kann gelingen.“ Thomas Gottschalk enthüllte bei Günther Jauch sein Wissen um Udo Reiter.
Berlin. Der ehemalige Bundesarbeitsminister Franz Müntefering warnt davor, ärztliche Beihilfe zum Suizid als Form der Sterbehilfe zu ermöglichen. Der Gesetzgeber könne keine Voraussetzungen für eine Suizidbeihilfe definieren, ohne die Würde von Menschen zu verletzen, sagte Müntefering am Sonntagabend in der ARD-Talksendung von Günther Jauch. Der SPD-Politiker forderte zugleich Respekt vor Pflegenden und Schwerkranken und warnte davor, dass ein gesellschaftlicher Druck auf alte Menschen entsteht, ihren eigenen Todeszeitpunkt zu bestimmen.
Müntefering hatte sein Ministeramt aufgegeben, um sich der Pflege seiner kranken Frau zu widmen. Die Jauch-Sendung sahen am Sonntag 4,34 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von 15,7 Prozent entspricht. Die vorangegangene Sendung über das umstrittene Buch des Autors Heribert Schwan über Altkanzler Helmut Kohl hatten 5,0 Millionen Zuschauer gesehen (18,0 Prozent Marktanteil).
Ähnlich wie Müntefering argumentierte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider. Ärztliches Handeln sollte „konsequent auf Leben“ ausgerichtet sein, sagte er. Für ihn sei es unvorstellbar, dass ein Arzt einen Menschen zum Tode befördert. Der oberste Repräsentant der deutschen Protestanten hat mehrfach unterstrichen, dass er Sterbehilfe ablehnt, vor kurzem aber gesagt, er würde seine krebskranke Frau Anne, falls sie es wünsche, gegen seine eigene Überzeugung zur Sterbehilfe in die Schweiz begleiten. Wegen der Erkrankung seiner Frau will Nikolaus Schneider am 10. November als EKD-Ratsvorsitzender zurücktreten.
Der Bundestag debattiert gegenwärtig über eine mögliche neue Gesetzgebung zur Sterbehilfe. Eine Parlamentariergruppe um den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) sprach sich jüngst für die Freigabe des medizinisch assistierten Suizids aus. Der Vorschlag hat eine heftige öffentliche Diskussion entfacht. Patientenschützer, Ärztegewerkschaften und Kirchenvertreter übten heftige Kritik. Ärzten ist es nach dem Standesrecht derzeit verboten, bei der Selbsttötung zu helfen.
Die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert von der Universität Münster kritisierte die aktuelle rechtliche Situation als „Zumutung für alle Beteiligten“. Wenn ein Schwerkranker seine Lage als unerträglich einschätze und freiverantwortlich entscheide, solle im Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient eine Beihilfe zum Suizid möglich sein.
Müntefering verwies indes auf die Möglichkeiten der Palliativmedizin: „Die Chance, dass ich die Schmerzen auf der letzten Strecke reduziert bekomme, ist ganz, ganz groß.“ Widerspruch äußerte Schöne-Seifert: Nicht jedem Patienten könne die Palliativmedizin ein Sterben in Würde ermöglichen.
Anlass für die Diskussion bei „Günther Jauch“ war der Suizid des ehemaligen MDR-Intendanten Udo Reiter vor gut einer Woche, der fast 50 Jahre lang auf einen Rollstuhl angewiesen war und in seinen letzten Lebensjahren nicht zum Pflegefall werden wollte. Günther Jauch verlas eine kurze Erklärung Reiters, wonach dieser bei sich schwindende Kräfte und erste Anzeichen für eine aufkommende Demenz beobacht habe. „Aus diesem Grund werde ich meinem Leben selbst ein Ende setzen“, heißt es in dem Brief. Ob Reiter tatsächlich eine Demenz entwickelte, ist nicht sicher.
Thomas Gottschalk schilderte die Entschlossenheit seines Freundes Reiter, der für sich stets das Recht auf einen selbstbestimmten Tod reklamiert hatte. Man habe mit dem Suizid rechnen müssen. „Ich bin entsetzt, dass er es so früh gemacht hat“, sagte Gottschalk.
Der Entertainer bekannte, dass er den Gedanken an den eigenen Tod verdrängt. Dass er selbst einen Arzt um Hilfe beim Suizid bittet, könne er sich nicht vorstellen. Wenn andere Menschen das wollten, finde er das aber in Ordnung.
Der SPD-Politiker Müntefering wie der evangelische Theologe Schneider warben dafür, sich mutig dem Lebensende zu stellen. „Sterben ist ein Teil des Lebens. Und Sterben kann gelingen“, sagte Müntefering. Die letzte Phase des Lebens könne man gut durchstehen, sagte Schneider. Häufig sei sie „prallvoll mit Leben“.