Mit der Komplettübernahme geht ein Stück hanseatischer Verlagsgeschichte zu Ende. Die Familie Jahr macht Kasse, Bertelsmann regiert G+J allein.
Hamburg/Gütersloh. Mit der Komplettübernahme durch die Bertelsmann AG geht bei Gruner + Jahr auch ein Stück Hamburger Verlagsgeschichte zu Ende. Denn der Verlag trägt ja schon im Namen die Zusammenarbeit der traditionsreichen Familien von Richard Gruner und John Jahr senior. Und eigentlich müsste sich der Name von Gerd Bucerius auch darin wiederfinden.
Die Familie Jahr rückt durch den Verkauf im Ranking der reichsten Deutschen weiter nach oben. Im Jahr 1950 beteiligte sich Richard Gruner mit 12,5 Prozent am Verlag von Henri Nannen, dessen „Stern“ bei Gruner in Itzehoe gedruckt wurde. Im Jahr 1965 fusionierte Richard Gruner mit den Verlagen von John Jahr senior und Gerd Bucerius (“Die Zeit“). Am neuen Konstrukt G+J erhielten Gruner 39,5 Prozent, John Jahr 32,25 Prozent und Gerd Bucerius 28,25 Prozent der Anteile. Gruner verkaufte dann 1969 erst 14,5 Prozent an die beiden Mitgesellschafter. Später verkaufte er die restlichen 25 Prozent ebenfalls an Jahr und Bucerius. Die beiden wiederum veräußerten darauf 25 Prozent an Bertelsmann und seinen Patriarchen Reinhard Mohn.
Gruner + Jahr ist seit Jahrzehnten im Zeitschriftengeschäft präsent. Flaggschiffe waren seither „Stern“, „Brigitte“ und „Capital“, nun zählen auch „Geo“ und „Nido“ und „Neon“ dazu.
Die vier Jahr-Geschwister bündelten ihre G+J-Beteiligung in der Jahr-Holding, der nun mit dem Deal von heute aus dem Anteilsverkauf weitere Barmittel zufließen. Die mittlerweile weit verzweigte Familie ist mit ihrem Milliardenvermögen unter anderem in Spielbanken und Immobilien investiert.
Der eigene Jahr Top Special Verlag gibt Magazine für Golfen, Angeln und Reiten heraus. Auch der Enkel des Verlagsgründers, ebenfalls namens John Jahr, stand im Winter in der Öffentlichkeit: Der Curler war mit 48 Jahren das älteste Mitglied der deutschen Olympia-Mannschaft in Sotschi.
Bertelsmann wiederum gehört mehrheitlich Stiftungen, und zwar zu 80,9 Prozent – allen voran der Bertelsmann Stiftung, die regelmäßig mit Studien zur gesellschaftlichen Entwicklung präsent ist. Die restlichen Anteile hält die Familie Mohn. Die Stimmrechte liegen vollständig bei der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft. An deren Spitze steht Liz Mohn, die Witwe des 2009 gestorbenen Unternehmenspatriarchen Reinhard Mohn.
Liz Mohns Tochter Brigitte arbeitet in der Stiftung mit. Sohn Christoph Mohn ist Aufsichtsratsvorsitzender des Konzerns. Liz Mohn muss satzungsgemäß spätestens Mitte 2016 die Führung der Verwaltungsgesellschaft aufgeben. Brigitte Mohn hat als Nachfolgerin bereits abgewinkt.
Der Kaufpreis wird nach Unternehmensangaben in bar geleistet, über die Höhe wurde Stillschweigen vereinbart. Der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann, Thomas Rabe, sprach von einem strategischen Meilenstein zur Stärkung der Kerngeschäfte. „Wir unterstützen die vom Gruner + Jahr-Vorstand auf den Weg gebrachte Transformation von Gruner + Jahr uneingeschränkt und werden auch in Zukunft die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen“, erklärte er.
Der Geschäftsführer der Jahr Holding, Winfried Steeger, teilte mit, Bertelsmann sei der geeignete Eigentümer, um Gruner + Jahr in eine gute Zukunft zu führen. Der Verlag verfüge über hervorragenden Content, Qualitätsjournalismus und Top-Marken und somit über alle Voraussetzungen, die Transformation in das digitale Zeitalter erfolgreich zu meistern.
Schon vor zwei Jahren war darüber spekuliert worden, dass Bertelsmann die Anteile der Jahr-Familie übernehmen könnte. Bertelsmann verspreche sich von einer Komplettübernahme höhere Einsparmöglichkeiten und eine bessere Kontrolle im schwieriger werdenden Printgeschäft, hieß es damals. Dann wurde aber mitgeteilt, beide Partner wollten das Verlagshaus gemeinsam weiterentwickeln.
Das Verlagshaus G+J hatte Ende August mitgeteilt, dass es in den kommenden drei Jahren 75 Millionen Euro einsparen wolle. Dafür sollen in Deutschland 400 Arbeitsplätze gestrichen werden. Die Sparmaßnahmen begründete das Unternehmen mit rückläufigen Marktentwicklungen im Print-Geschäft. G+J hatte vor einem Jahr angekündigt, sich in ein „Haus der Inhalte“ zu wandeln, um Print- und Digitalangebote besser zu verzahnen.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) appellierte an Bertelsmann, den Umstrukturierungsprozess von G+J konstruktiv zu begleiten. „Die guten sozialen Standards, die G+J gesetzt hat, müssen auch in Zukunft erhalten bleiben“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken. Er forderte Bertelsmann auf, den angekündigten Abbau von Arbeitsplätzen zu überdenken. „Nur mit genügend redaktionellen Arbeitsplätzen haben die Journalistinnen und Journalisten genug Zeit für Themenfindung, Recherche und Schreiben“, sagte Konken. „Nur so können sie gute Qualität liefern.“
Bertelsmann ist mit einem Umsatz von 16,4 Milliarden Euro der größte europäische Medienkonzern. Der Verlag hält auch 25,5 Prozent am Spiegel-Verlag. Das Verlagshaus hat gut 8500 Mitarbeiter und machte im Geschäftsjahr 2013 einen Umsatz von 2,1 Milliarden Euro. Dem Unternehmen gehören die Fernseh- und Radio-Gruppe RTL mit Sendern und Produktionsfirmen in Deutschland und anderen europäischen Ländern sowie Asien. Hinzu kommt die nach eigenen Angaben weltweit größte Buch-Verlagsgruppe Penguin Random House, zu der 250 Einzelverlage zählen. Sie verkauft insgesamt 700 Millionen Bücher, E-Books und Hörbücher pro Jahr.
Komplettiert wird das Bertelsmann-Portfolio durch Tochterfirmen wie dem Dienstleister Avarto oder dem global tätigen Musikrechte-Unternehmen BMG. Heute liegt der Konzern laut der Rangliste des Berliner Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) auf Platz 16 der Rangliste der umsatzstärksten globalen Medienkonzerne. Zum Vergleich: Die Axel Springer hat einen Umsatz von 2,8 Milliarden Euro und war 2013 der zweitgrößte deutsche Medienkonzern.