Nach dem Urteil muss der Einfluss der Politik auf das ZDF verringert werden. Auch für die anderen Öffentlich-Rechtlichen gelten die Grundsätze des Urteils. Die CDU forderte bereits den SWR-Staatsvertrag auszusetzen.
Karlsruhe/Hamburg. Das Bundesverfassungsgericht hat den Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begrenzt. Die Karlsruher Richter erklärten am Dienstag in einem Grundsatzurteil den ZDF-Staatsvertrag in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig. Der Erste Senat entschied, dass der Einfluss des Staates in den Aufsichtsgremien des ZDF deutlich verringert werden müsse.
Die bisherigen Regeln zur Zusammensetzung des Fernsehrats und des Verwaltungsrats des Senders verstießen gegen die Rundfunkfreiheit. Der Anteil staatlicher und staatsnaher Personen in den Aufsichtsgremien sei zu hoch und müsse auf ein Drittel begrenzt werden, forderten die Karlsruher Richter.
ZDF-Intendant Thomas Bellut erklärte: „Karlsruhe hat die Bedeutung eines unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks betont. Dabei hat das Gericht die Aufsicht durch gesellschaftliche Gruppen gestärkt.“ Das ZDF werde die Beratungen der Länder zur Änderung des ZDF-Staatsvertrages „konstruktiv begleiten“.
Scholz: Hamburg stellte richtige Fragen
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagte: „Es zeigt, dass Rheinland-Pfalz und Hamburg die richtigen Fragen gestellt haben. Und es eröffnet den Weg, die Legitimation eines staatsfernen öffentlich-rechtlichen Rundfunks pragmatisch zu stärken.“ Das Gericht habe klare und eindeutige Leitlinien für die Besetzung der Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks formuliert. Das Urteil lasse den Ländern „aber auch den notwendigen Spielraum, innerhalb der engen Frist zu einer Neuregelung zu kommen“.
Der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, 65, hat mit offener Freude auf das Urteil reagiert. „Ich glaube, die Auseinandersetzungen um meinen Fall haben sich gelohnt“, sagte Brender. „Das Urteil des Gerichts ist relativ klar: Es erfordert eine Menge an Veränderungen in den Bundesländern, neue Staatsverträge. Und es zeigt deutlich den Politikern die Grenzen ihres Einflusses auf. Es sichert die Unabhängigkeit des Journalismus in den öffentlich-rechtlichen Anstalten und stützt die Freiheit des ZDF.“
Die Normenkontrollanträge der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hamburg, die einen zu starken Einfluss von Staat und Politik im ZDF beklagt hatten, waren damit erfolgreich. Das Gericht ordnete an, dass die Bundesländer bis spätestens 30. Juni 2015 eine verfassungsgemäße Neuregelung treffen müssen.
Auslöser war Eklat um Brender
Anlass für das Verfahren war der Eklat um die gescheiterte Vertragsverlängerung für den ehemaligen ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. 2009 hatte der von der Union dominierte ZDF-Verwaltungsrat unter Führung des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) den Vertrag Brenders nicht verlängert, obwohl der damalige ZDF-Intendant Markus Schächter dafür plädiert hatte. Neuer Chefredakteur wurde Peter Frey.
„Verfassungsrechtlich gefordert ist zwar keine völlige Staatsfreiheit“, sagte Gerichts-Vizepräsident Ferdinand Kirchhof. Das Gebot der Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fordere aber eine weitgehende Besetzung der Aufsichtsgremien mit staatsfernen Mitgliedern, heißt es in dem Urteil. „In den Gremien und ihren Ausschüssen müssen deshalb jedem staatlichen oder staatsnahen Mitglied mindestens zwei staatsferne Mitglieder gegenüber stehen“, sagte Kirchhof.
Ein bestimmender Einfluss staatsnaher Mitglieder müsse wirksam ausgeschlossen sein. Dazu zählten neben Regierungsmitgliedern, Abgeordneten und politischen Beamten auch hochrangige Mitglieder politischer Parteien. Ein übermäßiger Einfluss durch informelle Gremien wie etwa den derzeitigen „Freundeskreisen“ müsse ausgeschlossen sein.
Mehr „staatsferne“ Gremienmitglieder
Das Bundesverfassungsgericht betonte, derzeit zählten 44 Prozent der 77 Mitglieder des ZDF-Fernsehrats zu den staatlichen oder staatsnahen Personen. Dies seien die 16 Vertreter der Länder, die drei Vertreter des Bundes, die zwölf Vertreter der politischen Parteien und die drei Vertreter der Kommunen. Auch der Anteil der staatlichen Mitglieder im ZDF-Verwaltungsrat liege derzeit bei sechs von 14 Personen und übersteige so die verfassungsrechtliche Obergrenze von einem Drittel. „Bis zur Neuregelung bleiben aber die bisherigen Vorschriften weiterhin anwendbar, um ein kontinuierliches Programmangebot des ZDF zu gewährleisten“, sagte Kirchhof.
Die Karlsruher Richter betonten auch, dass sämtliche Mitglieder von Fernsehrat und Verwaltungsrat bei der Erfüllung ihrer Aufgaben weisungsfrei sein müssten. Sie dürften nur aus wichtigem Grund abberufen werden. Der Gesetzgeber habe zudem Regeln zu schaffen, die ein Mindestmaß an Transparenz zur Arbeit der Aufsichtsgremien herstellen.
Derzeit besteht der Fernsehrat des ZDF, der 77 Mitglieder hat, zu 44 Prozent aus staatsnahen Vertretern. Im Verwaltungsrat, der den Intendanten überwacht, sind 6 von 14 Mitgliedern Staat und Parteien zuzurechnen. Das ist nach dem Urteil vom Dienstag zu viel.
Die anderen, „staatsfernen“ Gremienmitglieder vertreten größtenteils gesellschaftliche Gruppen – beispielsweise Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeber. Die Richter legten fest, dass diese Gruppen keine Parlamentarier oder hochrangigen Vertreter aus Parteien oder Regierungen in die Gremien schicken dürfen.
Überdies verlangt das Gericht, dass die gesellschaftliche Vielfalt in den Gremien gesichert werden müsse. Die Benennung der „staatsfernen“ Gruppen müsse „den aktuellen verschiedenartigen gesellschaftlichen Strömungen und Kräften in Deutschland Rechnung tragen“, heißt es in dem Urteil. Eine „Dominanz von Mehrheitsperspektiven“ und eine „Versteinerung“ bei der Gremienbesetzung müsse verhindert werden.
Überwiegend positive Reaktionen auf Urteil
Verfassungsrichter Andreas Paulus gehen diese Vorgaben nicht weit genug. In einem Sondervotum kritisierte er, dass es weiter die Gefahr der politischen Instrumentalisierung gebe. „Die Gremien – und mit ihnen die Anstalten – passen sich der Politik an, nicht die Politik den Aufgaben der Gremien“, monierte er. „Wenn die Aufsichtsgremien von Rundfunk und Fernsehen von denen beherrscht werden, deren Kontrolle sie unter anderem ermöglichen sollen, ist damit eine Beeinträchtigung ihrer Funktion verbunden.“
Der ehemalige ZDF-Intendant Markus Schächter sagte dem epd: „Karlsruhe reduziert den staatlichen Einfluss und unterstreicht auch in Zeiten des digitalen Umbruchs nachdrücklich die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) begrüßte das Urteil als klares Votum für die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Kritik des DJV und anderer Medienverbände an der massiven Einflussnahme des ZDF-Verwaltungsrats auf die Besetzung der Chefredaktion des Mainzer Senders sei damit höchstrichterlich bestätigt worden, erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken.
Die Journalistenorganisation „Reporter ohne Grenzen“ forderte die Bundesländer auf, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass für eine umfassende Reform der Aufsichtsgremien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu nehmen. „Nicht nur beim ZDF, sondern auch bei anderen öffentlich-rechtlichen Sendern muss der Einfluss der Parteien beschnitten werden“, erklärte Vorstandssprecher Michael Rediske.
Unmittelbar betrifft die Karlsruher Entscheidung nur das ZDF – die Grundsätze des Urteils sind aber auf alle öffentlich-rechtlichen Sender anwendbar, also auch auf die ARD-Anstalten. „Für jede einzelne ARD-Anstalt ist die Situation im Detail unterschiedlich“, sagte der ARD-Vorsitzende Lutz Marmor, zugleich NDR-Intendant. „Für den NDR-Staatsvertrag ergibt sich aus dem Urteil nach erster Durchsicht meiner Meinung nach kein unmittelbarer Änderungsbedarf.“ Derweil forderte in Baden-Württemberg die CDU-Landtagsfraktion, den SWR-Staatsvertrag auszusetzen und neu zu verhandeln. „Der vorläufig von Grün-Rot verabschiedete Staatsvertrag ist verfassungswidrig“, sagte Fraktionschef Peter Hauk.