Der Begriff ist nur einmal gefallen und wurde nur einmal als Vorschlag eingesanft: Dennoch wurde das Wort, das Jörg Kachelmann prägte, „unwort des Jahres“ 2012. Jetzt gibt es Kritik von allen Seiten.
Darmstadt. Viele Fragezeichen in den Gesichtern: Das Unwort des Jahres 2012 ist gewählt - und keiner kennt es. Ohne Erklärung kommt wohl kaum einer darauf, dass das „Opfer-Abo“ aus einem Interview von Jörg Kachelmann stammt, der damit beschrieben hatte, dass Frauen stets die Opferrrolle abgenommen wird, selbst wenn sie zu Täterinnen werden. Auch diese Tatsache wurde bereits kritisiert.
Die überraschende Entscheidung teilte die „Unwort“-Jury unter dem Vorsitz der Sprachwissenschaftlerin Nina Janich am Dienstag in Darmstadt mit. Der Begriff war nur einmal als Vorschlag eingesandt worden. Der am häufigsten eingeschickte Vorschlag „Schlecker-Frauen“ wurde unter anderem verworfen, weil die Frauen den Begriff auch selbst benutzten.
Die Jury kritisierte den Begriff „Opfer-Abo“, weil er Frauen „pauschal und in inakzeptabler Weise“ unter den Verdacht stelle, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterinnen zu sein. „Es ist problematisch, dass ein so Prominenter den Begriff verwendet hat“, erklärte Janich.
Dass für 2012 ein selten vorgeschlagener Begriff gewählt wurde, sei aber auch schon 2009 mit „betriebsratsverseucht“ der Fall gewesen, meinte Janich. Die „Unwort“-Jury, die im Kern aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten besteht, richte sich nicht nach der Häufigkeit der Vorschläge, das Gremium entscheide völlig unabhängig. „Die Entscheidung war schwierig, aber ein Konsens“, sagte Janich.
Der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, Ludwig Eichinger, meinte, das „Unwort“ sei „zu wenig bekannt“. Allerdings handele es sich „um eine nicht nett gemeinte Wortbildung in einem sehr emotional geführten Streit“.
Zum „Unwort des Jahres 2011“ war „Döner-Morde“ gewählt worden, 2010 „alternativlos“. Dieses Mal gingen insgesamt 2241 Einsendungen ein. Für das „Unwort 2011“ war mit 2420 Einsendungen ein Spitzenwert erreicht worden.
Für 2012 wählte die Jury zu weiteren „Unwörtern“ den Begriff „Pleite-Griechen“. Er diffamiere „ein ganzes Volk und damit auch einen Teil der in Deutschland lebenden Bevölkerung in unangemessener und unqualifizierter Weise“. Gerügt wurde auch die Bezeichnung „Lebensleistungsrente“. Sie sei „irreführend bis zynisch“. In Zusammenarbeit mit der Börse Düsseldorf wurde „freiwilliger Schuldenschnitt“ als „Börsen-Unwort 2012“ bekanntgegeben.
Neben der unabhängigen „Unwort“-Jury wählt davon getrennt die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden das „Wort des Jahres“. Für 2012 wurde im Dezember der Begriff „Rettungsroutine“ bekanntgegeben. Das Wort stehe für die immer wiederkehrenden Maßnahmen zur Rettung des Finanzsystems.
Reaktionen im Netz auf das Unwort „Opfer-Abo“ waren gemischt: Neben vielen ungläubigen Fragen („Wer hat das schon mal gehört?“) kamen von einigen Internet-Nutzern auch launige Kommentare. Bei Twitter hieße es zum Beispiel: „Opfer-Abo ist Unwort des Jahres. Ab morgen dann bei uns: Das große taz-Opfer-Abo, nur erhältlich mit Schmerznachweis und Diss-Bescheinigung.“ (Die „tageszeitung“ @tazgezwitscher„, http://url.dapd.de/st9qhP ) oder: “Opfer-Abo ist das Unwort des Jahres. Unwort deshalb, weil es bis heute niemand kannte.„ (Stefan Margenfeld, @margenfeld, http://url.dapd.de/6iqvlL )
Überrascht hat der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) auf die Wahl des Unworts des Jahres reagiert. Der gekürte Begriff „Opfer-Abo“ habe bei ihm zunächst nichts „klingeln“ lassen, sagte Ludwig Eichinger in Mannheim. „Ich kannte das Wort nicht.“ Erst nach dem Lesen der Jury-Begründung verstehe er, was mit der Wahl kritisiert werde. „Aber bei aller Wichtigkeit des Gender-Diskurses, war dieses Detail nicht so präsent“, fügte der Sprachwissenschaftler hinzu.
Die Wahl des Unworts erinnere ihn an die erst wenige Wochen zurückliegende Kür von „Rettungsroutine“ als Wort des Jahres. Auch in diesem Fall sei das gewählte Wort der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt gewesen. Es sei für das zurückliegende Jahr offenbar schwer gewesen, ein prägendes Wort zu finden, räumte der IDS-Direktor ein.
Kritisiert wurde die Wahl des Wortes von der Opferorganisation Weisser Ring. Es bestehe die Gefahr, ein Wort auf diese Weise erst populär zu machen. Auf der anderen Seite sei es wichtig, solche Begriffe zu enttarnen – wie dies mit der Begründung der Jury auch geschehen sei.