Der Altkanzler verlieh der Konferenz zum 50. Jahrestag der „Spiegel-Affäre” in Hamburg einen glanzvollen Schlusspunkt. Am Ende herrscht bei allen Teilnehmern Einigkeit.

Hamburg. 50 Jahre nach der „Spiegel“-Affäre sieht Altkanzler Helmut Schmidt das demokratische Bewusstsein der Deutschen gestärkt. „Die demokratischen Instinkte sitzen heute tiefer als 1962 und 1968“, sagte der SPD-Politiker am Sonntag zum Abschluss einer Konferenz in Hamburg anlässlich des 50. Jahrestags des Politik-Skandals. Sollte heute die Pressefreiheit ähnlich in Gefahr geraten wie damals im Oktober 1962, würde Schmidt nach eigenen Worten mit protestieren: „Wenn ich dann noch unter den Lebendigen bin, gehe ich auch noch mit auf die Barrikaden“, so der 93-Jährige schmunzelnd.

Der Polit-Thriller, an dessen Ende der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß seinen Posten verlor, habe eine ganz große Bedeutung für die Geschichte der Bundesrepublik, sagte Schmidt. Es sei wahrscheinlich kein Zufall, dass wenige Jahre später eine Große Koalition gekommen sei.

Gegen den damaligen Hamburger Innensenator Schmidt selbst war im Zuge der Affäre ebenfalls ermittelt worden. Zunächst wegen des Verdachts der Beihilfe zum Landesverrat, dann abgeschwächt wegen des Verdachts der „fahrlässigen Preisgabe von Staatsgeheimnissen“ an die Redakteure. Am Ende musste die Bundesanwaltschaft alle Vorwürfe fallenlassen. „Ich habe die Geschichte für eine Dummheit gehalten“, bilanzierte Schmidt.

Zuvor hatte Zeitzeuge Hans-Dietrich Genscher den Skandal als prägenden Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik geschildert. „Für mich ist in diesen Tagen die Republik eine andere geworden“, sagte der damalige Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Als er im Oktober 1962 gehört habe, dass Kriminalbeamte die Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins besetzt hätten, sei das ein „Kälteschock“ für ihn gewesen.

Erstmals kamen die beiden Töchter der damaligen Widersacher auf einem Podium zusammen: Franziska Augstein (48) und Monika Hohlmeier (50). Die „Spiegel“-Affäre sei für ihren Vater eine ganz, ganz tiefe Wunde gewesen, berichtete Hohlmeier. Der langjährige CSU-Chef selbst sei sich seiner Fehler in der Affäre bewusst gewesen. Franziska Augstein, Feuilletonistin der „Süddeutschen Zeitung“, erklärte, sie halte im Nachhinein das damalige Agieren des Magazins für gerechtfertigt.

Nach einem kritischen „Spiegel“-Artikel über die Bundeswehr („Bedingt abwehrbereit“) war im Oktober 1962 die Zentrale des Magazins durchsucht worden. Mehrere Redakteure wurden festgenommen, Herausgeber Rudolf Augstein kam für 103 Tage in Untersuchungshaft. Am Ende blieb vom Verdacht des Landesverrats und der Bestechung aber nichts übrig – der „Spiegel“ ging als Gewinner aus der Affäre hervor.

Der große Verlierer des Skandals war Strauß, der nach einem Aufstand der FDP-Minister seinen Platz im Kabinett von Kanzler Konrad Adenauer (CDU) räumen musste. Franziska Augstein berichtete, ihr Vater habe an Strauß dessen analytische Intelligenz geschätzt. Auch nach der 62er-Affäre habe Strauß weiter mit dem Magazin gesprochen, weil er auch Andersdenkende erreichen wollte, sagte Hohlmeier. Franziska Augstein ergänzte, dass ihr Vater vielerlei Anlass gehabt habe, dem Widersacher aus Bayern dankbar zu sein – schon allein für das starke Auflagenwachstum des Nachrichtenmagazins.

Einhellig wurde bei dem hochkarätig besetzten Treffen der Fall als Wendepunkt oder historische Zäsur bezeichnet. Damals sei versucht worden, den „Spiegel“ mundtot zu machen, sagte Chefredakteur Georg Mascolo: „Es ging um die junge Pflanze der Demokratie, die 17 Jahre nach Kriegsende noch ziemlich schwache Wurzeln hatte.“