Hamburg. Klaus Schumacher, Leiter des Jungen Schauspielhauses, über das Angebot seiner Bühne und das aktuelle Stück „Du blöde Finsternis!“.
Hinter den verschlossenen Türen des Jungen Schauspielhauses am Wiesendamm herrscht reges Treiben – so wie jeden Tag seit dem Start an neuer Spielstätte vor eineinhalb Jahren. Deren Leiter Klaus Schumacher erarbeitet derzeit die Premiere von Sam Steiners „Du blöde Finsternis!“ (14. Januar). Ein Gespräch über Theater für junge Menschen in Krisenzeiten.
Hamburger Abendblatt: Herr Schumacher, Sie inszenieren „Du blöde Finsternis!“ von Sam Steiner für Jugendliche ab 14 Jahren. Es ist kein ausgewiesenes Jugendstück. Warum haben Sie es ausgewählt?
Klaus Schumacher: Sam Steiner hat eine Stimmung eingefangen, die ganz gegenwärtig ist. Die Apokalypse, die im Stück im Hintergrund stattfindet, wird nie konkret. Das ist ein Konglomerat und eine Überforderung im Globalen. Die Welt produziert eine Pandemie, Kriege, soziale Probleme, und durch die medialen Möglichkeiten sind wir ganz nah an diesen Problemen dran. Wir sind aber weitgehend ohnmächtig. Das kann zu einem ziemlich deprimierenden Zustand führen. Ich finde es wichtig, dem etwas entgegenzusetzen, und das liegt im positiven Menschenbild, das hier erzählt wird.
Worum geht es in dem Stück genau?
Wir schauen den Freiwilligen in einer Notruf-Telefonzentrale bei der Arbeit zu. Während der Schichten ereignen sich draußen Dinge, die die Welt nicht besser machen. Drinnen kommen die Notrufe an. Die vier Menschen sind wahnsinnig liebenswert, miteinander aber auch mit sich selbst. Trotz des ernsten Hintergrundes hat das sehr viel komisches Potenzial. Es geht darum, dass wir lernen, gut miteinander umzugehen. Die Katastrophen rücken näher. Und dann gibt es Menschen wie Frances, die mit über 40 Jahren noch mal schwanger ist, die Abläufe und die Qualität der Telefonate verbessern will, damit allen auch auf die Nerven geht, aber ich mag solche Menschen.
Es sind aber auch zum Teil Anrufer mit extremen Themen, etwa Lebensüberdruss. Kann das ein junges Publikum überfordern?
Es bleibt alles eine Erzählung. Man hat als Publikum dennoch eine gewisse Distanz dazu, weil man in der Rolle eines Beobachters ist bzw. bleibt. Andererseits sind es verschiedene Leben, mit denen wir konfrontiert werden. Ab 14 Jahren kann man auf Dinge draufschauen, ohne gleich involviert zu sein. Auch im Lachen darüber, in der Distanzierung und in der Analyse kann man viel mehr entdecken als Fünfjährige, die ganz eintauchen in ein Geschehen. Mit 14 Jahren ist man schon mitten in einer Welt, die wir entschlüsseln müssen.
Wie hat sich die Resonanz der jungen Besucherinnen und Besucher durch die Pandemie der vergangenen drei Jahre verändert?
Wir haben ja eröffnet, als die ersten Aktivitäten wieder stattfinden konnten, und ich habe wahrgenommen, dass sehr viele Zuschauerinnen und Zuschauer sich richtig gefreut haben, solche Theaterereignisse wieder zu erleben. Wir haben in Hamburg eine tolle Lehrerschaft, und die belebt das, was wir hier machen, durch Interesse und Engagement. Jüngere Schülerinnen und Schüler haben es aber schwerer, hierherzukommen, weil die Betreuungssituation nach der Corona-Zeit schwieriger geworden ist.
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Hat sich der Umzug in ein eigenes Haus bewährt – haben sich die Erwartungen seit der Eröffnung im Herbst 2021 erfüllt?
Es kommt mir noch so frisch vor, aber der Start und die ersten eineinhalb Jahre waren richtig schön. Der Neubau beschert uns völlig neue Möglichkeiten. Wir haben nun nicht nur einen, sondern zwei Säle, wir haben eigene Probebühnen. Termine für die beiden Inszenierungen „Subjekt Woyzeck (into the void)“ und „Romeo und Julia“ sind bei Bekanntgabe sofort ausgebucht. Die Resonanz ist insgesamt toll. Wir haben sehr lebendige Vorstellungen. Ein zweites Standbein, das wir „Schauspielraum“ nennen, in dem Kinder und Jugendliche aber auch Erwachsene ins Spielen kommen, hat total eingeschlagen. Die Menschen wollen hier zusammen aktiv sein. Das Stück „Periodensysteme“ mit fünf jungen Spielerinnen hatte am Wochenende eine viel beachtete Premiere.
Gibt es die vorher beschworene offene Tür zur benachbarten Theaterakademie?
Ja. In jeder Saison zeigt eine Regie-Absolventin oder ein Regie-Absolvent der Theaterakademie die erste Arbeit bei uns, finanziert von der Claussen-Simon-Stiftung. Das Ergebnis wird auch überregional gesehen.
Was braucht Theater für junges Publikum heute am meisten?
Wir können einen Denkraum schaffen, in dem man weiter über Alternativen, andere Lebensformen, Perspektiven nachdenken und Modelle im Umgang damit erzählen kann. Natürlich müssen wir unsere Gegenwart beschreiben. Vor allem geht es darum, dass das Publikum hier rausgeht, neue Perspektiven mitnimmt und aktiviert wird.
„Du blöde Finsternis!“ Premiere 14.1., 19 Uhr, Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28, Karten unter T. 24 87 13; schauspielhaus.de