Madonna geriert sich auf ihrem zwölften Album als “Material Girl“, das edle Klamotten trägt und sich wie anno 1985 von Männern tragen lässt. Sie sieht dabei verräterisch gut aus: wie Marilyn, circa 1956. Wenn Pop immer auch schon für ewige Jugend steht, Mädchen-trifft-Junge, erste Liebe und juvenile Gegenwelt, für Sonnenschein und Unbekümmertsein, dann reißt die 1958 geborene Künstlerin das Programm ganz gut ab auf “MDNA“.
Hamburg. Die US-amerikanische Popsängerin Madonna Louise Ciccone soll sehr gescheit sein. Von den in vielen, vielen Karrierejahren angehäuften Madonna- Facts lautet einer: Die Frau hat einen IQ von 140. Sie kann eins und eins zusammenzählen. Von daher dürfte der Überstar der populären Musik gar nicht überrascht sein, dass sein neues, heute erscheinendes Album "MDNA" verheerend beurteilt wird. Von "Deppentechno" ist in einem der gnadenlosen Verrisse zu lesen. Man wäre auch selbst darauf gekommen.
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Und man kann sich mitleidiger Gefühle nicht erwehren, die einem beim Betrachten des Videoclips zur Single "Give Me All Your Luvin'" anfallen: was für ein krampfiger Versuch, das Jungsein zu konservieren. Ist die in einen Jungbrunnen gefallen? Hat ihr niemand gesagt, dass die Cheerleadernummer nicht mehr zieht, wenn man über 50 ist? Soll das ironisch sein? Oder soll ab sofort jede Frau in Hotpants schlüpfen, um das Älterwerden für ein bloßes Gerücht zu halten?
Es muss Madonna einfach klar gewesen sein, dass Popkritik und Öffentlichkeit irgendwann die Frage nach der Glaubwürdigkeit ihres Auftretens stellen werden. Länger schon kursieren Fotos, die eine sehnige, übertrainierte Frau zeigten, die dem Fortschreiten der Zeit die Zähne zeigt. Jeder, wie er will: Es stellt sich aber die Frage, wie sich derlei biologischer Ehrgeiz in einem Popsong niederschlagen darf.
Madonna hat 350 Millionen Platten verkauft, sie ist jetzt seit 30 Jahren im Geschäft. Derart erfolgreich wurde sie, weil es ihr meist gelang, ihren Sound dem Zeitgeist anzupassen und aus verschiedenen Einflüssen den perfekten, allgemein geschätzten Pop zu amalgamieren. In den 80er-Jahren klang Madonna nach Synthie-Disco, ehe sie Balladen, House und Hip-Hop entdeckte. Sie ist die Mutter und das Vorbild der Mainstream-Sängerinnen, der modischen Rollenspielerinnen Britney Spears und Lady Gaga, und als Mutter will man immer auch irgendwann die Verhältnisse zurechtrücken.
Also geriert sich Madonna auf ihrem zwölften Album als "Material Girl", das edle Klamotten trägt und sich wie anno 1985 von Männern tragen lässt. Sie sieht dabei verräterisch gut aus: wie Marilyn, circa 1956. Wenn Pop immer auch schon für ewige Jugend steht, Mädchen-trifft-Junge, erste Liebe und juvenile Gegenwelt, für Sonnenschein und Unbekümmertsein, dann reißt die 1958 geborene Künstlerin das Programm ganz gut ab auf "MDNA". Wobei die Frau in Madonnas Texten nicht Jugendfreies trällert, sondern Versautes: "Bitch out of order/ Bat out of hell".
+++M.I.A. pfui, Madonna hui+++
Die Stücke heißen "Some Girls", "Girls Gone Wild" oder "I'm A Sinner". Tanzbarer Instantpop mit einprägsamen Melodien und Texten ist eine Qualität für sich; schlimm ist allerdings, wenn er so abgegriffen klingt wie hier: "Don't play that stupid game with me/ Cause I'm a different kind of girl".
Man kann nicht anders, als an die 53-Jährige zu denken, die diese Zeilen singt. Dazu ballert der Beat, als wäre mal wieder Dorfkirmes angesagt. Der Sound ist, obwohl der glorreiche William Orbit auf "MDNA" seine Finger im Spiel hat, meist billig. Madonna sieht maximal aus wie 30 in dem kindischen "Give Me All Your Luvin'"-Clip, aber trotz Schminke traut sie dem Braten nicht so recht. Weswegen sie sich die Rapperin Nicki Minaj (Jahrgang 1982)und die Sängerin M.I.A. (Jahrgang 1975) zur Verstärkung geholt hat.
Ästhetisch fügt Madonna mit ihren neuen Songs dem Disco-Genre nichts hinzu. Bessere Momente ("Beautiful Killer") und schlechtere ("I Fucked Up") wechseln sich ab. Man kann sich bei fast allen die tanzende Jungseniorin Madonna vorstellen, die nicht mehr oben auf dem Podest mit den Hüften wackelt, denn dort steht ja zurzeit Lady Gaga. Madonna hampelt unten auf der Tanzfläche, und in einem teuflischen Überbietungsgestus gelingt es ihr dabei immerhin, die fieseren Beats ("Gang Bang") zu haben. Madonna fiel früher immer etwas ein, wenn sie ihrer selbst überdrüssig war. Diesmal gelingt ihr das nicht, und frei von Peinlichkeit war sie ohnehin nicht immer, wie etwa ihre im Nachhinein doch sehr übertriebene Exhibitionismusphase ("SEX", "Erotica") zeigt. Vielleicht geht man da aber auch zu hart mit ihr ins Gericht: Anfang der 90er-Jahre gab es noch keine It-Girls, noch keine entwendeten Pornovideos, noch keine Bilderflut im Internet. Da war der Bildband eines nudistischen Popstars durchaus eine Provokation.
Wohlwollend könnte man also sagen: Die "Man ist immer so alt, wie man sich fühlt"-Madonna lässt sich nicht aufs Altenteil schicken. Sie beansprucht allen Glamour für sich - wie mutig! Das änderte freilich nichts an der Feststellung, dass ein Album wie "MDNA" einfach völlig unerheblich ist.
Madonna: MDNA (Universal)