Hamburg. Die Konzertagentur blickt mit Sorgen auf die Corona-Maßnahmen im Herbst und im Winter und hat eine Forderung an die Politik.

Eigentlich sollte das Jahr 2022 ein Jahr des Feiern sein, begeht doch die Karsten Jahnke Konzertdirektion ihren 60. Geburtstag. Doch Partylaune will im dritten Corona-Jahr bei Veranstaltern in ganz Deutschland nicht so recht aufkommen, zu groß sind die Sorgen angesichts rückläufiger Ticketverkäufe, abgesagter Touren und Vorschlägen aus der Politik, im Herbst und Winter zu einem restriktiven Regelwerk im Kulturbereich zurückzukehren. Ein Gespräch mit Karsten Jahnke (84) und seinem Enkel Ben Mitha (34), seit 2014 Mitglied der Geschäftsführung, über Konzertabsagen und Zukunftsaussichten.

Hamburger Abendblatt: Für den Herbst und Winter gibt es aus der Politik verschiedene Vorschläge, wie Coronaregeln im Kulturbereich aussehen könnten. Die Rede ist unter anderem von einer erneuten Maskenpflicht und einer Testpflicht für alle, die nicht nachweisen können, dass ihre letzte Impfung höchsten drei Monate zurückliegt. Was halten Sie davon?

Karsten Jahnke: Das wäre für uns tödlich. Die Veranstaltungswirtschaft befindet sich ohnehin wegen der Corona-Pandemie in einer Krise. Und dann kommen solche Vorschläge …

Ben Mitha: Egal, was von diesen Vorschlägen konkret umgesetzt wird, in jedem Fall wird es dazu führen, dass unsere Ticketverkäufe und damit unsere Umsätze weiter zurückgehen. Wir haben, was das Infektionsgeschehen betrifft, im Sommer sehr erfolgreiche Veranstaltungen durchgeführt und wenn jetzt wieder die Angst geschürt wird, dass Konzerte Pandemie­treiber sind, wird es noch mehr Kunden geben, die sich verunsichern lassen und vom Konzertbesuch Abstand nehmen.

Konzertveranstalter Karsten Jahnke (r.) und sein Enkel und Geschäftsführer Ben Mitha.
Konzertveranstalter Karsten Jahnke (r.) und sein Enkel und Geschäftsführer Ben Mitha. © Roland Magunia

Das Hamburger Clubkombinat schreibt in einer Stellungnahme, wenn eine erneute Maskenpflicht komme, sei das der Todesstoß für das Clubleben und komme einer Schließung der Clubs gleich. Welche Auswirkungen hätte die Maskenpflicht für das Konzertleben?

Mitha: So eine Maskenpflicht bekämen wir in einer ausverkauften Konzerthalle rein organisatorisch gar nicht umgesetzt; wie soll ein Ordnungsdienst da die Einhaltung kontrollieren, wenn vor der Bühne ein Moshpit abgeht? Das heißt, wir müssten wieder Konzerte auf Abstand und/oder mit Bestuhlung durchführen. Und weil das den Spaß bei einem Konzert deutlich schmälert, würden mehr und mehr Fans darauf verzichten.

Jahnke: Ich habe jetzt viele Konzerte sitzend und mit Maske erlebt und fand das ganz okay. Aber ein Clubkonzert im Stehen mit Maske? Das würde ich selbst auch nicht machen.

Mitha: Ich glaube, man sollte eher in diese Richtung denken: Muss beispielsweise ein Herbert Grönemeyer, der mit Corona infiziert ist, sich wirklich in eine mehrtägige Quarantäne begeben und die gesamte Tour absagen? Oder kann das seine Travelparty, also Band, Techniker und sonstige Crew, auch selbst entscheiden und etwa zu dem Ergebnis kommen, dass es möglich ist, sich von ihrem Frontmann so zu separieren, dass die Konzerte stattfinden können?

Gibt es bei Ihnen noch finanziellen Spielraum für einen weiteren Corona-Herbst und -Winter mit den entsprechenden Einschränkungen?

Mitha: Wir hatten ausreichend Rücklagen als Corona ausbrach, und man muss auch sagen, dass die finanziellen Hilfen während der Corona-Zeit für uns zufriedenstellend waren, deshalb sind wir einigermaßen durchgekommen. Viel entscheidender ist aber die Zeit, die jetzt vor uns liegt, denn die Hilfen sind ausgelaufen, gleichzeitig ist die Kartennachfrage nicht so wie vor Corona, und wir haben alle mit Kostensteigerungen von 30 bis 40 Prozent zu kämpfen. Und weil wir nicht wissen, was an Maßnahmen auf uns zukommt, haben wir keine Planungssicherheit. Was das zweite Halbjahr 2022 und das erste Halbjahr 2023 angeht: Selbst normalerweise sicher ausverkaufte Konzerte liegen jetzt teilweise nur bei etwa 40 Prozent Auslastung.

Jahnke: Wir haben ja immer Konzerte veranstaltet, die kommerziell erfolgreich waren, aber eben auch solche, die in erster Linie eine kulturelle Bedeutung hatten. Für Letztere ist es in der gegenwärtigen Situation immer schwerer, Partner zu finden, die bereit sind, einen noch wenig bekannten Künstler zu fördern und erst mal zu investieren. Ich bin ja auch Veranstalter geworden, weil ich interessante Bands aufbauen wollte. Das geht momentan kaum noch und das macht mir große Sorgen.

Derzeit werden viele Konzerte abgesagt. Was sind die Gründe?

Mitha: Manchmal sind nicht ausreichend Tickets verkauft worden. Manche Künstler kommunizieren das ganz offen, andere eher verklausuliert. Außerdem können sich manche Künstler eine Tour derzeit schlicht nicht leisten, vor allem, wenn es sich um eine Welttournee handelt und eine Agentur beispielsweise in Asien die dort geplanten Auftritte wegen des lokalen Pandemiegeschehens absagt. Dann lohnt sich eine Tour nicht mehr und alle Termine fallen aus. Oder jemand aus der Band ist mit Corona infiziert und muss in Quarantäne – ausgerechnet zu der Zeit, zu der ein Festivalauftritt stattfinden sollte, der die komplette Tour finanziert hätte. Das war’s dann.

Gibt es vielleicht auch ein Überangebot an Konzerten?

Mitha: Ja, auf jeden Fall. Durch die Erfahrung der vergangenen zwei Jahre geht man von einem schmalen Zeitfenster aus, in dem man recht sicher Konzerte veranstalten kann. Im Frühjahr und Sommer, vielleicht noch im Oktober. Den November traut man sich schon nicht mehr, Januar und Februar sind von vornherein außen vor. Vor allem für März bis Mai führt das zu einer massiven Ballung, weil ja auch noch all die aus 2020 und 2021 verschobenen Konzerte zu den neu gebuchten kommen. Das wird sich bis 2024 kaum ändern.

Karten für Bruce-Springsteen-Konzerte verkaufen sich binnen weniger Tage, Wacken 2023 war nach fünf Stunden ausverkauft. Warum sind die Megastars und Megafestivals nicht betroffen?

Mitha: Das sind Happenings, bei denen man unbedingt dabei sein will. Was Wacken angeht: Da waren die Leute natürlich auch noch euphorisiert, weil sie gerade vom Festival kamen, als der Vorverkauf für 2023 begann.

Jahnke: Und Bruce Springsteen wolltest du vielleicht immer schon mal live sehen, und jetzt könnte die letzte Chance sein.

Mitha: Wir sprechen hier über die Speerspitze, dazu gehören auch Superstars wie Lady Gaga oder Ed Sheeran, aber alles, was danach kommt, kämpft schon. Und selbst bei Rammstein wurden kurzfristig noch Karten in den Verkauf gebracht. So etwas gab es vor der Pandemie nicht.

Was erwarten Sie jetzt in Sachen Corona von der Politik?

Mitha: Dass sie sehr vorsichtig bei der Wahl der Mittel zur Pandemiebekämpfung ist. Wir wären dafür, alles so wie es jetzt ist, laufen zu lassen, also: Keine Maskenpflicht, keine Kapazitätsbegrenzungen, keine Abstände bei Konzerten. Stattdessen Eigenverantwortung. Mit der Pandemie zu leben, muss der Fahrplan sein, im europäischen Ausland funktioniert das ja auch schon. Wir sollten uns darauf konzentrieren, die vulnerablen Gruppen etwa in Altenheimen und Krankenhäusern zu schützen, die ja wirklich gefährdet sind, statt alle ohne Ausnahme in ihrer Lebensqualität zu beschneiden. Schließlich kann jeder selbst die Entscheidung treffen, ob er zu einem Konzert geht. Und wenn er geht, ob er dort lieber eine Maske trägt.