Hamburg. Beim Tribut-Abend lasen die Schauspieler Ulrich Tukur und Joachim Król Musiktexte des Autors. Zentrales Thema: der Jazz.

Musik, hat Roger Willemsen einmal gesagt, höre er „wehrlos“. Nun, mag man da anfügen, vielleicht hat sie ihn fürs Erste tatsächlich wehrlos gemacht. Aber dabei blieb es nicht. Willemsen war immer dann ganz besonders Willemsen, wenn er in oft meisterlicher Diktion über das von ihm Er- und Durchlebte schrieb. Auf diese Weise sind etliche, natürlich, kluge Texte entstanden, die Willemsen als Begleitstücke für CDs, für Radiosendungen und Bühnenprogramme verfasste.

Diese Texte galten meistens seiner großen Liebe, dem Jazz, und deshalb waren die Protagonisten des großen Roger-Willemsen-Abends, mit dem das zehnte Harbour-Front-Literaturfestival am Montagabend zu Ende ging, die Vorleser Ulrich Tukur und Joachim Król nicht allein. Sondern auch Frank Chastenier am Klavier, Christian von Kaphengst am Bass und Hans Dekker am Schlagzeug, zusammen sind sie das Frank Chastenier Trio. Chastenier und Willemsen arbeiteten miteinander, sie waren Freunde. Chastenier, der Berufsmusiker, wird in dieser Freundschaft immer auch für das gestanden haben, was der andere nicht haben konnte: Willemsen, der Publizist, war zeit seines zu kurzen Lebens Kenner, Connaisseur und Fan.

Vor zwei Jahren starb Willemsen im Alter von 60 Jahren in Wentorf bei Hamburg. Deshalb nun der Tribut-Abend im ausverkauften Großen Saal der Elbphilharmonie. „Sie werden Roger Willemsen hören in diesen Texten“, hatte die Literaturkritikerin Insa Wilke in ihrer Vorrede zu der Veranstaltung versprochen, die den soeben erschienenen Willemsen-Band „Musik! Über ein Lebensgefühl“ (Fischer, 24 Euro) herausgegeben hat.

Willemsen war ein Musikverführer

Und so war es dann. In einem fabelhaft zusammengestellten Arrangement lasen Tukur und Król dialogisch aus den Texten Willemsens, mal längere Passagen, mal kürzere. Chastenier und seine Co-Musiker fügten ihre zumeist von Chastenier selbst und eigens für diesen Abend komponierten Stücke bruchfrei in das Wortgetümmel, das wie bei Willemsen meist unbedingt Hochfeuilleton-tauglich war und, das könnte schon sein, den ein oder anderen Zuhörer am Ende doch auch verschreckte. Stille, so hob der Text an, sei immer auch „komponiertes Schweigen“ und ziehe „sich selbst auf immer neue und originelle Weise ins Unhörbare zurück“, „der Musik kann es sogar gelingen, die Tiefe zu vertiefen durch ihr Sprechen“.

Diesem Beginn schob Chastenier ein introspektiv-atmosphärisches musikalisches Eröffnungsstück hinterher. Später sollte es fröhlicher, heller, freischwebender zugehen: Und Jazz in der Elbphilharmonie, das ist keine schlechte Wahlverwandtschaft. Wie sich überhaupt an diesem Abend auch die Ausdrucksformen ganz grundsätzlich ergänzten. So sehr sich Willemsen (und mit ihm manch anderer Autor) bemüht, mit Worten Musik zu fassen zu bekommen und das, was sie mit uns macht: Ohne Musik ist das am Ende sowieso immer eine trockene Angelegenheit.

Aber bei der Lektüre der Willemsen-Stücke, drehen sie sich nun über Coltrane oder Rossini, Billie Holiday oder Clara Schumann, fällt leicht auf, was Willemsen, der Mann mit der riesigen Musiksammlung, der Musikfan, der seine Helden in Ehren hielt, eben zuvorderst war: ein Musikverführer, der mit intellektuellem Interesse die Kontexte erfasste, in denen Musik entstand.

Beim Thema Helene Fischer wurde es komisch

Für die Macher des Harbour-Front-Festivals könnte der Abend eine Art Blaupause sein: Nicht nur, weil er gelang, sondern weil er satte 2000 Leute ins Konzerthaus lockte. Besonders an diesem Ort lassen sich die Menschen dann auf Literatur ein, wenn sie von der Musik begleitet wird.

Die Konzert-Lesung geriet launenmäßig zwischendurch auch in ausgesprochen heitere Gefilde – als Tukur und Król Willemsens Helene-Fischer- und Modern-Talking-Abhandlungen vortrugen. Der Meister scheute vor allzu billigen Opfern nicht zurück, so wie er an anderer Stelle vom gerechtfertigt wild galoppierenden Hochkulturross herab auf den „Scheißdreck“ blickte, der eben auch „Musik“ heißen dürfe. Aber pointiert und gut gesprochen war’s eben doch meist: Helene Fischer also, „sie ist wir – das größte gemeinsame Einfache“.

Fast am Ende des Abends kam die von Tukur und Król herbeitransportierte Willemsen-Sprache auf den hervorragenden amerikanischen Jazzpianisten Bill Evans zu sprechen, der 1980 kaum 51-jährig starb – „er hatte längst nicht alles gesagt“.