Hamburg. Die ehemalige Präsidentin des Landgerichts führt den Literaturhaus- Verein. Kultur und Paragrafen waren für sie nie ein Widerspruch.

Das Handy ist neu. Ein iPhone 8! „Mein Enkel hat gesagt, meines sei zu alt. Also habe ich jetzt dieses riesige Teil. Aber ich beherrsche es noch nicht wirklich“, sagt Konstanze Görres-Ohde, als es schon nach wenigen Minuten zum ersten Mal klingelt. Und dann: „Meine Mobilbox, die brauche ich jetzt nicht abzuhören.“ Aber das sieht ihr neues Telefon anders. Es klingelt nämlich nach wenigen Minuten noch einmal. „Schon wieder die Mobilbox. Ich fürchte, ich muss die jetzt einmal abhören, damit wir unsere Ruhe haben. Danach mache ich es aus.“ Sagt es und hält sich das Smartphone ans Ohr. „So, das war es. Jetzt kann es losgehen.“

Görres-Ohde ist eine viel gefragte Frau, auch als Richterin im Ruhestand. Das liegt vor allem an ihrer Leidenschaft für Bücher und den damit verbundenen Verpflichtungen, die sie eingegangen ist. Die 75-Jährige ist Vorstandsvorsitzende des Literaturhaus-Vereins. Dazu organisiert sie jeden Monat in Schleswig Lesungen mit namenhaften Autoren. Zuletzt empfing sie dort Hannelore Hoger und Ijoma Mangold. Für die kommende Veranstaltung hat sie Petra Morsbach mit ihrem Buch „Justizpalast“ eingeladen. Danach wird es eine Lesung mit Werken von Sarah Kirsch geben. Der ehemalige Intendant des Schleswiger Theaters, Michael Grosse, liest.

Enge Verbindung zu Schleswig

Zu Schleswig, der rund 25.000 Einwohner zählenden Stadt an der Schlei, hat Konstanze Görres-Ohde eine enge Verbindung. Von 2002 bis 2007 stand sie dort als Präsidentin­ des Oberlandesgerichts 24 Amtsgerichten und vier Landesgerichten vor. „Ich hatte eine tolle Aufgabe, aber war abends oft allein. Und nur lesen und Klavier spielen reichte mir nicht“, sagt sie. „Kinder aus dem Haus, kein Mann. Da kommt man dann auf neue Ideen.“ Also rief sie die Lesung „Justiz und Kultur“ ins Leben. Eine Reihe, die sie auch auf ihren vorherigen Stationen in Itzehoe und Hamburg bereits eng begleitet hatte. Zusammen mit einigen anderen Kulturbegeisterten organisiert der Kreis seitdem jeden Monat eine Lesung in den Räumen des Oberlandesgerichts. Und Görres-Ohde, die in Schleswig eine kleine Zweitwohnung hat, mittendrin. Auch mehr als zehn Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsleben.

Die ehemalige Richterin ist für die Akquise der Vortragenden zuständig. Begrüßt dann am Abend die Gäste und gibt eine Einführung ins Thema. „Es ist nicht immer leicht, die Autoren zu überzeugen, zu uns in den Norden zu kommen“, sagt sie. „Aber wenn sie einmal da waren, fragen viele, wann sie wiederkommen können.“ Sie und ihr Team machen es den Besuchern so angenehm wie möglich. Den Schriftstellern steht bisweilen ein Chauffeur zur Verfügung. Es gibt ein schönes Hotelzimmer, ein nettes Abendessen und natürlich ein Honorar. Nicht ohne Stolz zählt die Eimsbüttlerin ein paar der Namen auf, die sie schon für ihre Lesungen gewinnen konnte: Uwe Timm, Roger Willemsen, Martin Walser, Ulla Hahn oder auch Günter Grass waren im Oberlandesgericht zu Gast.

Liebe zur Kultur früh entdeckt

Die Veranstaltungen sind meist innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, der Saal mit seinen 180 Plätzen auf den letzten Stuhl belegt. Die Einheimischen lieben die monatliche Veranstaltung. „Die Menschen lesen hier wie verrückt“, sagt Görres-Ohde. 12 Euro kosten die Tickets. Dafür bekommen die Gäste nach der Lesung noch Wein und Paragrafenbrezeln. Und wenn sie mögen, das eine oder andere Gespräch mit dem Autor. Schüler und Studenten haben freien Eintritt. „Wir wollen versuchen, junge Menschen an Literatur heranzuführen. Denn wenn wir ehrlich sind, ist der Altersdurchschnitt in unseren Veranstaltungen meist recht hoch.“

Sie hat die Liebe zur Kultur früh entdeckt. „Ich bin mit Musik und Literatur aufgewachsen“, sagt sie. „Meine Mutter hat mich immer wieder zu literarischen Veranstaltungen mitgenommen.“ Die Termine habe sie von Anfang an spannend und aufregend gefunden. „Und dann war da so eine Frau, die begrüßt und eingeführt hat. Da habe ich sofort gedacht: Das möchte ich auch einmal machen.“

Seit 65 Jahren spielt sie Klavier

Auch klassische Musik begleitet sie schon seit den Kindertagen. Seit 65 Jahren spielt Görres-Ohde Klavier. Bis heute gibt es nur wenige Tage ohne zumindest ein paar Fingerübungen. „Das muss sein, damit man geschmeidig bleibt.“ Gerade bereitet sie Beethovensonaten vor. Sie will die Stücke bald mit einem Bekannten am Cello zusammen spielen. „Aber wir spielen nur zu unserem Spaß. Ich bin keineswegs so gut, dass ich vor Publikum spielen würde.“

Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, dass sich Görres-Ohde trotz ihrer Leidenschaft für Literatur und Musik nach dem Abitur für eine ganz andere beruf­liche Laufbahn entschied. Warum aus­gerechnet Jura? „Damit könne man alles machen, hieß es damals.“ Nach einer Bauchentscheidung klingt das allerdings nicht. Eher nach Zielstrebigkeit. Und die hat die gebürtige Hamburgerin in den kommenden Jahren immer wieder bewiesen.

Sie hat vier Enkel, will aber nicht „Oma“ sein

Es begann bereits während des Studiums. Görres-Ohde wurde schwanger und musste innerhalb kürzester Zeit Vorlesungen, Klausuren und eine kleine Tochter miteinander vereinbaren. „Studium und Baby. Das kann man wirklich keinem empfehlen“, sagt sie heute und wird für einen kurzen Moment nachdenklich. Zum Glück habe sie viel von zu Hause aus erledigen können. Damals habe es, anders als heute, keine Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kleine gegeben. „Ich hatte aber auch den unbedingten Willen, es allein zu schaffen. Immer wieder habe ich mir gesagt: Ich will das.“ Und natürlich die Unterstützung vom Vater ihrer Tochter.

Görres-Ohde absolvierte ihr Referendariat und wurde Richterin. „Dieser Beruf ließ sich noch am besten mit einer Familie verbinden.“ Denn mittlerweile war die junge Frau zweifache Mutter. Morgens waren die Kinder im Kindergarten und in der Schule, sie am Amtsgericht. Abends habe sie dann ihre Urteile diktiert, wenn die Mädchen schliefen. „So konnte ich relativ viel wegschaffen, obwohl ich eine junge Mutter war.“

Bundesweit erste Landgerichtspräsidentin

Trotz dieses Spagats fiel ihre Arbeit den Vorgesetzten bald auf. Oder gerade deshalb. Zumindest wurde Görres-Ohde 1989 in Itzehoe die bundesweit erste Landgerichtspräsidentin. „Das war für die damalige Zeit etwas wirklich Besonderes“, sagt sie und schüttelt den Kopf. 1996 ging sie in gleicher Funktion nach Hamburg, wo sie es als Frau in der Position deutlich schwerer hatte als in Schleswig-Holstein: „Das war ein wirklich hartes Pflaster.“ Durchgesetzt hat sie sich dennoch. Und ist bis heute bei Hamburger Juristen als diejenige in Erinnerung geblieben, die für viele Frauen in Hamburg den Weg freigemacht hat.

Das Geheimnis ihres Erfolgs? Görres-Ohde überlegt kurz und sagt dann: „Ich glaube, ich war immer eine gute Kommunikatorin.“ Und anders als bei vielen männlichen Vorgesetzten sei es ihr immer um das große Ganze gegangen. „Emotionale Intelligenz ist entscheidend. Man kann fachlich noch so gut sein. Wirklich weiter kommt man aber nur, wenn man auch das entsprechende Sozialverhalten an den Tag legt.“ Auch deshalb habe sie die Gerichts­mediation, eine Streitschlichtung ohne Prozess, in Schleswig-Holstein ins Leben gerufen. „Am Anfang wurde ich be­lächelt.“ Mittlerweile wird Gerichts­mediation an den meisten Gerichten in Deutschland praktiziert. „Und wissen Sie, was in unserem Richterberuf noch wichtig ist? Wir müssen den Zweifel an der Richtigkeit unserer Entscheidungen immer behalten“, sagt sie heute, als würde sie gleich wieder ins Gericht fahren.

Engagement im Literaturhaus

Im Literaturhaus Hamburg engagiert sich Görres-Ohde seit 2001. „Ich war dort schon immer Gast bei den Lesungen und Mitglied seit der Gründung des Vereins. Irgendwann hat man mich gefragt, ob ich mich nicht mehr engagieren möchte.“ Das wollte sie, muss allerdings in Hamburg keine Lesungen organisieren. „Zum Glück. Eine Lesereihe reicht.“ Dennoch begleitet sie eng die Arbeit des gesamten Hauses. „Was Rainer Moritz (Literaturhaus-Chef; d. Red.) und seine Leute auf die Beine stellen, ist wirklich beachtlich.“

Wer glaubt, all diese Aufgaben würden reichen, um ein Pensionärsleben auszufüllen, hat recht – wenn es nicht um Konstanze Görres-Ohde ginge. Die spielt nämlich auch zweimal in der Woche Tennis. „Neulich habe ich einen wunderbaren Spruch gelesen, nach dem ich wirklich lebe: Sich nicht bewegen ist das neue Rauchen. Das ist doch absolut richtig, oder?“

Dritter Wohnsitz in Amsterdam

Quasi nebenbei ist Görres-Ohde vierfache Großmutter. Die Bezeichnung gefällt ihr allerdings gar nicht. „Meine Enkel nennen mich Tanzi. Wenn mal jemand Oma sagt, zucke ich ehrlich gesagt zusammen.“ Gerade kommt sie von einer Besuchswoche bei ihrer Tochter in Berlin zurück. Dort leben zwei ihrer Enkel, die anderen beiden um die Ecke in Hamburg.

Und in den kommenden Tagen geht es dann schon wieder nach Amsterdam, zu ihrem dritten Wohnsitz. Aber darüber möchte sie lieber nicht weiterreden. „Wir machen ja hier keine Homestory“, sagt Görres-Ohde. Da widersprechen wir mal lieber nicht …