Hamburg. Kristine Bilkau porträtiert in ihrem Romandebüt die prekär lebende Mittelschicht. Die Schriftstellerin wird dafür gefeiert.

Der kleine Theo ist literarisch schon viel herumgekommen. Vor Jahren war er als Säugling in Berlin dabei, als seine Mutter beim Literaturwettbewerb „open mike“ las. Sein Vater schnallte sich ihn um und sorgte dafür, dass er Mama beim Lesen nicht unterbrach. Er sei das „Open-Mike-Baby“ gewesen, erzählt Kristine Bilkau.

Eine Geschichte, die nicht ohne Charme ist. Eigentlich werden ja eher die Texte, die nur als Manuskript vorliegen, die noch nicht zum Buch geronnen sind, so genannt: „Mein literarisches Baby“, oder so ähnlich. Aus dem Text, den die 1974 in Barmbek geborene Bilkau damals vorlas, wurde schließlich erst einmal nichts.

Dafür macht die Frau mit dem offenen Blick, der man die unverbrauchte Freude über alles, was derzeit mit ihr geschieht, ansehen kann, jetzt mit einem anderen Roman Furore. Bilkaus Debüt heißt „Die Glücklichen“, handelt von einer jungen Familie, die sich jobbedingt einem Stresstest ausgesetzt sieht und repräsentativ für die Abstiegsängste der Mittelschicht steht – einer Mittelschicht, die mittlerweile oft unter prekären Bedingungen arbeitet und auch im Schanzenviertel anzutreffen ist. Dort treffen wir die Jungautorin, es ist ein schöner Tag, an dem die Cafés reichlich frequentiert sind: Die Künstler und Kreativen haben zwar oft auch Sorgen, aber auch mehr Freiheiten. Für die Literatur sind eher die Schattenseiten interessant.

Die Kritiker lesen jedenfalls den Text, der auf eine feine, empathische Weise von der Cellistin Isabell, dem Journalisten Georg und deren alltäglichem Unglück erzählt, als sensible Milieustudie. Das Roman-Ehepaar hat auch einen Sohn, und es gibt weitere Überschneidungen mit der Wirklichkeit – nur dass Kristine Bilkau viel entspannter ist als ihre wegen der privaten Katastrophen ständig überreizten Romanfiguren. Denen gilt trotzdem Bilkaus ganze Sympathie. Und die der Leser übrigens auch – weshalb Bilkau jetzt mit Lob überhäuft wird.

Und wie das bei Büchern so ist, ist auch dieses das Produkt eines langen Schaffensprozesses. „Der soziale Abstieg lag als Thema während der Finanz- und Wirtschaftskrisen in der Luft“, sagt Bilkau, „die Geschichten, dass jemand etwa in der Medienbranche seinen Job verloren hat, kennt in einer Stadt wie Hamburg jeder.“

Bilkau ist selbst Journalistin, schreibt für Wirtschafts- und Frauenmagazine und das, wie sie berichtet, schon immer als Freiberuflerin. Sie bekämen das gut hin, ihr Mann und sie – der Sohn ist jetzt sieben, „und wir kümmern uns gleichberechtigt um ihn“.

Bilkaus Mann arbeitet ebenfalls freiberuflich, in der Werbung; durch ihn und seinen Optimismus, so Bilkau, habe sie selbst den Mut gefasst, das Wagnis einzugehen, es jetzt als Schriftstellerin zu versuchen. Und man muss sagen, dass der Erfolg sie nun natürlich darin bestätigt hat, dass es richtig war, die journalistische Arbeit irgendwann zugunsten der literarischen zu vernachlässigen. Es passiert übrigens ganz automatisch, dass man im Gespräch mit ihr immer wieder Vergleiche mit dem Buch und seinen Helden anstellt. Kristine Bilkau kennt das.

Es gibt da die Freunde, die natürlich wissen, dass „Die Glücklichen“ nur ein bisschen mit Bilkaus eigenem Leben zu tun hat. Es gibt aber auch die, die zum erweiterten Bekanntenkreis zählen und nur halb witzelnd fragen, ob bei Bilkau zu Hause alles in Ordnung sei – wo doch im Roman eine so heftige Beziehungskrise beschrieben werde. Kristine Bilkau lacht ein bisschen, wenn sie das erzählt. Es ist ja auch, irgendwie, ein Kompliment für ihre literarische Erzählkunst.

Bilkaus Familie lebt im Grenzgebiet zwischen Schanze und Eimsbüttel. Und zwar in einem Altbau, für den viele einiges geben würden. Das ist ja der Traum der ganzen Kreativen, der Großstadthipster und Gentrifizierer, die sich der In-Viertel Hamburgs bemächtigt haben und miteinander um den knappen Wohnraum konkurrieren. Ihr Mann wohnt schon sehr lange in der Wohnung, „das ist unser Glück“, sagt Bilkau.

Die Hamburger Wirklichkeit sieht im Jahr 2015 ja so aus, dass Familien, die sich vergrößern wollen, nur noch über die Probleme bei der Wohnungssuche reden. Das könne deprimierend sein, sagt Bilkau, und sie meint das mitfühlend. So mitfühlend ist sie auch als Erzählerin, etwa, wenn sie die Gefühle der Eltern für ihr kleines Kind beschreibt. Die Inspiration dafür ist nichts anderes als das eigene Erleben – „ein Kind zu bekommen, lässt einen plötzlich Verwundbarkeit spüren, am Anfang sind solche Verlustgedanken aufreibend, doch dann gewöhnt man sich dran“.

Man kann mit Kristine Bilkau wunderbar über Literatur sprechen und darüber, wie sie das Leben abzubilden imstande ist. Der Norweger Karl Ove Knausgard ist auch so einer, der manchmal ziemlich schmerzhaft über das Familienleben schreibt. „Manchmal sagen Leser, die seine Bücher gelesen haben oder meins, wie trostlos es zu sein scheint, ein Kind zu haben“, sagt Kristine Bilkau und lacht richtig, „dabei ist es, trotz aller Schwierigkeiten manchmal, vor allem einfach toll“.

Wenn man bedenkt, dass Bilkau viel über Wirtschaftsthemen geschrieben und – in Hamburg und New Orleans – Geschichte studiert hat, ist ihr Wechsel ins Fach der schönen Literatur durchaus bemerkenswert. Und für sie vor allem aufregend – es sei alles „noch unwirklich gerade“, sagt sie; das Buch bereits in der nächsten Auflage – „Wahnsinn“.

Im Frühjahr waren Theo und ihr Mann mit auf der Leipziger Buchmesse. Sie waren wieder bei einer Lesung von Kristine Bilkau, wie schon damals beim Wettbewerb in Berlin, „und Theo weiß natürlich jetzt, dass seine Mutter Schriftstellerin ist“.

Aber die Kinderbücher an den Messeständen, sagt Bilkau, „die hat er trotzdem interessanter gefunden“.