Hamburg. Das Kunstspiel zum Mitmachen – jeden Montag im Abendblatt. Heute: Franz Radziwill „Winterlandschaft“.

Winterlandschaften waren und sind ein beliebtes Sujet in der Kunst. Das wird allein beim Blick in die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle deutlich: Ob Gustave Courbet, Caspar David Friedrich, Willem Grimm oder Peter Behrens – sie alle zeigen Menschen und Natur in Schnee und Eis, in Öl auf Leinwand, gezeichnet, als Holzschnitt.

Dabei könnte man meinen, dass das naturgemäß durch Weiß dominierte Motiv nicht allzu viel Spielraum für die künstlerische Interpretation lässt. Doch weit gefehlt: Die winterlichen Szenerien mit ihrer besonderen Atmosphäre aus Frost und Stille üben wie auf viele Menschen natürlich auch auf Künstlerinnen und Künstler eine große Faszination aus, die es einzufangen gilt.

Radziwill war inspiriert durch die Kunst von „Brücke“ und „Blauer Reiter“

Das hier gezeigte Bild „Winterlandschaft“ schuf Franz Radziwill (1895–1983) im Jahr 1924. Kurz bevor der aus Strohausen bei Wilhelmshaven stammende Maler auf seine erste Reise in die Niederlande aufbrach, um dort die Museen zu besuchen und die Landschaft zu studieren und schließlich zeichnerisch zu skizzieren. Obwohl die Landschaft im Titel nicht genauer beschrieben wird, kann man also davon ausgehen, dass es sich um eine heimische Küstenregion handelt. Radziwill war bestrebt, die unmittelbar erlebte Natur detailgetreu und nah an der Realität abzubilden. So sieht man in der Ferne ein Segel auf dem Wasser, und ein niedriger hölzerner Zaun (vermutlich eine Begrenzung für den Naturschutz) spannt sich vom Ufersaum bis hoch zu den gemauerten Gebäuden, wovon eins leuchtend blau hervorsticht.

Dem Schnee wurde durch verschiedene Schattierungen Struktur verliehen. Der Winter scheint schon auf dem Rückzug, denn an einer Stelle lugt ein Stück Grün hervor, unter den offenbar schon länger liegenden Schnee mischt sich Sand von unten. Kein Mensch hat sich an diesen Strandabschnitt verirrt.

Die
Die "Winterlandschaft" von Franz Radziwill.  © Privatsammlung in der  Hamburger Kunsthalle / bpk © VG Bild-Kunst, Bonn Foto: Elke Walford | Privatsammlung in der  Hamburger Kunsthalle / bpk © VG Bild-Kunst, Bonn Foto: Elke Walford

Auffallend ist der Kontrast, den Radziwill durch den sich auf einen Wall türmenden Schnee und die fast schwarze See hinlegt. Auf der einen Seite der weiße (unschuldige ) Schnee, auf der anderen Seite das dunkle (bedrohliche) Meer. In dem durch mehrere pastellfarbene Schichten aufgefächerten Himmel verliert sich der Blick; das Aufatmen und das Gefühl von Freiheit in der Natur, das man am Meer erleben kann, ist hier nachzuempfinden.

Radziwill wird dem Magischen Realismus zugeschrieben

Dass der Maler, der 1919 aus dem Ersten Weltkrieg zurück nach Deutschland kehrte, sich zunächst von Marc Chagalls Kunst sowie den Künstlern der „Brücke“ und des „Blauen Reiters“ inspirieren ließ und erdachte Innenräume und Landschaften mit menschlichen Figuren schuf, kann man in der 54 mal 71 Zentimeter großen „Winterlandschaft“ noch minimal erahnen, doch ist seine Hinwendung zum Realismus schon überdeutlich. Wegen dieser Überschneidung wird Radziwill auch dem sogenannten Magischen Realismus zugeschrieben.

Während seine frühen expressiven Kompositionen „doppelbödig zwischen Wirklichkeit und Traum schweben“, fühlt sich Karin Schick bei diesem Gemälde an Seestücke der Alten Meister erinnert: „An das Ufer mit einer von Bäumen durchsetzten Häuserzeile grenzt das schaumgekrönte Meer und ein weiter blauer Himmel – eine Darstellung vom Lebensraum der Küstenbewohner und zugleich ein Bild mystischer Vereinigung von Erde, Wasser und Luft“, so die Leiterin der Sammlung Klassische Moderne an der Hamburger Kunsthalle.

Radziwill: Von den Nationalsozialisten verfemt und später preisgekrönt

Das Leben Franz Radziwills war durch zwei Weltkriege geprägt. Er lehrte als Professor für Malerei an der Kunstakademie in Düsseldorf, nahm an vielen Ausstellungsprojekten teil, unter anderem an der Biennale von Venedig im Jahr 1934 und im Museum Folkwang 1957.

Dennoch litt er unter Berufsverboten durch die Reichskammer der Nationalsozialisten, seine Arbeiten wurden verfemt und teilweise beschlagnahmt. Sein von Otto Dix gemaltes Porträt hing 1937 an der Stirnwand der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“. Franz Radziwills Werk wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. In Dangast, wo er bis zuletzt gewohnt hatte, wird ab 26. März die große Retrospektive „Alles auf Anfang! 100 Jahre Franz Radziwill in Dangast“ gezeigt.