Hamburg. Das Kunstspiel zum Mitmachen – jede Woche im Abendblatt. Heute: Gustave Moreau „Die Erscheinung“.

Dieses Bild gastiert zurzeit als Leihgabe des Musée National Gustave Moreau aus Paris in Hamburg. Hinter dem Titel „Die Erscheinung“ verbirgt sich nicht nur Kunst-, sondern auch biblische Geschichte. Das Gemälde von Gustave Moreau (1826–1898) zeigt einen hohen und tiefen basilikalen Raum, der sich an der Alhambra orientiert haben soll. Darin stehen mehrere Säulen, von denen eine mit christlichen und orientalischen Motiven verziert ist. Im Hintergrund erkennt man einen Altar. Diese archi­tektonischen Details wirken, als habe sie Moreau, ein Künstler des Symbolismus, erst im Nachhinein in die Farben geritzt.

Gustave Moreaus „Die Erscheinung“ in der Hamburger Kunsthalle

Gustave Moreau (1826–1898), „Die Erscheinung“, nach 1876,        Öl auf Leinwand, 142 x 103 cm.
Gustave Moreau (1826–1898), „Die Erscheinung“, nach 1876, Öl auf Leinwand, 142 x 103 cm. © bpk | RMN - Grand Palais | René-Gabriel Ojéda | RMN-GP

Am linken Bildrand sieht man Herodes. Neben ihm steht barbusig Prinzessin Salomé, die mit ihrem linken Arm auf den abgeschlagenen Kopf von Johannes dem Täufer zeigt, der im Raum schwebt, von einem Strahlenkranz umgeben ist und sie anzublicken scheint. Im Neuen Testament wird Salomé als große Verführerin geschildert. Sie tanzt so hingebungsvoll, dass Herodes ihr jeden Wunsch erfüllen will. Sie fordert in dieser Rachegeschichte den Kopf ihres Widersachers Johannes des Täufers – und bekommt ihn.

Moreau war der Meinung, Salomé sei „eine gelangweilte und fantastische Frau, die von Natur aus ein Tier ist und von der vollständigen Befriedigung ihrer Wünsche so angewidert ist, dass sie sich das traurige Vergnügen gibt, ihren Feind erniedrigt zu sehen“. Sie ist mit ihrer provokanten Mischung aus Verführung und Sadismus ein Paradebeispiel für eine ebenso sexuell anziehende wie destruktive Femme fatale. So lautet auch der Titel der Ausstellung, in der das Gemälde derzeit zu sehen ist.

19 Gemälde, sechs Aquarelle und 150 Zeichnungen hat Moreau, Lehrender an der École des Beaux-Arts in Paris, dem Thema gewidmet. Sie gelten als seine Schlüsselwerke. Schuldige Schönheit und unschuldige Erscheinung waren seine Themen. Dafür bediente er sich bei Traumszenen und mythologischen Fantasien. Er galt als pedantisch und zügellos fantasiebegabt. Selten hat er mehr als die Andeutung eines Gesichts gemalt. In seinen späten Werken kann man den Surrealismus und die abstrakte Malerei erahnen.

Zahlreiche Künstler reagierten auf Moreaus­ Bild – nicht alle waren Maler. Gustave Flaubert machte die Prinzessin zur Protagonistin in „Herodias“, Oscar Wilde schrieb das Theaterstück „Salomé“, so heißt auch die Oper von Richard Strauss. Und auch der Musiker Nick Cave widmete sich ihr in einer Umdichtung.