Hamburg. Rassistische, sexistische oder diskriminierende Bezeichnungen werden zunehmend ersetzt oder erklärt. Die Argumente dafür und dagegen.
Vor ein paar Wochen erregte eine Pressemeldung einige Gemüter: Das Sächsische Kulturministerium verkündete, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) hätten die Titel von 143 Bildern aus ihrem Bestand geändert, weil die historische Namensgebung rassistisch oder anderweitig diskriminierend sei. Nun klingt diese Zahl zunächst einmal hoch, und der Umstand, dass „einfach so“ Namen geändert werden, wenn auch aus ethisch nachvollziehbaren Gründen, konnte vielleicht irritieren.
Doch berücksichtigt man, dass zur SKD 15 Museen gehören, darunter Grünes Gewölbe, Albertinum, Kupferstichkabinett und Gemäldegalerie Alte Meister, der Bestand aller bislang in der sogenannten Daphne-Datenbank erfassten Objekte bei knapp 1,5 Millionen liegt, relativiert sich die Zahl 143 schnell.
Kunst: AfD kritisierte „linke Bilderstürmerei“
Als „linke Bilderstürmerei“ hatte der sächsische AfD-Abgeordnete Thomas Kirste die Vermeidung von Begriffen wie Neger, Mohr, Eskimo oder Zigeuner in überlieferten Bildtiteln bezeichnet, und damit war die Debatte eröffnet.
Eine direkte Replik auf derlei Anwürfe gibt nun Hans-Jörg Czech, Vorstand der historischen Museen Hamburg (SHMH). In deren Sammlungen befinden sich Objekte mit eindeutigem Bezug zu kolonialen Kontexten, darunter europäische Kunstwerke und „Objekte, die koloniales Handeln und die koloniale Industrie in Hamburg dokumentieren beziehungsweise kolonialpropagandistische Perspektiven spiegeln und somit rassistische Stereotypen reproduzieren“, so Czech. Die Ausstellung „Grenzenlos“ im Museum der Arbeit hatte zuletzt den Fokus darauf gelegt.
Titel widersprechen antirassistischen Leitlinien
„In Übereinstimmung mit der grundsätzlich antirassistischen, diskriminierungssensiblen und diversitätsorientierten Haltung der SHMH sowie den Leitlinien des Deutschen Museumsbundes zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten streben wir danach, diese Objekte in unseren digitalen Inventaren und insbesondere in öffentlichen Präsentationen entsprechend zu kontextualisieren und rassismussensibel zu beschreiben“, so Czech.
Im Zuge der Neugestaltung der Dauerausstellungen in den historischen Museen könne dies „in bestimmten Fällen durchaus auch die Vergabe von neuen Betitelungen oder Bezeichnungen bedeuten – explizit auch als Strategie postkolonialen Kuratierens“.
Widerspruch gegen den Vorwurf der „Bilderstürmerei“
Zum Vorwurf der „Bilderstürmerei“ erklärte SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann, dass davon keine Rede sein könne. Schließlich blieben die Bilder unangetastet und würden nicht, wie von früheren Bilderstürmern, zerstört. „Die Aufgabe der SKD ist es, die Werke zu bewahren und zu schützen. Dazu gehört, dass sie korrekte und zeitgemäße Bezeichnungen haben.“ Dies sei eine „seit Jahrhunderten in sehr vielen Museen in aller Welt stattfindende Praxis“.
In den allermeisten Fällen trügen Bilder keine von Künstlerinnen oder Künstlern vergebene „Originaltitel“; stattdessen würden Werke „je nach Wissensstand und Perspektive immer wieder neu aus dem Handel oder Sammlerbeständen heraus sowie von Museumsfachleuten beschrieben und betitelt“.
Werke werden auf diskriminierende Begriffe überprüft
Seit Anfang 2020 werden Werke der verschiedenen Sammlungen gezielt auf rassistische oder anderweitig diskriminierende Begriffe oder Inhalte überprüft. Damit will die SKD verhindern, dass Menschen, die die Online-Kollektion oder Ausstellungen besuchen, auf Begriffe stoßen, „die Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung, körperlichen Disposition, ihres Alters oder Geschlechts abwerten oder diskriminieren könnten“.
Bei 143 Objekten sei daher der Wortlaut entfernt worden, indem Titel neu vergeben beziehungsweise einzelne Begriffe bei elf Objekten mit Asterisken (****) markiert wurden. Bei der Online-Präsentation der Werke würden die historischen Titel wieder sichtbar, wenn die hinter den Asterisken hinterlegte Schaltfläche angeklickt und die entsprechende Auswahloption ausgewählt wird.
Auch die Hamburger Kunsthalle äußert sich
Eines der berühmtesten Objekte des Grünen Gewölbes, der „Mohr mit Smaragdstufe“ von Balthasar Permoser 1724 geschaffen, wird in der Online-Collection nun „**** mit Smaragdstufe“ genannt. Auch der entsprechende Audioguide soll dahingehend überarbeitet werden: Wenn August der Starke, einst Auftraggeber dieses Kunstwerks, vom „Mohr“ spricht, wird ihn künftig eine Kinderstimme darauf hinweisen, dass dieses Wort ausgrenzend ist.
Auch die Hamburger Kunsthalle stellt sich offen der Diskussion um die Umbenennung von Kunstwerken. Die Beschäftigung mit Fragen wie der Betitelung von Objekten ist dort „kuratorische Praxis – seien die Namen bedenklich oder nicht“. Die Titel seien äußerst selten „historische“ Titel, sondern als durchaus fluide zu betrachten, heißt es aus der Pressestelle.
Auch Gemälde von Füssli umbenannt
Vor allem, wenn es in der Forschung neue gewichtige Erkenntnisse gibt, werden Bildtitel geändert. Das muss dann gar nichts mit Rassismus zu tun haben. So hat die Kunsthalle zum Beispiel im Jahr 2015 Claude Lorrains Werk mit dem bisherigen Titel „Abschied von Aeneas und Dido in Karthago“ in „Aeneas und Dido in Karthago“ geändert.
Ein Gemälde von Johann Heinrich Füssli (1741-1825) wurde erst kürzlich umbenannt in „Der Gerächte“ – derzeit in Raum 18 zu besichtigen. Der vormals benutzte Titel lautete „Der gerächte Neger“. Hierbei handelte es sich aber zweifellos nicht um einen von Füssli gegebenen, historischen Titel. Sandra Pisot, Kuratorin und Leiterin Alte Meister: „Die literarische Vorlage für die Darstellung Füsslis ist das Gedicht ,The Negroe’s Complaint‘ (1788) von William Cowper, in dem dieser die Sklaverei anprangert und bezweifelt, dass sie mit dem Schöpfungswillen Gottes vereinbar sei, wie der verheerende Sturm beweist.
Karsten Müller spricht sich gegen Änderungen aus
Füssli orientierte sich zwar am Thema und setzte die Naturgewalt ins Bild, löste sich aber gleichzeitig in der Darstellung des Protagonisten vom Inhalt des Gedichts. Der vorherige Titel ist also nicht einmal die wörtliche Übersetzung des Gedichts, denn dann müsste der Titel ,Die Klage des Negers‘ lauten. Und es ist nicht mehr nachvollziehbar, wann das Bild zu diesem Titel kam.“ Für die Expertin habe es daher keinen Grund gegeben, heute noch an diesem diskriminierenden, rassistischen Titel festzuhalten.
Karsten Müller, Leiter des Ernst Barlach Hauses im Jenischpark, hingegen spricht sich dafür aus, als problematisch empfundene Originaltitel nicht zu ändern, sondern als historisch überliefert beizubehalten und kritisch zu kommentieren, so wie beispielsweise das Museum Ludwig in Köln mit Werken aus seiner Sammlung verfährt.
Kommentare zu den Titeln sind ebenfalls eine Option
Dort werden problematische Titel mit Bezug auf den historischen und künstlerischen Kontext der jeweiligen Schaffenszeit erläutert und unangemessene Begriffe ausdrücklich als diskriminierend, rassistisch oder sexistisch benannt. „Die Entscheidung für Umbenennungen birgt die Gefahr, die eigene Gegenwart zu verabsolutieren und die Geschichtlichkeit der Werke und ihrer Titel auszublenden.“
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Aufklärende Kommentierung sei da eine „gute Möglichkeit, eine differenzierende Perspektive einzunehmen. Museen sind Orte des Austausches. Das schließt auch die produktive Auseinandersetzung mit fremden, irritierenden oder gar verstörenden Kontexten ein“, so Müller.
"Bloße Umbenennung ist keine angemessene Lösung"
In Ernst Barlachs Werk sei man bislang auf keinen brisanten Titel gestoßen. „In einem solchen Fall wäre auch zu prüfen, ob der Titel vom Künstler vergeben wurde. Barlach hat nämlich nur gelegentlich seine Arbeiten selbst betitelt, das haben eher Kunsthändler oder Werkverzeichnisautoren getan. Aber auch solche nachträglichen Titel können ihre historische Bedeutung haben, deshalb ist bloße Umbenennung keine angemessene Lösung.“