Hamburg. Vor 30 Jahren eröffneten die Ausstellungshäuser. Damals war es ein Wagnis, heute sind sie unverrückbar in der Stadt verankert.
Annie Leibovitz, Helmut Newton, Roy Lichtenstein. Man kann sich gar nicht satt sehen an der Wall of Fame, die in der Halle für aktuelle Kunst angeschlagen ist. Allein die Plakate – eine Gattung für sich! Die Titel – allen voran „Birth of the Cool“ – manchmal besser als die Schau dann selbst. Das darf ruhig gesagt werden bei der Fülle an sonstigen Hochkarätern. 266 Ausstellungen mit rund 2500 Künstlerinnen und Künstlern können die Deichtorhallen in ihrer 30jährigen Geschichte vorweisen. Darunter einige große Namen, die heute im Kunstbetrieb hoch gehandelt werden, damals aber noch auf dem Sprung zur internationalen Karriere waren: Elizabeth Peyton, Cindy Sherman, Jonathan Meese, Andreas Gursky. Visual Leader.
Man darf also zu Recht ein bisschen stolz sein und sich zum Jubiläum vom Kultursenator auf die Schulter klopfen lassen: „Ich bin sehr glücklich mit dem, was hier getan wird. Es ist besonders schön, etwas zu unterstützen, was sehr gut funktioniert und nicht nur zu reparieren oder zu entschulden“, sagt Carsten Brosda (SPD). Mit am Tisch: das Deichtorhallen-Duo aus Intendant Dirk Luckow und Geschäftsführer Bert Antonius Kaufmann. Die Stimmung ist heiter. Man kann 260.000 Besucher jährlich verkünden, und für 2020 ist der städtische Zuschuss von rund drei Millionen Euro auch gesichert. Läuft am Deichtor.
Das war nicht immer so. Mitte der 1990er-Jahre bis 2005 habe es durchaus leere Hallen gegeben, erinnert sich Kaufmann an seinen Blick in die Bilanzen; er kam zusammen mit Luckow 2009 ans „finanziell mau aufgestellte“ Ausstellungshaus; es gab Schulden in Millionenhöhe. Die Schwachstelle habe man schnell erkannt: Waren es anfangs noch vier bis fünf neue Schauen pro Jahr, kommt man heute in Spitzenzeiten auf 18. 2005 wurde das Haus der Photographie eröffnet. Seitdem werden mindestens zwei Ausstellungen parallel gezeigt. Die Öffnungstage wurden nahezu verdoppelt.
Stadt steuert nur 45 Prozent des Deíchtorhallen-Etats bei
Dass die Deichtorhallen 55 Prozent aus eigener Kraft erwirtschaften müssen (45 Prozent kommen von der Stadt), sieht der Geschäftsführer positiv: „So zu arbeiten zwingt uns zu kreativen Höchstleistungen, und es schweißt das Team zusammen.“ Natürlich müsse man jede Ausstellung finanziell durchrechnen; Kommerz sei aber nie das kalkulierte Ziel, sondern mit den Themen so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Wichtig seien „feine Partner, die diese Ideen mittragen statt zu lenken“.
Kathedralen baue man schließlich auch, damit sie gefüllt sind, ergänzt Brosda, der den Deichtorhallen eine kathedralenhafte Aura zuschreibt. „Und das erreiche ich, indem ich hier Dinge zeige, die künstlerisch am Puls der Zeit sind, die die Leute unbedingt sehen wollen. Wenn uns das mit klugen Ausstellungen gelingt, dann stimmt es am Ende auch in der Bilanz.“
„Eigentlich war der Rückenwind die Lage“, sagt Luckow über seinen Start in Hamburg. „Und dann war da dieser Raum mit seiner Mischung aus Zeitenthobenheit und zeitgenössischer Kunst. Das ist das, was die Künstler anlockt, und das hat auch mich angelockt.“ Hier werde die Kunst gefeiert, die Kunst als Antwort auf das Leben im Ganzen. „Die Künstler werden eingeladen, groß zu denken, die Idee von Kunst neu zu definieren. Wir haben hier ein Spektrum, das reicht von der schwebenden Skulptur, die den Horizont erweitert, über investigativen Fotojournalismus eines Paolo Pellegrin bis zur Grenzen austestenden Malerei einer Charline von Heyl.“
Hamburger verschmähten die Deichtorhallen lange
Sein Fokus: In der immer globaler agierenden Kunstwelt immer wieder auf die künstlerischen Grundqualitäten zurückzukommen. Seine bislang spektakulärste Ausstellung? Die Installation „Horizon Field Hamburg“, die der Brite Antony Gormley 2012 eigens für die Hallen entwickelt hatte; bei freiem Eintritt kamen mehr als 120.000 Besucher – unangefochtener Rekord.
Angelika Leu-Barthel, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit, ist die dienstälteste Mitarbeiterin am Haus. Viele Ausstellungen hat sie im Kopf, wenn sie an ihre 29 Jahre an den Deichtorhallen denkt. Von ihr stammen auch einige Exponate in der kleinen Jubiläumsausstellung: Ein analoger Presseverteiler auf Karteikarten ist dort hinter Glas zu sehen und ein Computer der Marke Macintosh Classic. „Damit habe ich 1991 angefangen zu arbeiten“, erinnert sie sich. Bei „Post Human“ betreute die damalige Assistentin des Direktors Zdanek Felix Künstler wie Jeff Koons und Matthew Barney, mit Andreas Gursky hielt sie ebenso engen Kontakt wie mit dem New Yorker Minimal-Künstler Robert Morris. „Je erfolgreicher, desto netter“ lautet ihr Fazit.
Kaum vorstellbar, dass die Deichtorhallen zu Beginn lange damit zu kämpfen hatten, ihr Hamburger Publikum anzulocken. Die überregionale Resonanz war groß, aber nicht direkt vor Ort. „Das tut weh, wenn man für die Kunst brennt“, so Leu-Barthel. Über die Besucherschlange, die sich vor der aktuellen Ausstellung der alten Meister Baselitz, Richter, Polke und Kiefer bildet, freue sie sich daher jedes Mal. Heute seien die Deichtorhallen „so richtig in Hamburg angekommen. Unverrückbar.“
Was wird aus der Sammlung Falckenberg?
Das sieht auch Dirk Luckow so, auch aus einem anderen Grund: „Wir sind quasi an die Stadt gekettet durch die Sammlung Gundlach und die Sammlung Falckenberg. Beide Sammler sind bei internationaler Ausrichtung eng verbunden mit Hamburg.“ Die intensive Zusammenarbeit sei „ein großer Gewinn für das Haus: der unvoreingenommene Blick und das Verständnis von Fotografie von Gundlach auf der einen Seite, das Querdenkertum jenseits von kunsthistorischen Schubladen von Falckenberg auf der anderen Seite.“ Demnächst wird die Südhalle baulich angefasst werden, es geht um Statik, Gemäuer, Klimatisierung und neue Ausstellungsmöglichkeiten. Sie soll noch offener und durchlässiger gestaltet, das fotografische Werk von F.C. Gundlach dauerhaft besser sichtbar werden im Haus der Photographie.
Was die Zukunft der Sammlung Falckenberg betrifft, so ist das Gespräch mit Harald Falckenberg laut Dirk Luckow ein „Dauerthema“. Vertraglich ist die Leihgabe noch bis Ende 2023 festgelegt. Der Vertrag verlängert sich automatisch, solange keiner der beiden Partner vorher kündigt. „Wir hoffen auf eine positive Entwicklung, und bis dahin heißt es für uns, die Basisarbeit fortzusetzen in der Kombination Harburg, Deichtorhallen, Falckenberg.“
Für den Kultursenator ist Harburg ein wichtiger Standort, der perfekt zur Sammlung gegenwärtiger Kunst mit Schwerpunkt auf die aus Amerika stammende Gegenkultur passt. Und das, was er über die Deichtorhallen sagt, trifft irgendwie auch für die dortigen Phönixhallen zu: „Ein wesentlicher Punkt ist, dass hier der Kunst aus ihrer eigenen Kraft heraus in unbedingter Radikalität vertraut wird. Die Elbphilharmonie ist in ihrer Radikalität sehr ähnlich. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir uns die Coolness bewahren, dieser Kraft des Raums und der Kunst weiter zu vertrauen. Sie fangen immer mit einem großen weißen Raum an, immer bei Stunde null. Das finde ich beneidenswert.“