Hamburg. Mit Antú Romero Nunes startet das Hamburger Theaterfestival. In Basel setzt er auf Mitbestimmung und Kollektive – funktioniert das?
Seine virile „Moby Dick“-Wasserschlacht war eine Wucht, mit seiner Gaußstraßen-„Odyssee“ wurde er 2018 zum ersten Mal zum Berliner Theatertreffen eingeladen, sein Schiller-Triptychon war 2020 schließlich der coronabedingt häppchenweise geratene Abschied von Hamburg. Antú Romero Nunes prägte als Hausregisseur des Thalia Theaters dessen Spielplan, schon damals gehörte er zu den besonders gefragten Theatermachern der deutschsprachigen Bühnenlandschaft.
Seit der Spielzeit 2020/21 ist er nun auch Schauspieldirektor – allerdings einige Kilometer südlich der Elbe. In Basel probiert Nunes als Teil eines Leitungs-Quartetts, dem auch der ehemalige Thalia-Schauspieler Jörg Pohl angehört, einen moderneren Führungsstil. Auswärtsinszenierungen gönnt er sich dennoch gelegentlich: Seine Variante des Goldoni-Lustspiels „Der Diener zweier Herren“ vom Berliner Ensemble eröffnet an diesem Freitag das Hamburger Theaterfestival am St. Pauli Theater. Ein Gespräch über flache Hierarchien, gerechte Bezahlung und unterschätzte Schauspieler, die Schmetterlinge fangen.
Hamburger Abendblatt: Sie sind ja mitten in der Pandemie von Hamburg nach Basel gewechselt – hat es dadurch länger gedauert als erhofft, bis es sich dort richtig angefühlt hat?
Antú Romero Nunes: Es ging vielleicht sogar schneller. Wir hatten zwar anfangs wenig Kontakt mit dem Publikum – eine „Räuber Hotzenplotz“-Premiere haben wir vor 15 Leuten gespielt, sechs davon waren Kinder –, aber wir haben vor allem viel geredet, viel an unserem Compagnie-Gedanken gearbeitet. Was heißt das eigentlich: „Arbeiten auf Augenhöhe“? Es ist ja immer noch relativ neu, ein Theater so aufzustellen, wie wir es tun.
Hamburger Abendblatt: Sie wollten „Strukturen und keine Hierarchien“ – so hatten Sie es zum Abschied in Hamburg formuliert. Ist das gelungen?
Antú Romero Nunes: Es gibt Hierarchien – aber die sind flexibel. Ich habe nicht automatisch das Sagen, nur weil ich Schauspieldirektor bin, sondern wir verhandeln jedes Mal: Wer hat eigentlich am meisten Ahnung von etwas? Es wird eine Gruppe bestimmt, die entscheidet, was zu entscheiden ist. Und das wird dann gemacht.
Hamburger Abendblatt: Nicht jeder, der Ahnung hat, kann die auch gut transportieren. Wie lösen Sie das?
Antú Romero Nunes: Chef sein heißt für uns vor allem: Vermitteln, wenn es gebraucht wird. Eine Patentlösung gibt es nicht. Aber man muss irgendwo anfangen. Ich glaube, dass es Zukunft hat, was wir versuchen. Ich habe immer gedacht: Wir müssen den Laden neu durchmischen. In einem bestehenden System ist das viel komplizierter. Darum sind wir ja losgezogen. Bei uns verdienen jetzt zum Beispiel alle nach Alter und Anzahl der Produktionen, und nicht nach Verhandlungsgeschick, Renommee oder Geschlecht.
Hamburger Abendblatt: Auch das Leitungsteam?
Antú Romero Nunes: Wir verdienen ein bisschen mehr, aber nicht viel. Entsprechend dem Arbeitsaufwand. Ein Schauspieler, der 100 Prozent arbeitet, macht drei Stücke im Jahr mit 45 Vorstellungen. Da arbeite ich schon ein bisschen mehr. Aber intern ist das einsehbar für alle, auch mein Gehalt. Transparenz und Mitbestimmung bedeuten aber auch, dass vier Schauspieler und Schauspielerinnen mit uns gemeinsam über dem Spielplan sitzen, mit der Leitung, mit der Dramaturgie.
Das ist wie eine Spielplan-Delegation, die fahren auch alle an andere Theater, schauen sich Produktionen an, sie schlagen vor, wer engagiert werden soll, sind bei Besprechungen mit Regisseurinnen und Regisseuren dabei. Die Schauspielerinnen und Schauspieler können Favoriten bestimmen und auch Vetos aussprechen. Sie wählen, in welchem Stück sie gern sein wollen. Und dann versuchen wir, diesen Wünschen nachzukommen, so weit es geht. Klappt nicht immer. Die Idee ist aber schon, dass das Ensemble im Zentrum steht. Die Spielerinnen und Spieler sind schließlich diejenigen, die am nächsten am „Produkt“ sind. Es geht bei all dem übrigens weniger ums „Nett-Sein“, sondern darum, Bedingungen zu schaffen, die man später auch im Ergebnis sieht.
Hamburger Abendblatt: Laufen die Proben also besser als vorher?
Antú Romero Nunes: Ja. Natürlich ist nach wie vor jede Produktion anders. Und natürlich kann es trotzdem zu Problemen kommen, wie es halt so ist am Theater. Aber wir versuchen, die Besetzungen möglichst klein zu halten, so dass es weniger große Hauptrollen und winzige Nebenrollen gibt, sondern mehr Kollektive. Durch die Art des Produzierens entsteht ein besonders schauspielernahes Theater. Die 15-Personen-Stücke, bei denen dann manche Leute bloß in der Gegend rumstehen, wollen wir nicht machen.
Hamburger Abendblatt: Die Form bestimmt den Inhalt.
Antú Romero Nunes: Die Form macht es möglich, sich mit Inhalten zu beschäftigen. Die Regisseurinnen und Regisseure, die wir einladen, kommen oft mit Stoffen, für die sie sich interessieren. Wichtig ist, dass die Schauspieler:innen sich dafür interessieren, dass sie „Ja“ sagen – dann wird es auch funktionieren, denn das ist dann echtes Interesse.
Hamburger Abendblatt: Klingt gut. Fast zu gut. Klingt auch ein bisschen anstrengend. Hakt es wirklich nicht?
Antú Romero Nunes: Doch. Die ganze Zeit. Manchmal stellt sich heraus, eine Entscheidung war die falsche – dann machen wir es beim nächsten Mal besser. Alles wird ständig neu verhandelt – das ist schon manchmal ein bisschen nervig. Und zeitintensiv.
Bislang ist es trotzdem noch nicht passiert, dass wir uns komplett verrannt haben. Manche möchten sich auch gar nicht mit allem beschäftigen, die Mitbestimmung ist keine Pflicht. Aber wenn man Einfluss auf Entscheidungen nehmen möchte, muss man sich einbringen. Wenn es einem nicht wichtig genug ist, sich drum zu kümmern, dann muss er oder sie die getroffene Entscheidung vielleicht einfach annehmen.
Hamburger Abendblatt: Mit Ihnen gemeinsam ist Jörg Pohl aus dem Thalia-Ensemble nach Basel in die Direktion gewechselt. Warum sind Schauspieler eigentlich so selten in Leitungsteams?
Antú Romero Nunes: Gute Frage. Weil sie sich meistens nur mit sich selber beschäftigen?
Hamburger Abendblatt: Oha. Das ist die Antwort?
Antú Romero Nunes: Das ist natürlich sehr allgemein formuliert. Manchmal lässt man ihnen halt auch keine andere Wahl! Ich sage es darum anders: Die Bühne ist ja ein Ort, an dem man sich etwas erlauben können muss. Und man muss permanent mit sich selbst arbeiten, man hat nicht mal ein Instrument vor sich! Man muss Emotionen herstellen, das kann schon ziemlich quälend sein.
Letztendlich müssen die Schauspieler irgendwann da raus und Schmetterlinge sammeln. Zu Konkretem werden sie selten befragt. Sie werden gern bevormundet, als wären sie eine Art willenloses Medium. Nur weil uns ihre Arbeit rätselhaft erscheint. Deshalb sind sie so selten in Leitungsfunktionen sind: Es wird ihnen zu selten etwas zugetraut. Regisseur:innen schon. Warum eigentlich?
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Hamburger Abendblatt: Apropos: In der Inszenierung „Diener zweier Herren“, die am Freitag das Hamburger Theaterfestival eröffnet, steht ein rein weibliches Ensemble auf der Bühne. Warum?
Antú Romero Nunes: Warum nicht? Ich hatte das Gefühl, dass die Schauspielerinnen sich zu dieser Männerwelt und zu diesen Herrenwitzen im Stück gut positionieren können. Es geht um eine Frau, die sich als Mann verkleidet, inhaltlich macht das ein paar Türen auf.
Dazu kommt, dass Frauen diese komödiantischen Rollen, diese hässlichen Rollen seltener angeboten bekommen. Sie haben aber Bock drauf! Sie wollen es gern spielen! Und die sind echt großartig. Wir hätten es auch mit Männern machen können. Aber so hatten wir deutlich mehr Spaß.