Hamburg. Douglas Gordon berührt mit „Bound To Hurt“, Holly Herndon sorgt mit „Everywhere And Nowhere“ für Nachdenken im Klanggewitter.

„I really would have ­liked a little touch of tenderness“, ein wenig Zärtlichkeit wünscht sich Jacques Brel in seinem Lied „Next“. Die Grenze, die zwischen Zartheit und Brutalität verläuft, ist in Liebesbeziehungen oft schmal. Verstörend haben jetzt allerlei in kammermusikalische Klänge gegossene Gewaltfantasien der Popgeschichte die Sängerin und Schauspielerin Ruth Rosenberg hingestreckt.

Zu Beginn hält sie sich noch als aufrechte, in Schwarz gehüllte Amazone unter einer vielfarbigen Lichtinstallation. Doch ihr fröhlich geschmettertes „I Love You Baby“ bricht jäh ab, zertreten und zerstört unter den unerbittlichen Schlägen, mit denen ein Trommler sein Instrument malträtiert.

Uraufführung von „Bound to Hurt“ war ein Glanzpunkt

Liebe ist hier „Bound To Hurt“, so der Titel der Uraufführung einer Kollaboration des schottischen Universalkünstlers Douglas Gordon und des Komponisten Philip Venables, die jetzt beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel für einen düster-poetischen Glanzpunkt sorgte.

Der Abend entfaltet einen fast somnambulen Reiz mit stark berührenden Momenten, wenn sich Rosenberg im Funzellicht Trost spendender Weinflaschen in ein Bettlaken am Boden hüllt. Singend und rezitierend wandelt sie sich zur Schmerzensfrau, die alle Aggregatzustände von Begehren und Gewalt durchlebt. Die musikalischen Originale haben Venables und das hervorragend aufspielende Ensemble ­Adapter zu einer von brutalen Brüchen durchzogenen Tonspur arrangiert. Manche Texte, wie Madonnas „Oh Fa­ther“ rezitiert Rosenberg. Im Verbund mit zarten Streichern, Harfe und Pauke wird „Kim“ von Eminem zum ultimativen, auslöschenden Gewaltexzess gegen den Ex-Partner. Der episodische Charakter des Abends birgt die Gefahr der Beliebigkeit, doch die Akteure drehen die Schmerzschraube stets gekonnt eine Umdrehung weiter.

Wenn sich zu Rosenberg am Ende ein neunjähriges Mädchen als unschuldige Wiedergängerin gesellt, ist es, als würde seine Geste allen Geprügelten der Welt Trost spenden. Eine ungewohnt introspektive Arbeit für Gordon, der sich jüngst den Ruf eines Festivalschrecks erarbeitet hat, als er in Manchester mit einer Axt ein Loch in die Theaterwand schlug und dieses auch noch datierte und signierte. Ein Hauch von Unberechenbarkeit umgibt den Turner-Prize-Träger und Pionier der visuellen Kunst mit Hang zum anarchischen Moment.

Gordon hat eine Vorliebe für das Dunkle

Als wenig optimistisch erweist sich auch seine in der Kampnagel-Vorhalle im Dauerloop rotierende Videoinstallation „The End Of Civilisation“. Zwei Stunden lang lässt sich ein Akt des Vandalismus inmitten der Schönheit der cumbrischen Landschaft bestaunen. An der Grenze von England zu Schottland, wo auch mal jene des Römischen Reiches verlief, fackelt Gordon in rauer Natur einen Konzertflügel ab. Langsam schaut man ihm beim Verglühen zu und fragt sich, ob mit ihm auch die aktuelle Staatenordnung dahinschmilzt.

Noch mehr Kunst, diesmal akustische, gibt es im Kunstverein zu sehen, wo Holly Herndon und Mathew Dryhurst ihre Toninstallation „Everywhere And Nowhere“ zeigen. Ein Soundgewitter aus Satzfragmenten, Gesängen und Alltagsgeräuschen hagelt aus 24 Lautsprechern auf den Besucher nieder. Der Beipackzettel verrät, dass drei Künstler sich durch einen Raum voll Porzellan, Seile und Plastikplanen improvisieren, während drei Politkünstler ihre Aktionen flüsternd kommentieren. Um Wirkung zu erzeugen, muss Kunst sich nicht ständig erklären. Das gilt für verfremdete Popsongs genauso wie für diese berückende Vielstimmigkeit.

Internationales Sommerfestival bis 23.8.,
Kampnagel, Jarrestr. 20–24, T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de