Das Schleswig­Holstein Musik Festival geht am 11. Juli bereits in seine 30. Spielzeit. Auch in Hamburg stehen 17 Konzerte auf dem Programm. Der Vorverkauf beginnt am 23. März.

Lübeck. Musiker mit weniger Freude an Herausforderungen und geringerer Lust an programmatischer Maßschneiderei als Martin Grubinger hätten bei der Einladung, einen ganzen Sommer lang Residenzkünstler des Schleswig-Holstein Musik Festivals zu sein, womöglich kalte Füße bekommen.

Der Schlagzeugvirtuose aus Salzburg aber begreift die Offerte des Intendanten Christian Kuhnt, in dessen zweiter Festival-Ausgabe „Porträtkünstler“ des Musiksommers zu sein und damit Nachfolger der Cellistin Sol Gabetta, offenbar als willkommene Steilvorlage zu neuen Höchstleistungen. Dabei gehört Martin Grubinger im Unterschied zu Gabetta, die bis 2014 dort nie gespielt hatte, schon seit seinem spektakulären SHMF-Debüt 2007 in Itzehoe gefühlt zum schillernden Inventar des Festivals; kaum eine Ausgabe des SHMF mochte seitdem auf ihn verzichten. Kein Wunder, der junge Mann mit der ungemein sympathischen, zupackenden Ausstrahlung beherrscht auf das Fantastischste alle Instrumente, die man mit Stöcken und Schlägeln zum Klingen bringt. Er beschert dem Genre zugleich etwas Zirzensisches und eine geradezu vehemente Jugendlichkeit. Beides peppt die Klassik-Szene auf wie eine Vitaminspritze.

Statt wie sonst die Petersilie im Maul des Karpfens soll er nun also erstmals selbst der Karpfen sein. An der Konzertkasse ist Grubinger eine sichere Bank; die Chancen stehen gut, dass er die 17.000 Tickets vom Vorjahr, die Sol Gabetta nach Angaben des Intendanten verkaufen half, übertrifft. Doch in der Kerndomäne des Festivals, der klassischen Musik, trat sein Instrumentarium in emanzipierter Form ja erst in den letzten 50 Jahren auf den Plan. Entsprechend überschaubar erscheint das Repertoire, und vieles davon hat Grubinger beim SHMF schon gespielt. Er musste sich also
reichlich was einfallen lassen.

„Mir war von Anfang an klar, dass ich mich möglichst wenig bis gar nicht wiederholen will“, sagte er gestern bei der Vorstellung des Festival-Programms in Lübeck. Sieben unterschiedliche Schlagzeug-Programme hat Grubinger ersonnen, „alle speziell für Schleswig-Holstein“. Das spektakulärste und vom Probenaufwand her komplizierteste Projekt: „The Big Six“ – die sechs bedeutendsten Werke für Schlagzeugsextett der zeitgenössischen Musik, komponiert von Iannis Xenakis, Friedrich Cerha, Wolfgang Rihm, Gérard Grisey und Steve Reich, alle an einem Tag (22. und 23. August in Rendsburg-Büdelsdorf, Kunstwerk Carlshütte).

Grubinger erarbeitet zudem mit dem amerikanischen Bariton Thomas Hampson ein Liedprogramm zwischen George Gersh- win,, Frank Sinatra und Sting (Hamburg, 21. Juli). In den Scheunen von Hasselburg, Haseldorf und Wotersen gibt er Solokonzerte, zudem spielt er mit dem Festivalorchester in Flensburg und Lübeck. Für „Martin Grubingers ultimative Percussionshow“ (20. August) scheint die Sparkassen-Arena in Kiel gerade groß genug. Und weil auf dem Festivalplakat unter dem Namen des Erfolgsgaranten Martin Grubinger etwas kleiner auch noch der Name Peter Tschaikowsky steht, bereitet der Schlagwerkmeister mit Hilfe seines Vaters Martin Grubinger sen. eine eigene Fassung des „Nussknackers“ vor (Pronstorf und Elmshorn, 10./11. August).

Tschaikowsky tritt beim SHMF 2015 gewissermaßen das Erbe Felix Mendessohns aus dem Vorjahr an, denn diesmal steht das Schaffen des russischen Romantikers im Zentrum der Programme vieler anderer Festivalgäste. Alle drei Klavierkonzerte – Daniil Trifonov spielt Nr. 1 (19. Juli, Lübeck, 20. Juli, Kiel), Elisabeth Leonskaja Nr. 2 (1. August, Flensburg, 2. August, Hamburg) und Lilya Zilberstein Nr. 3 (5. August, Kiel) – werden aufgeführt, zudem die erste sowie die drei letzten Sinfonien. Neben Facetten seines kammermusikalischen Schaffens und viel Vokalmusik bringt das SHMF auch diverse Versionen von Tschaikowys Ballettmusiken „Der Nussknacker“, „Schwanensee“ und „Dornröschen“. Das Violinkonzert spielt Midori im Rahmen eines nachträglichen Geburtstagskonzerts für Christoph Eschenbach unter dessen Leitung, bei dem auch der Pianist Lang Lang und die Sopranistin Christiane Karg zu erleben sein werden (am 16. August, Neumünster).

Nachdem Hamburg als Spielort beim SHMF im Vorjahr ziemlich außen vor blieb, stehen diesmal immerhin 17 Konzerte in der Stadt im Programm, darunter ein Open-Air-Abend mit Annett Louisan und dem Kammerorchester des Festivals, ein Doppelkonzert mit den beiden jungen Pianisten Alice Sara Ott und Francesco Tristano und ein A-cappella-Konzert mit den Swingle Singers. Die gehören programmatisch zur Seitenlinie „Luustern“, die Kuhnt diesmal dem Gesang widmet: Al Jarreau (7. Juli Lübeck, 8. Juli, Kiel) und Gregory Porter (25. Juli, Kiel) sind dabei, sowie eine ganze Riege Hamburger Vokalisten – neben Louisan Roger Ci- cero, Ulrich Tukur, Bodo Wartke, Bidla Buh.

55 Prozent des Etats von 8,4 Millionen Euro will das Festival über den Ticketverkauf wieder hereinholen. Für die 178 Konzerte, fünf Musikfeste und zwei Kindermusikfeste zwischen 11. Juli und 30. August stehen 178.000 Karten zur Verfügung. Konzerte erklingen in 60 Orten und 104 Spielstätten, wobei das Festival fast ein Drittel davon neu im Angebot bzw. reaktiviert hat. Der Zuschuss der Landesregierung blieb nach Angaben des SHMF-Verwaltungsdirektors Burkhard Stein unverändert bei 1.228.300 Euro. Die verbleibenden 3.391.700 Euro steuern Sponsoren, Mäzene und Stiftungen zum Festivaletat bei. Sie finanzieren auch die Orchesterakademie, für die sich diesmal 1800 junge Musiker bewarben. 120 von ihnen aus über 30 Nationen wurden aufgenommen. Schriftliche Kartenbestellungen für das Festival sind ab sofort möglich, der Vorverkauf beginnt am 23. März.