Hamburg. Maxim Emelyanychev mit dem Scottish Chamber Orchestra sorgte für elektrisierende Energetik und hatte wahrhaft etwas Sportliches.
Nachdem das English Chamber Orchestra zehn Tage zuvor doch gerade erst als Gast des SHMF in der Elbphilharmonie zu Gast war, konnte das Scottish Chamber Orchestra mit einem Konzert am selben Ort natürlich nicht lange auf sich warten lassen. Auf Einladung des Elbphilharmonie Sommers spielte das 1974 eigens von der schottischen Regierung gegründete Ensemble am Freitag unter der Leitung seines famosen Chefdirigenten Maxim Emelyanychev am Freitag im Großen Saal.
Im kommenden Jahr feiert es sein fünfzigjähriges Bestehen und ist damit ein knappes Vierteljahrhundert jünger als das English Chamber Orchestra, das in diesem Jahr sein 75. Jubiläum begeht. Mit dem Russen Emelyanychev, der 2019 zu den Schotten stieß, hat es einen echten Glücksgriff getan und konnte sein Profil international wahrlich aufs Feinste schärfen. Der mit Alter Musik und historischer Aufführungspraxis geschulte Cembalist und Dirigent ist parallel dazu auch Chef des Originalklang-Ensembles „Il Pomo d’Oro“ und hat auch enge Verbindungen zum Royal Concertgebouw Orchestra, dem London Philharmonic Orchestra und dem Orchestre de Paris.
Elbphilharmonie: Mendelssohns in Klang verwandelte Erinnerungen
Felix Mendelssohn Bartholdys romantische Ouvertüre „Die Hebriden oder Die Fingalshöhle“ dirigierte Emelyanychev nicht etwa erhöht auf einem Dirigentenpodest stehend. Nein, wegen des nachfolgenden Violinkonzerts von Mozart, das er später selbst am Cembalo spielend leiten sollte, war das barocke und in der Frühklassik immer noch gern gewählte Tasteninstrument bereits direkt vorm Orchester aufgebaut. Die Mendelssohn-Partitur lag auf dessen Notenablage und vom ersten Takt an bekamen wir Mendelssohns in Klang verwandelte Erinnerungen seiner Reise an die Nordwestküste Schottlands in einer Mischung aus historischer Aufführungspraxis und einer elektrisierenden Energetik zu hören.
Tatsächlich bliesen die Blechbläser historische Instrumente, und die langen Naturton-Trompeten etwa entfalteten mit ihren eigenwillig reichen Klangfarben einen besonderen Zauber. Wundervoll waren die warme Tönung der Streicher und die weichen Konturen, aber auch der enorme Kontrastreichtum, der für Emelyanychevs Interpretationen ja so prägend ist.
Bei Mozart erlebte man ein Wechselspiel der Gefühle
Das kam dann auch Mozarts Violinkonzert A-Dur K. 219 mit der nicht minder bewundernswerten russischen Geigerin Alina Ibragimova zugute. Emelyanychev saß am zweimanualigen Cembalo, ließ es sich aber nicht nehmen, dabei plötzlich aufzuspringen und mit Körpergesten zu dirigieren, ohne dabei seine Finger von der Tastatur zu nehmen. Damit schuf er eine enorme Dynamik und bereitete der Solistin die Bühne, indem er etwa die Generalpause vor ihrem langen Solo mit dem Seitenthema des Kopfsatzes unendlich dehnte, um die Spannung zu steigern.
Mit einem herrlichen Ton und fast keinem Vibrato setzte Ibragimova die unter die Haut gehenden melodischen Bögen an und fand hier wie auch später im Adagio trotz der vom Scottish Chamber Orchestra produzierten Wucht und Lebendigkeit der Interpretation zu Pianissimos, bei denen man das Gefühl hatte, sie berühre kaum mehr die Saiten mit ihrem Bogen. In dem voller Überraschungen und Brüchen steckenden Rondeau: Tempo di Menuetto erlebte man ein Wechselspiel der Gefühle. Und man hörte vom Cembalisten und Maestro Emelyanychev als auch von der Geigerin vor lauter Begeisterung und Erregung sogar die Schläge ihrer Schuhabsätze, wenn sie mit einem Fuß mal aufstampften oder sogar mit beiden kurz in die Höhe sprangen.
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Elbphilharmonie: Maxim Emelyanychev hat wahrhaft etwas Sportliches
Die Spielfreude, das Lächeln auf den Gesichtern aller und die in allem spürbare Freiheit in der Wahl der interpretatorischen Mittel verliehen diesem Satz fast den Charakter einer Improvisation. Vielleicht, mochte man denken, kamen sie damit Mozarts Vorstellung, wie man seine Musik am besten zu spielen habe, sogar am nächsten. Der Ton und die hohe Musikalität der Geigerin Ibragimova, die ja mit dem Kammerorchester Basel einen zweijährigen Mozart-Zyklus erarbeitet, ist einzigartig. Und da spielte es auch keine Rolle, dass sie dieses Standardwerk des Salzburgers nicht wie andere auswendig spielte, sondern neben dem alten Cembalo ein Notenpult mit modernem Tablet platzieren ließ, was der Vielfalt der Aufführung einen weiteren Aspekt hinzufügte.
Maxim Emelyanychev hat wahrhaft etwas Sportliches. Für Robert Schumanns Sinfonie Nr. 4 d-Moll op. 120 eilte er nach der Pause zusammen mit dem Scottish Chamber Orchestra auf die Bühne und trat, nachdem alle saßen, erst mal zwei Schritte zurück. Dann schnellte er nach vorn und man erwartete, dass er nun einen Auftakt geben würde. Seine Gesten aber galten zunächst noch nicht den ersten Takten der Schumann-Partitur, sondern waren als Aufforderung für das Orchester zu verstehen, vor dem Start lieber noch mal einzustimmen. Dann aber ging es los, und wir hörten einen Schumann, bei dem durch die Wahl höherer Tempi und schärferer Kontraste die vielen Schwächen von Schumanns blockartiger Instrumentation geschickt ausgeglichen wurden.